Mittwoch, 30. Juli 2008

Kartoffellpü! Von Stans nach Flüeli-Ranft (Mo 28.7)

Regen prasselt auf's Scheunendach, Mücken nerven, der Bauer ist schon um fünf am Kruschen. Heute brauche ich keinen Wecker um aufzuwachen. Im Schlafsack sinnieren ist auch nicht drin. Die Mücken fressen mich. Meine Füsse sind total zerstochen. Von wegen Blasen, Mückenbisse sind das Problem!
Frühstück in der kleinen Bauernküche der Familie. Während des Frühstücks unterhalte ich mich angeregt mit Walters Frau Marie-Theres. Sie interessiert sich für die Motive meiner Pilgerschaft. Ja, warum mach ich das eigentlich? Auszeit, raus aus dem Alltag, Neugier, wie sich das anfühlt, welche Perspektiven aufscheinen. Menschen treffen, sich mit ihnen austauschen. Menschen, die am gleichen Punkt in ihrem Leben angekommen sind. Mein privates, mein berufliches Ich aus der Distanz betrachten und gegebenenfalls neu bewerten. Sportlicher Ehrgeiz natürlich auch. Als unreligiöser Mensch der ich mich fühle womöglich doch Spiritualität in mir zu entdecken. Last but not least, meine Heimat, insbesondere meine europäische Heimat (ich fühle mich als Europäer) intensiv und langsam neu kennenlernen.
Etwas später gesellen sich Charles und Gitte aus Holland, wie die Wasers um die Mitte 50, an den Frühstückstisch. Sie sind seit über 30 Jahren mit Marie-Theres und Walter befreundet. Charles, ebenfalls ein Wanderfreund, betreibt die Webseiten www.wandelpaden.com. Er und Gitte werden heute mit dem Glacierexpress St. Moritz besuchen. Als ich von dem tauben Gefühl in meiner linken Ferse erzähle, macht er sich richtig Sorgen. Ein guter Freund hätte etwas ähnliches gehabt und monatelang daran laboriert. Es geht hin und her, Halbwissen wird ausgetauscht, bis Marie-Theres vorschlägt, ich sollte mal in der Apotheke nachfragen. Gute Idee. Herzlicher Abschied von der Runde.


Entwarnung in der Apotheke, zumindest sind der Apothekerin die Symptome nicht bekannt. Ich solle meine Füsse gut pflegen. Na sischer dat ...

Auf dem Jakobsweg ist die Hölle los. Nun gut, so schlimm ist's auch wieder nicht. Allein, die Pilger, sie kommen. Kurz nachdem ich Stans verlassen habe treffe ich den Münchner Bernhard. Fluppe in der Hand sitz er auf einer Bank und geniesst die Aussicht. Ist gleich ein Volltreffer. Bernhard wird auch bis nach Santiago durchgehen. Ich denke wir werden uns noch öfter treffen. Diesmal bleibt's bei einem "Hallo" und "Geile Aussicht".


