Mittwoch, 24. Dezember 2008

Bilder sind da!

Fast ein Vierteljahr nach meiner Rückkehr, rechtzeitig zu Weihnachten, ist die Bildnachdokumentation des Blogs und damit das Projekt Jakobsweg 2008 abgeschlossen. Physisch zumindest, das aktive Tun ist vorbei.


Innerlich wirkt es nach. Mit zunehmendem Abstand verblasst die Erinnerung an Details, das Wesentliche bleibt. Das Wesentliche: Menschen, Gespräche, Natur und Einsichten.

Weihnachtliche Grüße
Peter

Samstag, 18. Oktober 2008

Reprise



Bin mittlerweile schon seit über einer Woche wieder im Lande. Erster Eindruck: fantastisch unsere herbstlich gefärbten Wälder! Schön die Begegnung mit Familie und Freunden. Das tut gut.

Die Rückkehr in den Alltag fällt schwer. Schütze mich vor Informationen. Kann kaum eine Zeitung aufschlagen, ertrage das Radio nicht. Bankencrash, Politik - Themen von einer anderen Welt für einen, der lange Zeit sein gesamtes Hab und Gut auf dem Rücken mit sich trug, auf dem Weg aß, auf dem Weg Menschen traf.
Das hektisch-touristische Treiben in Santiago hat dem Schutzschild nichts anhaben können. Meine Ankunft wird noch dauern. Ich find's gut. Geduld.

Abschließend ein Gedicht von Ulrike Bruckmeier, das meinem Empfinden auf der Pilgerreise sehr Nahe kommt.


Ruhe

Ruhe!
Ich sehne mich so sehr danach.
In der Hektik des Alltags.
Im Trubel der Familie.
Im Lärm der Städte.
Unter zu vielen Menschen.

Ich fliehe davor in eine Auszeit
und mache mich auf, auf den Weg,
auf die Suche nach diesem lange vermissten Raum in mir,
wo ich aufatmen kann.

Und während ich gehe auf dem Weg,
Schritt für Schritt mich dabei umsehe,
außen und innen, nach Richtungsweisern,
die mir den Weg dahin zeigen könnten,
beginne ich selbst, allmählich, Gedanken die mich bedrängen
einfach beiseite zu schieben,
lasse sie ziehen,
weil da, wo ich jetzt bin,
auf dem Weg, nichts wichtiger ist,
als zu gehen, zu schauen, zu hören, zu spüren, zu sein.

Und so spüre ich irgendwann,
wie Ballast, den ich im Gedankengepäck mitnahm,
nach und nach an Gewicht verliert.
Schritt für Schritt bin ich angekommen.
Ich atme auf.

Rückreise (Mi, Do 8-9.10)

Der Schluss ist schnell erzählt. Ein letztes Frühstück mit Bianca beim netten, weitgereisten Cafebesitzer. Bianca hängt eine letzte Etappe nach Muxia dran. Ich fahre mit dem Bus nach Santiago zurück. Trotz vieler unmotorisierter Wochen fällt es mir erstaunlich leicht, in den Bus einzusteigen. Noch im Morgengrauen beginnt die schnelle Reise, eine gute Stunde die hübsche galicische Küste entlang: malerische Dörfer, Fleckenteppich von Fischerbooten in winzigen Häfen, Muschelbänke vor der Küste, Nebelstreifen über dem Meer. Passt zur Melancholie, die sich in mir breit macht.
Gegen 11 Ankunft in Compostela. Um 12 nochmals in die Pilgermesse. Wiedersehen mit Luis aus Sao Paolo und Abschied. Suerte! - Viele Deutsche in der Kathedrale. Der Botafumeiro wird geschwenkt. Glück gehabt. - Während der Messe tauche ich ab, löse mich von der Umwelt, den vielen anderen Besuchern, bin bei mir und spüre zum ersten Mal die Wucht des Angekommenseins. Ich hab's geschafft. Dieser Weg ist zu Ende, der neue Weg beginnt. Bin zu Tränen gerührt. Se acabo.

