Mittwoch, 8. Oktober 2008

Ex und Einst, auf dem Weg vereint, Von Negreira nach Olveiroa (So 5.10.2008)

Hi Folks, zunächst mal vielen, vielen Dank für Eure Glückwünsche! Das tut gut. Und bei dieser Gelegenheit möchte ich Euch allen, die Ihr mitgelesen und kommentiert habt, danken. Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen wie gut das tut. Wie schön es ist zu wissen, dass da draussen Leute sind, die dich begleiten. Ich danke Euch von ganzem Herzen.
Bin heute morgen wieder in Santiago angekommen. Bin mit dem Bus gefahren. Ein komisches Gefühl, nach so vielen Tagen zu Fuss, in ein öffentliches Verkehrsmittel zu steigen. Einmal unterwegs war's dann aber normal. Hab' gedöst, später die Landschaft vorbeiziehen sehen. Die wunderschönen galicischen Fischerdörfer der Rias bajas (z.B. Muros), die der Küste vorgelagerten Muschelbänke, einen Nebelstreifen über dem küstennahen Landstreifen und dem Meer. Sehr schön anzusehen das. Die letzten Tage zum und am Kap Finisterre waren klasse. Ich war kaum allein. Und das war gut so. Hatte nette Menschen um mich.


Hörnchen und Kaffe im Hostal in Negreira. Drei Deutsche aus dem hohen Norden sitzen am Nachbartisch: Rainer, Bernd und Heidrun. Die beiden Herren sind in Dresden (!) aufgebrochen, seit dem 2. Mai unterwegs (und freuen sich jetzt auch auf's Ankommen). Heidrun hat sie am Anfang ihrer Pilgerschaft, später in der Schweiz und schliesslich jetzt ab Santiago jeweils etwa eine Woche lang begleitet.


Heute brechen sie kurz vor mir auf. Die Landschaft unverändert: Eukalyptus, Ginster, Heidekraut, leicht hügelig. Es wird feuchter, am Morgen leichter Nieselregen. Das zieht die Schnecken aus der Versenkung. Fette, schwarze Schnecken. Mir fällt auf, dass die Meseta frei von diesen Schleimern war. Also ihr Gärtner dieser Welt. Es gibt da eine Region, da wäret Ihr zumindest dieses Problem los ...
Auf dem hinter dem Dorf "A Pena" aufragenden Berggrat grüsst ein Windpark, der deutlich zu hören ist. Guter Wind, die Propeller tun das, wofür sie geschaffen sind, rotieren. Ok, die Geräuschentwicklung von Windkraftanlagen ist in der Tat nicht zu leugnen und zumindest gewöhnungsbedürftig. Wenn, wie hier, das Dorf so nahe liegt, ist das natürlich schon ein Ding. Die Anlagen klingen wie das Grundrauschen einer nicht zu weit entfernten, gut befahrenen Autobahn.
Pause in der Bar von Vilasero.


Hier treffe ich erneut auf die Drei von der Tankstelle (ähm vom Hostal). Wir kommen ins Gespräch und gehen zusammen weiter.
Das mit dem Loslassen haben Rainer (55) und Bernd (65) schon gekonnt, bevor sie sich auf den Weg gemacht haben. Der eine, Rainer, hat vor zwei Jahren seine Buchhandlung verkauft, der andere, Bernd, seine Apotheke. Kann man sich gut vorstellen, dass diese Art des Lolassens Luft für ein 5-Monats-Pilger-Projekt schafft.
Im wahrsten Sinne des Wortes (fast) vom Hocker (der Bar) haut es mich, als ich erfahre, woher sich die beiden Pilgerfreunde kennen. Rainer war mal mit Heidrun zusammen (vor Jahrzehnten), Bernd ist mit ihr zusammen (seit gut zwei Jahrzehnten).