Den überwiegenden Teil der heutigen Strecke laufe ich mit GG, Gabi und Gerlind aus Rostock. Ein Dreamteam die zwei, beide Grundschullehrerinnen an der selben Schule. Als sie mir zum dritten Mal begegnen (vorher traf ich sie am Bahnhof in Stans - Hallo - später ziehe ich an ihnen vorbei, als sie rasten - Hallo - und dann jetzt) bleibe ich stehen ich halte ein Pläuschen. Gabi leidet, Sonnenalergie. Gestern viel Sonne und heute wieder. So kommen wir ins Gespräch und so laufen wir zu dritt los. Zwei Gänge langsamer, als bei meiner Reisegeschwindigkeit, aber wir unterhalten uns einfach blendend. Interessanter Nebeneffekt, kaum bin ich nicht mehr allein höre ich auf, konzentriert nach den Wegweisern zu gucken. Au weh - glücklicherweise macht das Gerlind sehr gut. Gabis Leiden hindert sie nicht daran immer wieder ein Liedchen zu trällern. Ich bewundere ihre Textsicherheit. FDJ - das sitzt. In der Ehemaligen sozialisiert. Wir haben viel Spass. Bald schallt es "Lauf, Peter, Lauf". Gerlind könnte bei "Wetten, dass" mitmachen. Als Freundin der Berge öfter auf der A9 unterwegs, scheint sie jede Ausfahrt auf dieser Strecke im Kopf zu haben. Jedenfalls kann sie sich daran erinnern, dass es bei Nünrberg die Ausfahrt Lauf gibt und, dass da irgendwo die Oberpfalz liege, was sie nie verstanden habe, weil die Pfalz doch eigentlich wo ganz anders ... Na, dass können wir aufklären. So, dann erreichen wir das Pilgerparadies - das Pilgerstibli. Pilgereinkehr auf Basis von Selbstbedienung. Es wurde an alles gedacht. Heisses Wasser, Tee, Kaffee, Kaltgetränke, Schokoriegel, ja sogar Jakobsmuscheln kann man hier auf Vertrauensbasis kaufen. Natürlich machen wir hier Rast. Doch die Krone setzen dem Ganzen meine beiden Begleiterinnen auf. Ein gutes Dutzend Fertiggerichte kommen plötzlich aus deren Rucksäcken zum Vorschein, darunter - jetzt kommt's - Kartoffelpüree! Heisses Wasser druff und Peter bekommt seine Lieblingsbeilage, hier, mittem auf'm Jakobsweg, irgendwo zwischen Stans und Ranft. Ich kann's nicht fassen. Schmeckt natürlich super. Gabis knallrote Waden werden mit Schweizer Quark, doppelte Fettstufe, verarztet. Sieht richtig gut aus und verschafft ihr Linderung.



So schaukeln wir zu dritt nach Flüeli-Ranft, wo wir bei Familie Rohrer-Gasser zum "Schlafen im Stroh" unterkommen. Als wir ankommen, geht schon längst der Punk ab.


Die Scheune ist voll, Wanderer und Pilger. Bernhard ist auch da. Mit ihm gehe ich hoch in den Ort, wo wir uns ein anständiges Abendessen genehmigen. Für meine beiden Begleiterinnen ist das nix mer. Den etwa 20-Minütigen Aufstieg hoch in den Ort wollen sie sich heute nicht mehr antun. Und aus dem gemeinsamen Bier, das wir trinken wollten, wird auch nichts. Als Bernhard und ich zurückkehren, liegen die meisten schon in den Kojen, ähm im Stroh.
Berndard und ich essen im "Tschiferli" Alpenmakeroni (Nudeln, Kartoffeln mit Käse überbacken, dazu Apfelmus). Sehr lecker. Am Nachbartisch sitzen zwei Frauen, die darauf warten, dass ihre Männer von der Steinbockjagd zurückkehren. Bis dahin nehmen sie mit uns vorlieb. Eine von beiden, Bäckereibesitzerin aus Luzern, kennt weder Punkt noch Komma. Bernhard wäre schon ganz nach ihrem Geschmack, so unser Eindruck. Wenn er mal nach Luzern komme, dann solle er sich melden, usw.


Dass wir beide nach Spanien pilgern, können die beiden nicht so recht verstehen, glauben. So, es ist schon nach 23 Uhr. Peter muss ins Bett und zuvor mit dem Radl zurück zum Stroh. Oje, hoffentlich finde ich zurück. Ausserdem hat mich das bloggen jetzt bestimmt ein Vermögen gekostet. Was tut man nicht alles für die Daheimgebliebenen. Gut's nächtle. Werde versuchen morgen weiter zu schreiben und auch ein paar Bildchen zu ergänzen.

PS (for whom it may concern)
Juan Luis Guerra, Salsero, der bei uns kaum mehr gespielt wird, scheint hier en vogue zu sein. Zumindest sind seine Songs eben häufig gespielt worden.

Engel überall, Von Brunnen nach Stans (So 27.7)