Tagsdarauf (Do 9.10) Rückflug.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Am Ende der Welt, Von Fisterra nach Kap Fisterre (Di 7.10)

Früstück mit Bianca in der Bar neben dem Albergue. Der Wirt, Anfang 60, ist viel rumgekommen, u.a. in Deutschland. Spricht sehr gut Deutsch und ist eine Seele von Mensch. Eine Freude bei ihm einen "Cafe con Leche" zu bestellen und ein "Setzen sie sich hin, ich bringe ihnen die Sachen gleich" als Antwort zu bekommen.
Heute Morgen hängt der Himmel voller Wolken, aber es ist trocken, und stellenweise bricht die Sonne durch. Ohne Rucksack auf dem Rücken spazieren wir zum etwa 4 km entfernten Kap Finisterre. Unterwegs schöner Blick zurück auf Fisterra, schöner Blick auf's Meer. Beeindruckende, mächtige Pilgerstatue auf halbem Weg.


Nach einer Stunde sind wir am Kap angelangt. Jetzt sind wir am Ende der Welt, am Kap Finisterre und, wie sollte es anders sein, die Sonne scheint. Es herrscht herrliches Wetter. Ich bin am Ziel, wir sind am Ziel!


Das Kap. Restaurant, Leuchtturm mit kleinem Museum, Parkplatz, Kunst: 6 massive Stellwände stehen auf dem Platz vor dem Leuchtturm, 2m x 1,50m, auf beiden Seiten Mosaiken. Motive, die mit der Region verknüpft sind: Landschaft mit Küste und Meer, Baum, Tierwelt, etc.


Hinter dem Leuchtturm die offizielle Feuerstelle. Als wir dort ankommen ist ein Paar gerade mit dem rituellen Kleiderverbrennen beschäftigt. Die beiden feiern das ausgiebig und dokumentieren den Vorgang mit ihrer Videokamera. Wir setzen uns hin und betrachten das Schauspiel. Neben mir ein Deutscher mit Kippe im Mund. Meine Chance. Ich schnorre und geniesen disen Smoke nach 2675 km!
Der Verbrennungsplatz liegt liegt sehr schön, leicht ausgesetzt. Über die flackernden Flammen hinweg erblickt man Schaumkronen auf dem tiefblauen Meer. Klasse.

Nach den beiden sind wir dran. Wir legen die mitgebrachten Klamotten in die Feuerstelle (T-Shirt, Socken, Unterwäsche). Freundlicherweise überlassen uns die Vorgänger den Rest ihres Brennspiritus.


Doch auch damit brennt unser Zeug nicht so recht. Mein rotes T-Shirt ist zu feucht. Ich ziehe mit dem Kram in eine Felsnische um, weil da die Windverhältnisse besser sind, nehme Zeitungspapier zu Hilfe, das eine "Zuschauerin" mir freundlicherweise zur Verfügung stellt und versuche mein Glück erneut. Schon besser. Schweiss und Tuch der letzten Tage, Wochen, Monate brennen lichterloh. Nach knapp einer halben Stunde ist der Spuk vorbei.

Bianca und ich hängen noch eine Weile am Kap rum. Doch irgendwann meldet sich der Bauch. Es fällt mir schwer mich von diesem Ort zu trennen. Nach so einem langen Weg. Eine Busladung Österreicher macht den Abschied leichter. Wieso werden Menschen immer so laut, wenn sie in Gruppen auftreten?

Zurück in Fisterra speisen wir in einem netten Lokal am kleinen Fischerhafen mit sehr gutem Service. Netter Wirt, nette Wirtin, gutes Essen. Um Fünf schmeisst man uns jedoch raus. Das Lokal macht mangels Personal für zwei Stunden zu, erklärt mir die Chefin. Sei's drum, auch hier sind wir wieder die letzten. Rumhängen am Hafen, in dem bei tiefstehender Sonne, das Fischerhafenklische hervorragend bedient wird. Jungs, die versuchen, mit selbstgebastelten Angeln Pulpos aus dem Becken zu fischen. Mit wenig Erfolg. Fischer in Gummistiefeln, die in Nussschalen zu ihren Bötchen rudern. Sehr schön.

