Mittwoch, 1. Oktober 2008

Meinten Sie ...? Von Santa Catalina de Somoza nach Molinaseca (Fr 26.9)

Zunächst ein Loblied auf das Wetter der letzten Tage. Knackig kalt am frühen Morgen (um die 5 Grad), fantastischer Sonnenaufgang, herrliches Licht, blauer Himmel und Sonnenschein tagüber (um die 25 Grad). Seit vergangen Dienstag ist die Wetterlage stabil, erst heute (Mittwoch) scheint sich eine Wetteränderung anzubahnen.





Auf den ersten Kilometern nach "El Ganso", so zwischen 8 und 9 überholt mich eine Herde Pilgerdamen. Bin langsam, weil ich viel fotografiere. Das Licht ist einfach klasse, berausche mich an der Natur. Über den duftenden Strauch (Cistus Laudanus) komme ich mit den Damen, die ich später wieder einhole, ins Gespräch und erfahre, dass sie zu elft unterwegs sind und allesamt aus Regen im Bayrischen Wald sind. Sind so um die 45 bis 55, vorgestern in den Camino eingestiegen und werden bis nach Santiago pilgern. Es tut gut, nach langer Zeit mal wieder einen vertrauten Dialekt zu hören. Ein Gruss aus der Heimat. In "El Ganso" erklimmt eine von ihnen, Sonja, den Glockenturm der kleinen Kirche und singt von dort aus eine Arie in die Morgenluft der Maragateria, die Arie des Cherubino aus Mozarts "Hochzeit des Figaro". Ein schöner Moment.



Etwas weiter in "Rabanal del Camino" versorge ich mich mit Proviant und lege sogleich eine Brotzeit ein. Die Mädels ziehen weiter, der Rentner Kurt aus der Nähe von Reutlingen bleibt. Kurt ist in Konstanz aufgebrochen, hat also auch schon einiges erlebt. Das würde er gern jetzt alles los werden. Er hatte zu Beginn seiner Pilgerreise Probleme mit der linken kleinen Zehe. Der Schuh drückte, die Zehe blutete. Seine Lösung: er schnitt an dieser Stelle einfach ein Loch in den Schuh. Unkonventionell, undicht, aber erfolgreich. Nicht schlecht.



Nach der Vesper mache ich mich auf den Weg. Nun werden die Dörfer "steiniger", die Landschaft grüner. Heidekraut, Büsche, Eichen, Pinien säumen den Weg. Es geht durch die "Montes de León", welche die Maragateria vom "Bierzo" trennen.


Schneisen mit Hochspannungsleitungen durchziehen die Hügel, Windkraftturbinen sitzen oben auf den Graten. Was "zerstört" die Landschaft mehr? Für mich keine Frage.


Schliesslich ist der Pass, ist "Cruz de Ferro", erreicht. Laut Wanderführer einer der symbolträchtigsten Punkte des gesamten Jakobswegs.


Naja, ein Pass, ein Eisenkreuz, viele von Pilgern zusammengetragene Steine. Ja. Eine tiefe Wirkung spüre ich an diesem Ort nicht. Den Steinhaufen habe ich mir viel grösser vorgestellt. Eine Aussicht hat man auch nicht. Sehr schön ist die hervorragend erklärte Sonnenuhr, die neben dem "Cruz" errichtet wurde. Den Zeiger macht der Pilger selbst.


Er stellt sich je nach Jahreszeit in das passende Kästchen, rechnet eine Stunden- und Minutenkorrektur ein, und kann dann die minutengenaue Uhrzeit ablesen. Faszinierend.
Ich lege meinen in Kornburg aufgenommenen Stein ganz oben am Fuss des Eichenstamms ab, und damit eine Last, die ich 2300 km mit mir rumgeschleppt habe. Das tut gut.


Niederbayern ist übrigens auch zugegen. Gruppenfotos, Steinablegefotos.


Mir werden die verschiedensten Digicams in die Hand gedrückt. Wenn´s im Job schlecht laufen sollte, fange ich nach meiner Rückkehr in einem Fotogeschäft an :-))
Als Kurt am "Cruz" ankommt steuert er schnurstracksgerade auf mich zu. 2 Steine, Foto, komm mit, usw. Puh. "Kurt, bin auch gerade erst angekommen, würde gerne etwas verschnaufen, ankommen, ...", er versteht und zieht sich zurück.
Als einer der letzten verlasse ich den Ort. Die kultige Bar "Bei Tomás" und damit Niederbayern und Kurt lasse ich links liegen. Einige Kilometer lang bleibt der Weg noch auf der Höhe, es geht auf und ab durch die "Montes de León", bis schliesslich ein steiler Abstieg nach "El Acebo" führt. Unterwegs eine unheimliche Begegnung der besonderen Art. Eine Schlange liegt auf dem Weg, zischt mich an. Ich erschrecke und mache einen Satz zurück.



Das erste mal auf meiner Pilgerreise, dass ich richtig Angst habe. Die gut einen halben Meter lange Schlange verzieht sich gemächlich im Gebüsch. Es dauert zwei weitere Minuten, bis ich mich endlich traue, die Stelle zu passieren. In "El Acebo" steigen viele ab. Ich lege eine Pause in einer Bar ein, genehmige mir ein Radler, ein Bocadillo und sinniere über dieses Poster während ich das Brötchen vertilge.