Grizi miteinander! Na wenn's Euch gefällt, schreib' ich gerne weiter. Meine Mittagspause fällt übrigens nicht selten kürzer aus als die Eure. Die Kilometer müssen erwandert werden, was v.a. hier in der Schwiiz gar nicht so leicht ist. Bin langsamer geworden. Entweder ist es sehr heiss, so z.B. heute mittag, oder es schüttet, so heute nachmittag. Ausserdem war ich gestern und vorgestern nicht alleine unterwegs. Doch dazu später mehr. Zurzeit sitze ich in einer Latinobar (Las Rocas), Bachata tönt aus den Boxen. Lustig, gelle? Ist übrigens absoluter Zufall. Ich habe meine Wirtin (Schlafen im Stroh) gefragt, wo man in Interlaken ins Internet kommt und da hat sie mir diese Bar empfohlen. Zufälle über Zufälle - bald kann ich's nicht mehr glauben. Auch dazu später mehr. Bin also in Interlaken. Soeben, völlig ahnungslos, was mich in diesem Ort erwartet, mit dem Fahrrad der Wirtin in die Stadt gefahren, und dann blicken mich - fast wäre ich vom Sattel gefallen, so überraschend kam es - die Gletscher der Jungfrau an (könnte auch Eiger oder Mönch sein). Fantastisch wie dieser Ort liegt. Dementsprechend touristisch geht es hier zu. Bueno, so ist also die Lage. Dann mal zurück zum Sonntag.
Regen am Morgern, tagsüber trocken, bedeckt und nicht zu heiss. Eine Schulmauer in Brunnen zeigt, was Kinder mit den Jahreszeiten verbinden, z.B. mit dem Frühling.



Die heutige Etappe führt überwiegend an den Hängen am Südufer des Vierwaldstätter Sees entlang, teilweise sehr steil und ausgesetzt.


Immer wieder mal eröffnet sich ein schöner Blick auf den See. Ach, die Schweizer Seen, einfach Klasse. Heute muss ich mich sputen, weil ich mal wieder erst sehr spät (in Brunnen) weggekommen bin. Ich habe mir ein ausgiebiges Frühstück im Cafe am "Hafen" gegönnt und dann war ich ja auch noch bloggen.
Ich lege nur kurze Vesperpausen ein. In Buochs verlässt der Jakobsweg den Vierwaldstätter See, letzte Gelegenheit für ein erfrischendes Bad. Verschwitzt wie ich bin nutze ich sie. Das ist in der Schweiz überhaupt kein Problem. Kaum eine Reglementierung. Hingehen, Ausziehen, Reinspringen - that's it. Etwa um Neun komme ich ziemlich ausgehungert in Stans an. Zuvor hatte ich mir am Ortsausgang von Buochs mal wieder einen Umweg erlaubt. Wie schon früher erwähnt, einmal pro Tag muss sein. Ich bin übrigens der felsenfesten Überzeugung, dass es nicht immer an meinen Träumereien liegt. Zumal ich mittlerweile von anderen erfahren habe, dass sie sich an manch einer meiner Knackpunkte auch verlaufen haben. Dummerweise passiert es meistens dann, wenn man am wenigsten damit rechnet. Diesmal hilft ein freundlicher Bauer, aus dessen Kuhstall lautstarke Rockmusik tönt. Er phast mich wieder richtig ein. Ach ja, mir scheint, dass mit dem Verlaufen birgt Potential für viele, viele Metaphern ...
Ich hab's ja dann doch noch nach Stans geschafft.



Auf dem Kirchplatz von Stans schaut die Eitelkeit einer Schönheit über den Rücken.


Das Hotel Engel am Dorfplatz lacht mich an. Hier esse ich zu Abend. Auf meine Frage, ob sie denn im "Touristenlager" noch was frei hätten, schaut mich der Kellner entgeistert an. Mehr aus Verlegenheit antwortet er: "Ähm, das machen wir schon lange nicht mehr." Ok. Dann muss ich mir eben ein anderes Quartier suchen. Ich blättere im Wanderführer. Dabei fällt mir auf, dass das Hotel Engel mit "Touristenlager" dasjenige in Emmetten ist, und nicht der Engel in Stans. Engel gibt es eben überall. Sei's drum, vom Engel aus melde ich mich via Handy bei Familie Waser zum Schlafen im Stroh an. Kein Problem. Kommen Sie nur vorbei, lädt Walter mich freundlich ein und beschreibt mir den Weg. Unser Hof ist gar nicht zu verfehlen. Er hat nicht damit gerechnet, dass es schon dunkel ist, als ich mich mit vollem Bauch (endlich mal wieder ein Weizen!) auf den Weg mache. Im Finstern sehen alle Höfe gleich aus. Ich greife lieber nochmals zum Handy und lasse mich von Walter zur Punktlandung in den Hof lotsen. Ich merke, der Bauer ist schon etwas ungeduldig (er war sogar im Ort gewesen um mich abzuholen, hat mich am Dorfplatz aber nicht gefunden - klar, ich sass ja im Engel). Ausserdem geht es schon auf Elf zu und er muss morgen wieder bald raus. Es folgt eine Kurzeinweisung. Heute Nacht bin ich der einzige Gast im Stroh. Gute Nacht.