Später feiern wir im gleichen Lokal mit Weisswein und einem Snack Abschied von Fisterra, vom Ende der Welt und voneinander. Und wen sehe ich so gegen 10 draussen winken und ins Lokal stürzen? Die drei vom Hostal, die Hamburger. Dachte ich mir doch, dass wir uns nochmal sehen werden. Freude, herzliche Begrüssung. "Dürfen wir uns zu Euch gesellen? Darfst auch nein sagen." prescht Rainer in gewohnt direkter Art vor. "Klar, nehmt doch Platz, Bianca liest in ihrem Buch und ich mache mir Notizen, wir sind wie ein altes Ehepaar, ihr stört in keinster Weise" kontere ich. Ein Spass! Über den Kräuterlikör, den die drei bestellen, kommen wir auf Becherovka und Chartreuse zu sprechen. Bernd steht auf Becherovka. Darf in Zukunft seine Bestellungen bei mir abgeben. Bianca, die Weinexpertin, brilliert mit Detailwissen zu Chartreuse. Schliesslich packt der Meisterfilmer Rainer seine Videokamera aus zeigt die jüngsten Aufnahmen vom Kap. Wow, u.a. tolle Aufnahmen vom Sonnenuntergang.


Na prima, damit haben wir auch den dritten rituellen Schritt erfüllt. Nach der Reinigung im Meer und der Kleiderverbrennung haben wir jetzt auch den Sonnenuntergang am Kap Finisterre erlebt. Jetzt steht unserer Neugeburt nichts mehr im Wege ...
Gegen 11 verabschieden sich die Hamburger, gegen Mitternacht schmeisst die Wirtin uns raus. Buenas Noches Fisterra.

Hab' den Atlantik geküsst, Von Olveiroa nach Fisterra (Mo 6.10)

Frühstück mit mit den drei Norddeutschen, dann Abschied. Sie werden nur bis nach Cée gehen, ich ans Ende der Welt. Regen, heftiger Wind. Das Wetter ist so richtig eklig. Por fin, auf meiner letzten Etappe. Ich würde sagen, lustig, wenn's nur nicht so feucht wäre.
Als ich bei Logoso für ein Foto einen kurzen Halt einlege, grüsst mich ein bekanntes Gesicht: Bianca, die Volkswirtin aus Bayreuth. Eingehüllt in durchsichtiges Plasitk erinnert sie mich an Doris Day, warum auch immer.
Schweigend gehen wir zusammen weiter. Reden ist nicht möglich. Zu sehr sind wir im weitesten Sinne mit der Abwehr des Wassers beschäftigt. Sie nestelt ununterbrochen an ihrem Regencape, das der Wind bald linksherum, bald rechtsherum verdreht. Ich kämpfe wie ein Skipper mit der Fock mit meinem Regenschirm. Bei den heute herrschenden Winstärken erweist sich die grosse Fläche meines Schirms als nachteilig. Bisweilen halte ich den Schirm waagerecht in den Regen, ohne von oben auch nur einen Tropfen abzubekommen. Eklig. Für die Landschaft haben wir kaum ein Auge. Dauerregen mit kurzen Unterbrechungen.


Als wir bei Hospital de Logoso an einer Bar vorbeikommen, ruft uns in der Tür stehend eine Pilgerin zu: "Wir nehmen ein Taxi nach Fisterra, kommt Ihr mit?" Die macht Scherze. Ein kläglicher Versuch des Teufels? Wir winken dankend ab. Das Ende der Welt werden wir zu Fuss erreichen. Bianca denkt genauso. Und auch Petra, die in Belgien lebende Tierärztin aus Mähren. Sie stösst kurz hinter dieser Bar zu uns. Es hat ihr vermutlich Mut gemacht, dass es Unerschrockene gibt, die einfach weiter marschieren.



Eine zeitlang gehen wir zu dritt weiter. Drei im Osten Sozialisierte stapfen durchs Unwetter. Jawohl, wir sind ja schliesslich nicht aus Zucker. Meine Füsse schwimmen in den Schuhen. "A lo mejor si", die Worte des Schusters in Santo Domingo kommen mir in den Sinn. Fast hätte es geklappt ... Irgendwann fällt Petra zurück. Kein Wunder bei dem Tempo, das Bianca vorlegt.
Es ist halb Eins, der Regen hat nachgelassen, die Wolke, durch die wir laufen, ist lichter, als unvermittelt, am Ende des Weges, am Horizont, der Atlantik auftaucht. Viel besser zu erkennen, als ich es erwartet habe. Wir sind am Meer! Es ist vollbracht. Jetzt bin ich wirklich bald am Ziel. Wieder ein Glücksmoment. Erinnerungsfotos mit Schirm.