Ex und Einst, auf dem Jakobsweg vereint, 5 Monate in trauter Zweisamkeit. Nicht schlecht! Sie haben jede Menge über den jeweils anderen gelernt und ihre Freundschaft betreffend viele wertvolle Erfahrungen gemacht, erzählen sie unisono, und Mechanismen (Programme?) gelernt, wie man in einer Konfliktsituation mit derselben umgehen kann. Sehr spannend.
Rainer wandert viel, unternimmt und organisiert Trekkingtouren, u.a. in den Alpen (z.B. die Alpenquerung Münschen-Venedig). Die Videokamera, seine zweite Leidenschaft, ist immer dabei (eine Kostprobe vom Botafumeiro-Ritual in der Kathedrale überzeugt). Er liebt Geselligkeit, kann locker einen Tisch einen abendlang unterhalten und ist nicht der Typ, der lange um den heissen Brei redet. Verblüfft hat mich seine Bekenntnis, dass er, der Buchhändler, keine Leseratte ist. Seiner Ansicht nach war das sogar hilfreich. Hm.
Bernd ist der stillere von beiden, der Prototyp des sich zurückhaltenden Hanseaten. Schlank, selbst als Pilger gut gekleidet, graumeliertes Haar, graumelierter Bart, Designerhornbrille. Reitet, wie auch seine Lebensgefährtin Heidrun. Mindestens einmal im Jahr ziehen sich die beiden ins eigene Haus nach Namibia zurück. Dort können sie reiten, schwimmen, arbeiten, Zurückgezogenheit leben. Das klingt gut. Aber halt, keinen falschen Eindruck bekommen. Für kleinere und grössere Verrücktheiten ist er gern zu haben (gell Heidrun?).
Heidrun, Anfang 50, erinnert mich ein wenig an die Katja Ebstein der 70iger. Sie zählt auf Klasse statt auf Masse (gell Bernd?), wenn es um ihre Freunde geht. Kommunikation ja, aber nicht um jeden Preis, nicht nur um des Redens willen.
Wie dem auch sei, ich finde sie alle drei sehr sympathisch. Für mich ist die Begegnung mit Heidrun, Bernd und Rainer, den Dreien vom Hostal, sehr bereichernd, unterhaltsam und anregend - kurz, ein Glück!





Spiritualität, Glauben, Tod - Themen, die ihnen auf dem Weg begegnet sind. Ich glaube es ist Bernd, der folgenden Satz zitiert:

Erst durch den Tod bekommt unsere Existenz einen Sinn.

Irgendwie erleichternd.

In Olveiroa angekommen, quartieren wir uns im Hostal ein. Rainer und ich teilen uns ein Zimmer, sparen dadurch ein bisschen und kommen später in den Genuss eines, wenn auch kurzen, Bettgeflüsters.
Das Abendessen nehmen wir natürlich zu viert ein. Überdurchschnittlich gutes Pilgermenü, überdurchschnittlich guter Wein. Aber das Beste sind die tollen, teilweise sehr tiefgehenden Gespräche.
Rainer erweist sich als Kenner und Liebhaber der Lieder von Hannes Waader, Reinhard Mey und Udo Lindenberg. Er trägt den Text von Waaders "Frau Klotzke" vor. Kannte ich bis dato nicht. Aus den Sechzigern und dennoch köstlich. Und dann ist da noch Udo Lindenbergs "Am Horizont". Ach, zuhause werde ich einiges recherchieren und hören müssen.


Zu vorgerückter Stunde trällern wir das "Heute hier, morgen dort, bin kaum da muss ich fort" von Waader. Schon irre, dass jeder den Text einigermassen drauf hat. Den Text eines Liedes, das so gut zu unserer Pilgerreise passt. Wahrscheinlich kein Zufall, dass ich es schon vor Jahren gerne sang. Ja, ja, mir wird immer klarer, es ist so wie Katu sagte: "Ich musste den Weg gehen."

Als Rainer und ich durch die Nacht zum Nebengebäude waten, regnet es in Strömen. Meine zum Trocknen aufgehängten Klamotten sind nochmals gewaschen worden. Die Nacht wird feucht und kühl. Kein Wunder, wir nähern uns dem Ende der Welt.

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