Heimweh - Pilgern heisst auch mit den Füssen gegen Heimweh antreten. Heute kommt es oft. Die Sehnsucht nach dem Vertrauten und den Vertrauten. Glücklicherweise verhält es sich damit wie mit jedem anderen Gefühl. Es kommt und - es geht auch wieder. Plötzlich sind Sinne und Gedanken mit den neuen Eindrücken beschäftigt, und die Schmerzen sind dahin.

Sonntag, 27. Juli 2008

2 Pässe, 3 Seen, 3 Klöster, von Pfäffikon nach Brunnen (Sa 26.7)

Habe wunderbar im Heu geschlafen. Warm, weich, wohlig. Zwei Ehepaare aus Neuburg in der französischen Schweiz taten es mir gleich. Beim gemeinsamen Frühstück kommen wir ins Gespräch, woraus sich eine sehr belebte und lustige Unterhaltung ergibt.



Jaqueline und Rudy, Monique und Claude haben zusammen insgesamt 5 Söhne, die allesamt am nationalen Pfadfindercamp, das wohl irgendwo in der Nähe stattfindet, teilnehmen. Dieses nationale Camp findet nur alle 15 Jahre statt, also singulär im Leben eines Elternpaars. 22000 Kids nehmen heuer daran teil. Heute ist Elterntag. Beide Familien leben von der Winzerei. Wir vereinbaren, dass ich, wieder zuhause, mir eine Kiste von ihren Weinen zusammenstellen und schicken lasse. Schweizer Rotwein, mal was anderes als Schweizer Käse, von dem ich schon ausgiebig gekostet habe.

Heute ist es bewölkt und nicht so warm. Ein Tag zum Kilometerabspulen. Vom Lützelhof geht's hinauf zum Etzelpass auf 950m. Unterwegs begegnet mir die Botschaft "Pilgern heisst mit den Füssen beten". Wenn es danach geht, dann habe ich in den letzten Tagen sehr viel gebetet.
Etwa auf Passhöhe liegt der kleine Ort Tüfelsbrugg (Teufelsbrücke), in dem Paracelsus gelebt hat. An der Teufelsbrücke über die Siehl hat man ihm ein Denkmal gewidmet. Auf Passhöhe ist die Landschaft von Hochmoorwiesen geprägt. Sehr schön anzusehen in den verschiedenen Grün- und Brauntönen. Schon fast eine Art Hochebene. Die dahingestreuten Hütten erwecken für mich den Eindruck einer Gartenkolonie mit viel Platz. Weiter gen Südwesten wandernd, immer noch auf etwa 900 Meter, kommt bald der Siehlsee (ein Stausee) in Sicht und dann auch schon Einsiedeln, mit dem alles überragenden Wahrzeichen des Ortes, dem Kloster Einsiedeln.



Hundertausend Besucher begeben sich alljährlich zur Wallfahrt nach Einsiedeln. Entsprechend intensiv wird hier der klerikale Kitsch (Kreuze, Kerzen, Marienstatuen, etc.) angeboten. Zurück geht das Kloster auf St. Meinhard. Ein Mönch, der 26 Jahre lang am Etzelpass als Einsiedler lebte. Eines Tages kamen zwei Räuber und erschlugen den armen Mann. Doch die Räuber haben nicht mit den Krähen gerechnet. Der Sage nach folgten zwei von Meinhard aufgezogene Krähen den Räubern bis ins ferne Zürich, wo man sie schliesslich entlarvte und auf den Scheiterhaufen schickte.
Betritt man die barocke Klosterkirche, raubt es einem den Atem. Prunk, Gold, Glanz. Die Orgel ertönt. Bewegend.



Gegen halb vier verlasse ich Einsiedeln, der nächste Pass, das Haggenegg auf 1414m, ruft. Der höchste Punkt des schweizer Jakobsweges. Wohlan Herz, hinauf!
Unterwegs komme ich im Tal der Alp, unweit von Einsiedeln, am Benediktinerkloster Au vorbei. Wie man sieht ist die Klosterdichte hier sehr hoch. Man wandert hier im Gebiet der zwei Mythen, zwei markante Bergspitzen, die beim Auf- und späteren Abstieg, stete Begleiter sind.