Wir gehen weiter nach Cée und biegen in die erste Bar ein. Andere Pilger waren schon vor uns da. Eine Wirtin, deren Entgegenkommen und Ausstrahlung zeigt "Ihr Pilger tut mir Leid" nimmt sich unserer an. Wie schön. Kase-Tomaten-Bocadillo (ich esse gleich zwei dieser riesigen Brötchen, bin total ausgehungert), Tee, Kaffee. Aufwärmen, etwas trocknen. Pilger gehen, Pilger kommen, nach etwa 20 Minuten auch Petra, die unterwegs den Kanadier Bill aufgegabelt hat (oder umgekehrt).


Als wir eine gute Stunde später weiter ziehen, hat es zu regnen aufgehört! Am Strand von Cée sammeln wir Muscheln, Mitbringsel. Ich stehe mehr auf Masse, während Bianca wählerisch ist. Sie findet zwei richtige Jakobsmuscheln und schenkt mir eine von beiden. Danke.



Anschliessend führt der Weg etwas weg vom Strand wieder leicht bergan bis zu einer Anhöhe, von der aus man erstmalig Fisterra erblickt. Toll. über diesem Wurmfortsatz des Festlands hängt eine fette Wolke, doch einige küstennahe Flecken auf dem Meer spiegeln die Sonne wider, glitzern. Die Sonne kommt! Das hätte ich mir heute Morgen nicht träumen lassen.


Um halb Sieben erreichen wir den Strand von Fisterra (heute purzeln die Meilensteine). Wat mut dat mut. "Nach der langen Reise reinigt sich der Pilger im Meer". Also, Klamotten runter bis auf die Unterhose und rein in den Atlantik. Hab' den Atlantik geküsst. Eine nette Norddeutsche mit Hund hat die beiden verrückten Pilger vom Cafe an der Strasse aus beobachtet, die freudig in die Wogen gerannt sind. Sie kommt zu uns runter und fragt, ob sie Fotos schiessen soll. Natürlich! Nett!


Ortseingang von Fisterra. Eine im Türrahmen ihres Hauses sitzende Alte fängt uns ab. Sie hätte ein tolles Zimmer für 25 Euro. Redet so lange auf mich ein, bis ich einwillige mir das Zimmer anzusehen. Es ist wirklich toll und ich nehme es. Bianca quartiert sich in der Albergue ein.
Kurz nach Acht sitzen wir im besten Restaurant am Ort. Mit am Tisch der Berliner Justus, eine Dänin, die ich schon vor etwa einer Woche mal getroffen habe und zwei Frauen aus Norwegen (die auch gut als Schwedinnen durchgehen würden). Taschenkrebse, Hummer, Garnelen im Aquarium warten ohnmächtig auf ihr Ende. Ein trauriges Schicksal.


Die Speisekarte listet eine Fischspezialität nach der anderen auf. Bianca, vom Fach, gehen die Augen über. Die Wahl fällt uns leicht. Endlich mal zu zweit, endlich mal Paella de Mariscos. Salat, Fischsuppe, Schneckenmuscheln. Edler Rotwein. Wir lassen es krachen. Alles schmeckt sehr lecker. Ich bin sehr zufrieden, satt.
Justus und Skandinavien verabschieden sich gegen 10, Bianca kurz vor Mitternacht (die Albergue schliesst um 12). Mit dem restlichen Wein in der zweiten Flasche und meinem Notizbuch vor mir auf dem Tisch bleibe ich als letzter solange sitzen, bis man mich gegen halb eins rausschmeisst. Ja, ich kann nicht genug kriegen, nach 90 Tagen Pilgerschaft.

Ex und Einst, auf dem Weg vereint, Von Negreira nach Olveiroa (So 5.10.2008)

Hi Folks, zunächst mal vielen, vielen Dank für Eure Glückwünsche! Das tut gut. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich Euch allen, die Ihr mitgelesen und kommentiert habt, danken. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen wie gut das tut. Wie schön es ist zu wissen, dass da draussen Leute sind, die dich begleiten. Ich danke Euch von ganzem Herzen.
Bin heute morgen wieder in Santiago angekommen. Bin mit dem Bus gefahren. Ein komisches Gefühl, nach so vielen Tagen zu Fuss, in ein öffentliches Verkehrsmittel zu steigen. Einmal unterwegs war's dann aber normal. Hab' gedöst, später die Landschaft vorbeiziehen sehen. Die wunderschönen galicischen Fischerdörfer der Rias bajas (z.B. Muros), die der Küste vorgelagerten Muschelbänke, einen Nebelstreifen über dem küstennahen Landstreifen und dem Meer. Sehr schön anzusehen das. Die letzten Tage zum und am Kap Finisterre waren klasse. Ich war kaum allein. Und das war gut so. Hatte nette Menschen um mich.