Yayo der Charangospieler und seine Clique sitzen am Tisch in der Ecke . Ganz stolz erzähle ich ihnen von dem eben bestandenen Schlangenabenteuer.
Gestärkt steige ich weiter in das hübsche und ziemlich touristische Örtchen "Molinaseca" ab.


Auf diesem Streckenabschnitt eine völlig gewandelte Landschaft. Sattes Grün, ganze Felder von Cistrose (Ihr erinnert Euch?), ein Aromabad ohne Gleichen, meine Nase freut sich, Schmetterlinge tänzeln, dito die Vögel (Goldammern? Rotkehlchen?).



Über eine Römerbrücke erreicht man den alten Ortsteil, die Pilgergasse, die an alten Steinhäusern entlang führt. In der Bar am anderen Ende der "sirga peregrinal" begegnen mir zum dritten Mal die beiden Norweger Trina und Katu. Jetzt müssten wir aber wirklich die Adressen austauschen, meint Katu. Das verschieben wir auf später - ein Fehler. Wir werden uns nicht mehr sehen - zumindest an diesem Abend nicht. In den Gassen riecht es nach Holzfeuer. Zwei Alte holen die Paprikaernte ein. Ein Traum. Es ist Herbst.


Ich quartiere mich in einer sogenannten "Casa Rural" ein. Nicht ganz billig, aber ein eigenes Zimmer mit Flair in einem alten Landhaus mit Flair. Im Erdgeschoss des Hauses ein quadratischer etwa 100 qm grosser Raum, früher vermutlich der Stall, ist jetzt der Aufenthaltsraum für die Gäste: Küchenzeile, Kamin, Schreibtisch, alter Kram an den Wänden, Steinboden. Letzterer hat es in sich. Auf den Unebenheiten fühlt man sich wie ein Betrunkener. Selbst die Wirtin hat Probleme mit der Koordination. Wein nach Belieben, Frühstücksraum.


In einem Restaurant esse ich zu Abend (Pilgermenü) und kehre bald zurück. Treffe im Aufenthaltsraum auf die Berliner Jens, Tina, Carsten, Franziska.


Pilgern auf die angenehme Art. Haben in Ponferrade angefangen und werden kommenden Donnerstag schon wieder aussteigen. Nicht zu schaffen, daher steht Busfahren an. Wir unterhalten uns angeregt. Wortführer ist Jens ("Chens"), der Schnellkapierer in der Runde, so nenn ich ihn einfach mal. Erinnert mich an einen Typen aus meiner Studienzeit. Wir diskutieren Eigenheiten von Sprachen. Z.B. die Sache mit dem "i". Das gibt es mit einem Punkt (klar), ohne Punkt (im Türkischen) und mit zwei Punkten (im Französischen). Jens erzählt, dass er in der Türkei mal das Problem gehabt habe, das "i" mit Punkt auf der Tastatur nicht zu finden. Was tun? Mit Google suchen und die Funktion "Meinten Sie ..." verwenden. So einfach wie genial. Das gefällt mir. - Übrigens, schon mal googlefight.de ausprobiert? Was man auf dem Camino so alles erfährt!
Als ich mich ins Bett verabschiede, holen sie die Karten hervor. Nein, heute mal nicht Texas Hold'em, sondern Skat.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Don Pedro,
herzlichen Glückwünsch! Du hast es vollbracht! Das Projekt "Camino von zuhause aus"! Toll. Respekt! Eine super Leistung. Und vielen Dank nochmal für Deinen tollen Blog. War spannend, Dich "zu verfolgen" :-) . Und: macht natürlich Lust auf mehr, d.h. ich freue mich auf Deine Erzählungen zu Hause - vom Weg an sich, Begegnungen, Erlebnissen... . Geniesse Dein "Auslaufen", Deine Tage in Santiago und komme dann gesund und heil wieder zurück. Es ist schön, wenn Du wieder da bist. Vielleicht kriegen wir ja im Oktober sogar nochmal einen Motorrad-Ausflug hin. Gestern war ich bei Manfred`s Einweihungsfete. Ist schön geworden die Kanzlei; helle, einladende Räume, viel helles Grün, viel Licht - sehr nett. Fete war auch ganz gut - nur bissel kalt, wie es ja schon dauernd hier ist. Ich habe Karl mit Frau getroffen und wir haben schon mal mit einem Federweissen auf Dich angestossen!
So - das soll erst mal genügen, hab den Kommentar jetzt gerade zum zweiten Mal geschrieben; hatte das erste Mal offenbar den Klick auf "veröffentlichen" versäumt. Immerhin: ich hab`s noch gemerkt.
Pedro, mach`s gut - bis die Tage mal.
Herzlichen Gruß
Uwe

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,
vermutlich bist Du gerade bei der Pilgermesse in der Kathedrale! Ein wunderbares Gefühl, oder?
Ganz ganz schöne Tage in Santiago!
Liebe Grüße
Thea