Heute bin ich flott unterwegs. Beim Aufstieg hole ich eine halbe Stunde in Relation zu den im Wanderführer angegebenen 1,5 Stunden ein. Dafür belohne ich mich oben am Haggenegg mit einer Apfelschorle und dem Blick zu den Mythen und ins Tal des Vierwaldstättersees. Leider ist es sehr diesig. Zudem deutet ein Grollen eine Wetteränderung an. Um Sieben beginne ich den Abstieg, 900 Höhenmeter hinab zum See. Er führt, schon weit unten, durch den beschaulichen Ort Schwyz (am Ortseingang das dritte Kloster an diesem Tag). In Schwyz wurde 1291 der Zusammenschluss der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden besiegelt. Daher stand Schwyz bei der Namensgebung für die Alpenrepublik Pate. Als ich durch Schwyz komme, schon recht schlapp, unternehme ich einen zarten Versuch hier Quartier zu beziehen. Der scheitert, so dass ich die restlichen knapp 5 Kilometer nach Brunnen weitergehe, in der Hoffnung in einer Scheune Unterschlupf zu finden. Und wie so oft. Die Scheune kommt in persona des Pensionärs Franz. Der lässt mich für 10 Franken im ausgedienten Schweinestall nächtigen.


Rührend wie er sich bemüht es mir einigermassen gemütlich einzurichten. Schleppt Kartons bei, stellt Tisch und Stuhl auf, zeigt mir wie man Grundwasser pumpt und bringt zu guter letzt, ich stehe gerade nackig unterm Gartenschlauch, ein "Nachtdessert" vorbei. Einen Obstsalat mit Schlagsahne. Das kommt mir gerade recht, da ich noch nichts zu Abend gegessen habe, keine Aussicht auf selbiges habe, und mein Proviant komplett aufgezehrt ist. 36 km und ca. 1000 Höhenmeter haben einiges an "Sprit" gefordert.

Der erste Schwumm, von Au nach Pfäffikon (Fr. 25.7)

Beim Frühstück überraschen mich Uschi und Richi mit zwei Geburtstagsgeschenken. Sie überreichen mir eine Flasche Rotwein, die ihnen der Jubilar gestern Abend für mich mitgegeben hat (für den Bruder im Geburtstag sozusagen) und - Übernachtung und Frühstück seien für mich gratis. Wow, ich bin sprachlos, weiss gar nicht, wie ich meinem Dank Ausdruck verleihen soll. Dann erinnere ich mich einer der Botschaften meiner Pilgerschaft, nämlich der, dass wir alle letztendlich miteinander vernetzt sind, und Geben und Nehmen, Schenken und beschenkt werden sich auf diese Weise mittelbar unter uns Menschen fortpflanzen. Den Rotwein lasse ich nach längerem Abwägen (im wahrsten Sinne des Wortes) im Schwendistübli zurück. Die beiden werden einen geeigneten Anlass für dessen Vernichtung finden.
Nach dem Frühstück verabschiede ich mich von Uschi.



Richi führt mich noch kurz durchs Haus, zeigt mir die Scheune, das Freizeit-Bänkli, das man ihm an seinem letzten Arbeitstag geschenkt hat und dann ziehen wir beide los mit dem Ziel "Hörnli" (1133m), wohin uns etwa noch 300 Höhenmeter fehlen. Mein temporärer Wanderkumpan kann einige Geschichten erzählen, aus seinem Freundeskreis, aus der Familie, aber auch die Pilger bringen Geschichten vorbei. So z.B. der Lokomotivführer aus Deutschland, der sich auf Pilgerschaft begab, weil er drei Schicksalsschläge zu verdauen hatte: Sohn verstorben, Frau davon gelaufen, 8 Menschen mit der Lok tot gefahren. Und auf Pilgerschaft hat der suspendierte Bahner dann prompt seine Freundin kennengelernt mit der er dann das Jahr drauf dann gleich nochmal auf Pilgerschaft ging. Dinge passieren ... Oder. Richis Freund, Chef der Airline "Edelweiss", käme hin und wieder mit dem Hubschrauber beim Schwendistübli auf einen Kaffee vorbei. Im richtigen Leben flöge der Mitfünfziger einen Airbus über den Globus. Punkt, kurze Redepause, und dann kommt das "Top!" unterstützt mit der Geste des nach oben gestrecktem Daumens, das Richi gern ans Ende einer Pointe setzt.
Oben am Hörnli lassen wir uns kurz auf ein Getränk nieder und verabschieden uns dann.