Hörnchen und Kaffe im Hostal in Negreira. Drei Deutsche aus dem hohen Norden sitzen am Nachbartisch: Rainer, Bernd und Heidrun. Die beiden Herren sind in Dresden (!) aufgebrochen, seit dem 2. Mai unterwegs (und freuen sich jetzt auch auf's Ankommen). Heidrun hat sie am Anfang ihrer Pilgerschaft, später in der Schweiz und schliesslich jetzt ab Santiago jeweils etwa eine Woche lang begleitet.


Heute brechen sie kurz vor mir auf. Die Landschaft unverändert: Eukalyptus, Ginster, Heidekraut, leicht hügelig. Es wird feuchter, am Morgen leichter Nieselregen. Das zieht die Schnecken aus der Versenkung. Fette, schwarze Schnecken. Mir fällt auf, dass die Meseta frei von diesen Schleimern war. Also ihr Gärtner dieser Welt. Es gibt da eine Region, da wäret Ihr zumindest dieses Problem los ...
Auf dem hinter dem Dorf "A Pena" aufragenden Berggrat grüsst ein Windpark, der deutlich zu hören ist. Guter Wind, die Propeller tun das, wofür sie geschaffen sind, rotieren. Ok, die Geräuschentwicklung von Windkraftanlagen ist in der Tat nicht zu leugnen und zumindest gewöhnungsbedürftig. Wenn, wie hier, das Dorf so nahe liegt, ist das natürlich schon ein Ding. Die Anlagen klingen wie das Grundrauschen einer nicht zu weit entfernten, gut befahrenen Autobahn.
Pause in der Bar von Vilasero.


Hier treffe ich erneut auf die Drei von der Tankstelle (ähm vom Hostal). Wir kommen ins Gespräch und gehen zusammen weiter.
Das mit dem Loslassen haben Rainer (55) und Bernd (65) schon gekonnt, bevor sie sich auf den Weg gemacht haben. Der eine, Rainer, hat vor zwei Jahren seine Buchhandlung verkauft, der andere, Bernd, seine Apotheke. Kann man sich gut vorstellen, dass diese Art des Lolassens Luft für ein 5-Monats-Pilger-Projekt schafft.
Im wahrsten Sinne des Wortes (fast) vom Hocker (der Bar) haut es mich, als ich erfahre, woher sich die beiden Pilgerfreunde kennen. Rainer war mal mit Heidrun zusammen (vor Jahrzehnten), Bernd ist mit ihr zusammen (seit gut zwei Jahrzehnten).


Ex und Einst, auf dem Jakobsweg vereint, 5 Monate in trauter Zweisamkeit. Nicht schlecht! Sie haben jede Menge über den jeweils anderen gelernt und ihre Freundschaft betreffend viele wertvolle Erfahrungen gemacht, erzählen sie unisono, und Mechanismen (Programme?) gelernt, wie man in einer Konfliktsituation mit derselben umgehen kann. Sehr spannend.
Rainer wandert viel, unternimmt und organisiert Trekkingtouren, u.a. in den Alpen (z.B. die Alpenquerung Münschen-Venedig). Die Videokamera, seine zweite Leidenschaft, ist immer dabei (eine Kostprobe vom Botafumeiro-Ritual in der Kathedrale überzeugt). Er liebt Geselligkeit, kann locker einen Tisch einen abendlang unterhalten und ist nicht der Typ, der lange um den heissen Brei redet. Verblüfft hat mich seine Bekenntnis, dass er, der Buchhändler, keine Leseratte ist. Seiner Ansicht nach war das sogar hilfreich. Hm.
Bernd ist der stillere von beiden, der Prototyp des sich zurückhaltenden Hanseaten. Schlank, selbst als Pilger gut gekleidet, graumeliertes Haar, graumelierter Bart, Designerhornbrille. Reitet, wie auch seine Lebensgefährtin Heidrun. Mindestens einmal im Jahr ziehen sich die beiden ins eigene Haus nach Namibia zurück. Dort können sie reiten, schwimmen, arbeiten, Zurückgezogenheit leben. Das klingt gut. Aber halt, keinen falschen Eindruck bekommen. Für kleinere und grössere Verrücktheiten ist er gern zu haben (gell Heidrun?).
Heidrun, Anfang 50, erinnert mich ein wenig an die Katja Ebstein der 70iger. Sie zählt auf Klasse statt auf Masse (gell Bernd?), wenn es um ihre Freunde geht. Kommunikation ja, aber nicht um jeden Preis, nicht nur um des Redens willen.
Wie dem auch sei, ich finde sie alle drei sehr sympathisch. Für mich ist die Begegnung mit Heidrun, Bernd und Rainer, den Dreien vom Hostal, sehr bereichernd, unterhaltsam und anregend - kurz, ein Glück!





Spiritualität, Glauben, Tod - Themen, die ihnen auf dem Weg begegnet sind. Ich glaube es ist Bernd, der folgenden Satz zitiert:

Erst durch den Tod bekommt unsere Existenz einen Sinn.

Irgendwie erleichternd.

In Olveiroa angekommen, quartieren wir uns im Hostal ein. Rainer und ich teilen uns ein Zimmer, sparen dadurch ein bisschen und kommen später in den Genuss eines, wenn auch kurzen, Bettgeflüsters.
Das Abendessen nehmen wir natürlich zu viert ein. Überdurchschnittlich gutes Pilgermenü, überdurchschnittlich guter Wein. Aber das Beste sind die tollen, teilweise sehr tiefgehenden Gespräche.
Rainer erweist sich als Kenner und Liebhaber der Lieder von Hannes Waader, Reinhard Mey und Udo Lindenberg. Er trägt den Text von Waaders "Frau Klotzke" vor. Kannte ich bis dato nicht. Aus den Sechzigern und dennoch köstlich. Und dann ist da noch Udo Lindenbergs "Am Horizont". Ach, zuhause werde ich einiges recherchieren und hören müssen.


Zu vorgerückter Stunde trällern wir das "Heute hier, morgen dort, bin kaum da muss ich fort" von Waader. Schon irre, dass jeder den Text einigermassen drauf hat. Den Text eines Liedes, das so gut zu unserer Pilgerreise passt. Wahrscheinlich kein Zufall, dass ich es schon vor Jahren gerne sang. Ja, ja, mir wird immer klarer, es ist so wie Katu sagte: "Ich musste den Weg gehen."

Als Rainer und ich durch die Nacht zum Nebengebäude waten, regnet es in Strömen. Meine zum Trocknen aufgehängten Klamotten sind nochmals gewaschen worden. Die Nacht wird feucht und kühl. Kein Wunder, wir nähern uns dem Ende der Welt.

Samstag, 4. Oktober 2008

Von Santiago de Compostela nach Negreira (Sa 4.10)

Von der Kathedrale aus in westlicher Richtung hat man die Stadt erstaunlich schnell hinter sich gelassen. Von einer Anhöhe aus schöner Blick zurück auf das Portal der Kathedrale.


Wieder geht es durch Eukalyptus-, Eichen- und Kiefernwälder. Maggiduft liegt in der Luft.



Die Wolkendecke ist dünn, ab Mittag kommt die Sonne durch. Mit den Pilgermassen der letzten Tage ist es vorbei. Ruhe auf dem Weg, Ruhe in mir. Ich geniesse die Einsamkeit. Ja, so war es schon oft gewesen auf meinem Weg. Jetzt erst wird mir bewusst, wie sehr ich in den letzten Tagen unter Dampf stand. Heute kann ich es erstmalig richtig geniessen, angekommen zu sein! Ja!
Von einem schönen Pflanzenensemble angezogen verlasse ich unbemerkt den Camino. Prompt hält das erste Auto, das die Strasse lang kommt. Der Fahrer deutet mir, dass dies nicht der Weg nach Fisterra sei. Auf dem anderen Fahrstreifen stehend gucke ich zunächst etwas ungläubig. Kann das sein? Bald hat sich hinter dem Wagen eine kleine Schlange gebildet. Keiner zeigt Ungeduld, keiner hupt. Klasse! Zweihundert Meter zurück finde ich die Stelle, an der ich hätte abbiegen müssen. Muchas gracias.

Unter einem weinumrankten Dach geht es in einen Ort hinein.