Während er zurück ins Kanton Thurgau steigt, ziehe ich weiter ins Züricher Oberland.



Etwa 10 km weiter im Tal eines Flüsschens fröhlich wandernd, kommt völlig unscheinbar der Weiler Ried daher. In dem Ort zweigt der Jakobsweg ab, werde ich im Wanderführer vorgewarnt. Schön, endlich geht es weg von der Strasse. Bei brütender Hitze laufe ich sage und schreibe drei mal durch dieses Kaff, vom Ortsanfang bis zum Ortsende und vice versa, bis ich endlich die verdammte Abzweigung eher errate denn entdecke. In der linken Hand auch noch eine prallgefüllte Vespertüte, da ich kurz zuvor einkaufen war und eigentlich nur kurz nach einem schattigen Plätzchen für die Brotzeit Ausschau halten wollte. Aus der kurzen Weile wird dann ein Stündchen.
Eine Stunde später verlaufe ich mich erneut in dem Ort Rüti. Anstatt den kühlen Aspwald bringt mir der Irrweg einen romantischen Spaziergang durch die wenig ansehnliche Stadt Rüti und entlang eines stark befahrenen Autobahnzubringers ein. Suboptimal gelaufen, die Fährtenroute heute.
Dafür werde ich in Rapperswil, das idyllisch am Zürichsee liegt, belohnt.



Ein quirliger, mondäner Ort, ein bisschen wie Gardasee. Ich kühle meine Füsse im See und erfahre bei dieser Gelegenheit von der Dame, die mit plantschendem Enkelsohn neben mir verweilt, dass es nebenan eine offizielle Badeanstalt gebe.



Nichts wie hin und ab in den See. Das tut saugut! Der Eintritt ins Bad ist frei. Man bezahlt lediglich für die Benutzung der Kabine 2 Franken, sofern man sie benötigt. Nett.
Über den 3 Millionen Franken teuren, eigens für die Pilger (so heisst es zumindest) wieder installierten Holzsteg, gelange ich ans andere Ufer des Sees und dann am Bahndamm entlang in wenigen Kilometern den Ort Päffikon. Hier übernachte ich am Lützelhof im Heu. Der Hof ist riesig. Neben Landwirtschaft setzt die Familie auf Eigenvertrieb, Tourismus und Partyservice. Heute Abend findet eine Hochzeit statt, was für mich die lustige Begebenheit mit sich bringt, dass ich von unten vom See her kommend, schwitzend, schnaufend und müde, durch eine Wolke von wohlduftenden Hochzeitsgästen einlaufe. Skuril, um halb Elf ist die Fete vorbei. Eine Hochzeit, Unvorstellbar!

Samstag, 26. Juli 2008

Das Schwendi-Stübli, von Märstetten nach Au (Do, 24.7)

Die Morgenstunden waren wieder verdammt kühl. Beim nächsten Open-Air-Schlafen lasse ich die Socken an, wenn's weiter so geht. Als ich so gegen halb Sieben, halb wach, halb schlafend im Schlafsack vor mich hin siniere, hat Roli den Eseln, die in unmittelbarer Nachbarschaft nächtigten, bereits Heu gegeben. Das mahlende Geräusch ihrer Gebisse untermalt mein Wachträumen, was ich als sehr angenehm empfinde. Bevor ich den Abflug mache, lädt Roli mich auf ein Frühstück ein. Während wir in seiner Stube Kaffee trinken und Brote essen, zeigt er mir Fotos am PC, mit deren Belichtung er nicht sehr zufrieden ist. Seine digitale Canon hat er auch bereit gelegt. Ich gebe ihm Tipps, wie aus meiner Sicht das Ergebnis bei kontrastreichen Motiven besser ausfallen könnte. Schnell noch einen Blick in seinen Web-Fahrradshop brocky.ch (brocky kommt übrigens von Brockenhaus, so heisst das Anwesen schon seit langer Zeit; Brockenhaus steht für Antiquitätenhaus - die wurden hier früher auch verkauft).


In Rolis Herz ist ein grosser Platz für Tiere. Neben den schon erwähnten Hühnern und Eseln bewohnt auch eine 13-jährige Schäferhündin das Brockenhaus. Leider hat das Leben die Hündin schon arg gezeichnet. Ausgedehnte Touren mit ihrem Herrchen in die Alpen, auch in Gletscherregionen, haben dazu beigetragen. Die Hündin leidet, hat Arthrose. Dennoch trottet sie brav dem Herrchen hinter her, kringelt sich bald im Ledersessel, bald auf dem Ledersofa der Bar ein.
Die Bar muss man sich übrigens etwa so gross wie einen Schupfen vorstellen. Ein Fachwerkbau, der nur im unteren Teil zugemauert ist. Im oberen Teil, etwa ab 1m Höhe, steht das Fachwerk allein, so dass man nach draussen schauen kann. Luftig die Sache. Mich erinnert die Bar an Strandcafes, wie ich sie manchmal am Mittelmeer oder in der Karibik gesehen habe. Jedenfalls ziemlich cool!
Und dann macht Roli mir ohne es zu ahnen auch noch ein Geburtstagsgeschenk. Auf die Frage, was ich ihm denn schuldig sei, erwidert er mit einem spontanen "Nix, is scho guat so". Davon lässt er sich dann auch nicht abbringen. Danke Roli! Ich fand's Klasse mit Dir in Deinem Brockenhaus. - Auf die Frage nach dem Erinnerungsfoto, kommt dann eine Antwort, mit der ich so ähnlich schon gerechnet habe: "Des hat bisher noch keiner geschafft, odr?". Alles klar. Abschied, ich marschiere weiter gen Märstetten (etwa 2 km), Roli schmeisst den Motor seines Lieferwagesn an, um ein Fahrrad auf den Weg zum Kunden zu bringen.
Die heutige Strecke führt von Märstetten über Fischingen nach Au, einem kleinen, unterhalb des Hörnli liegenden Dorfes. Insgesamt sind's etwa 34 km.


Pilgerverpflegung

Das Wandern in der Schweiz unterscheidet sich von dem in Schwaben. Ich gehe überwiegend auf wenig befahrenen Landstrassen und Feldwegen, selten durch Wald.


Einladender Friedhof

Die Beschilderung ist überwiegend sehr gut. Das ist abolut wichtig, weil in der Schweiz-Ausgabe des Outdoor Wanderführers der Weg nur sehr grob beschrieben ist. Schade. Überspitzt lauten die Formulierungen in dem Buch etwa "Sie laufen von A nach B und passieren dabei Wiesen und Wälder". Na ja. Ich werde dennoch auf Karten verzichten.


Mr. Relativitätstheorie grüßt unterwegs


Lockpfosten zu einem landwirtschaftlichen Lehrpfad

In Fischingen kehre ich ein und finde Dank des netten Wirts Roman eine Bleibe im Nachbarort Au, im Schwendi-Stübli. Kurzes Telefonat mit der Eigentümerin und die Sache ist gebongt. Zunächst muss ich mir das Bett aber noch verdienen, weil das Stübli etwa einen Kilometer ausserhalb von Au streng bergan auf etwa halber Höhe zum 1133 m hohen Hörnli liegt. Das heisst für mich nach zwei Radler noch 300 Höhenmeter bewältigten. Ich schwitze, aber das ist ja der Sinn der Übung.
Uschi und Richi, beide um die 60, empfangen mich total herzlich. Ich bin heute ihr einziger Übernachtungsgast. Deren Haus liegt JWD. Dafür hat man eine herrliche Aussicht. Mit viel Liebe zum Detail haben die beiden in 16 Jahren mühevoller Arbeit mit Unterstützung ihrer Söhne und Freunde aus dem alten Anwesen eine schnucklige Hütte gemacht, inklusive Partyscheune und vier Matrazenlager, u.a. für Pilger. Zur Begrüssung gibt's dann erst mal ein Bier, was mir gscheid recht kommt. Richi, weist mich ins Haus ein, kurzer Plausch. Viel Zeit bleibt ihnen nicht, weil sie heute Abend zu einer Geburtstagsfeier (!) eingeladen sind. Heute, an meinem Geburtstag. Ich kann's mir nicht verkneifen und verrate, dass auch ich heute Jubeltag habe. Bevor sie gehen drückt mir Richi das Tagebuch eines Freundes, des Köbi, in die Hand. Der war vor ziemlich genau zwei Jahren in 52 (!) Tagen von Rohrschach nach Santiago gepilgert. Irre! Täglich etwa 50 km mit 13-15 kg Gepäck auf dem Rücken. Das ist nicht mein Ziel, odr?