Dort ein besonders schöner Vertreter der Kornspeicher.



Auf dem Camino geht wirklich keiner verloren, nicht einmal der Rentner Kurt aus Schwaben. Sitzt in der Bar von Aguapesada, als ich dort einbiege. Kurt hat beschleunigt, weil er seine Enkeltochter noch einmal sehen will, bevor sie zum Praktikum nach N.Y. abhebt. Und neulich meinte er noch, er wird sich jetzt so richtig Zeit lassen. In Konstanz aufgebrochen hat er auch schon über 2000 km auf dem Tacho. Kurt besitzt eine Telefonkarte, bekam es bisher aber nicht hin, sie ihrem Zweck zuzuführen. Ich helfe ihm und verabschiede mich.
Zwei Orte später hole ich in dem schnuckligen Ort Ponte Monceira Bianca ein. Eigentlich ein Wunder, denn die Frau ist wirklich sehr schnell. Wir kommen ins Gespräch und gehen zusammen weiter. Bianca, Mitte 20, ursprünglich aus Sachsen-Anhalt, studiert Philosophie und VWL in Bayreuth. In ihrem "ersten Leben" war sie gelernte Hotelfachfrau. Weiss einige Horrorgeschichten aus dem Leben einer (Ober-)Kellnerin zu erzählen. Allein, der Job machte ihr Spass, man kommt rum, nur - viel Arbeit und wenig Kohle. Daher drückt sie jetzt wieder die "Schulbank". In Negreira trinken wir ein Radler zusammen und sagen Tschüss. Sie geht ins Albergue, ich ins Hostal :-))
Um kurz nach Fünf verlasse ich mein Zimmer. Bin sehr müde, doch die Sonne scheint, weshalb ich lieber an der frischen Luft sein möchte, als im muffigen Zimmer. Lasse mich an dem von einem Kreisel umgebenen Brunnen nieder. Die Sonne scheint mir warm ins Gesicht. Schön. Alle ca. 15 Minuten fährt eine Bimmelbahn vorbei, Kids rufen mir aus den Wagen zu. Weniger schön. Gehe ins Cybercafe. Stunden später schmeisst man mich, den letzten Gast, um kurz nach 10 aus dem Lokal. - Abendessen im Restaurant nebenan. Kaum habe ich das Lokal betreten, fängt mich auch schon der an der Theke plazierte Rollo ab. Schwarzes, weit aufgeknüpftes Hemd, Glatze, 65, untersetzt, (früher mal Boxer, Mittelgewicht), klein und gesprächig. Rollo spricht deutsch und freut sich dies anwenden zu können. Verständlich. Hat in den 60igern in Essen, Bochum und Münster studiert. Den Ruhrslang hat er immer drauf. Lustig. Kaut mir ein Ohr ab, lässt seine Kumpels an der Theke stehen. Redet nur in Superlativen, vom Ort, vom Essen in dem Restaurant, von Galicien, v.a. aber immer wieder vom Ort Negreira. Die Einwohner Negreiras seien super und wüssten zu feiern. Jedes Jahr am 31.10. fände so eine Art Orchestermarathon statt. Letztes Jahr habe ein Orchester 24 Stunden lang ohne Pause gespielt und damit Eingang ins Guiness Buch der Rekorde gefunden. Die 7000-Seelen Gemeinde habe seinerzeit 20000 Gäste in Griff bekommen müssen. Brot, Wein, Bier, alles sei aus gewesen. Heuer wird das Ganze mit zwei Orchestern wiederholt. Und so weiter.
Rolle, wäre alles kein Problem, wenn ich nicht erstens sehr hungrig wäre und zweitens einen Brummschädel (schon den ganzen Tag über) hätte. Keinen Bock auf Schnaps und eine lange Nacht ... Bestelle Salat, Fisch und Bier. Als der Wirt auftischt gehen mir die Augen über. Alles für mich? Das ist doch ein Mahl für Vier! Die wollen mich über den Tisch ziehen, denke ich mir. Bueno, was soll's. Ich esse und geniesse: der Salat ist lecker, der Fisch ist frisch und schmeckt hervorragend. Als ich später die Rechnung serviert bekomme, bin ich ein zweites Mal überrascht. Keine 20 Euro! Nach dem Essen mache ich mich ziemlich schnell aus dem Staub. Alles in allem ein schöner Abend.