Im Brockenhaus, von Meersburg via Konstanz nach Märstetten (Mi, 23.7)

Grizi Miteinander! Vielen Dank für Eure Geburtstagswünsche. Es tut gut zu wissen, dass da draussen in der Ferne Leute sind, die in Gedanken mitwandern. Mittlerweile bin ich seit 4 Tagen in der Schwiiz unterwegs. Ach, die Schweiz, sehr schön. Im Südosten die teils vergletscherten Aplpengipfel, saftige Wiesen mit Kühen drauf, Kuhglockengebimmel allenthalben, alle Nase lang Dorfbrunnen oder Brunnen mitten in der Pampa, aus denen trinkbares, köstliches Bergwasser fliesst (heute kein sz, das fehlt auf Schweizer Tastaturen!). Sehr pilgerfreundlich. An einem Holzhaus lädt die Tafel "Zum dä Durst löschen" ein, darunter der Wasserhahn. Wenig später steht eine Steige Kornäpfel am Strassenrand: "Gratis Äpfel", da freut sich der Pilger (nix mehr mit verdursten auf hoher See und so, Ihr erinnert Euch?). Allein, es fehlt an Internetcafes. Daher melde ich mich etwas verspätet. Gestern bin ich in Rapperswil am Zürichsee im Kanton St. Gallen angekommen. Konton Thurgau und Züricher Oberland liegen schon hinter mir. Feste bergauf, bergab, das macht schlapp. Zurzeit stehe ich in der Touristeninfo in Einsiedeln (3,5 Stunden und 500 Höhenmeter habe ich heute schon absolviert). Habe soeben die Klosterkirche besichtigt. Barock, sehr beeindruckend. Wunderschöne Deckenfresken, viel Gold und - oben in der Kuppel leuchtet ein satt orangenes Licht, die Orgelpfeifen erklingen. Habe geweint.
Doch alles der Reihe nach - zurück zum Mittwoch.
Sonne bereits am Morgen, endlich! Nehme mein Frühstück im Salon der Pension Rothmund in Meersburg ein.


Frau Mayer, die Eigentümerin, und ihre Mitarbeiterin machen das sehr liebevoll. Es gibt reichlich, um das Wohl des Gastes ist man sehr besorgt. Welch ein Glück, dass ich hier Quartier beziehn konnte. Die jetzt um 8.00 Uhr noch tief stehende Sonne scheint in mein Frühstücksgesicht und steigert meine Vorfreude auf den Tag. Heute geht's nach Konstanz, heute geht's in die Schweiz. Zuvor, Stadtrundgang Meersburg, "Ballastabwurf", mit dem Personenschiff nach Konstanz. Das Schiff ist gut beladen und wird von Möwen begleitet. Auf dem Bodensee eine Armada von Segelschiffen. In der Hafeneinfahrt von Konstanz grüsst die "Imperia" von Peter Lenk (Ihr erinnert Euch, der Esel mit dem Schatten in Biberach war auch von dem Nürnberger Künstler).


Die überlebensgrosse Figur hält eine Waage in der Hand, in der linken Schale der Papst, in der rechten der Kaiser. Eine Anspielung auf die vielen Huren, die während des Konstanzer Konzils in der Stadt verweilten. - Nach der Ankunft, Bloggen, Stadtrundgang (schöne Altstadt, markantes Münster, viel Fachwerk, Pulverturm und Rheintorturm an der Mündung des Rheins in den Bodensee. Ich bin überrascht, wie breit der Rhein hier schon ist. Elizabeth und Klaus, die, die nach Rom wollen, begegnen mir wieder. Kurzer, sehr herzlicher Plausch, und Tschüss. Dann straight forward vom Münster die Wesselbergstr. entlang durch die Fussgängerzone in Richtung Schnetztor und Hushaus, dem Geburtshaus des tschechischen Reformators Jan Hus, den man bekanntermassen seiner progressiven Ideen wegen einen Kopf kürzer gemacht hat. Ham's nicht immer leicht, die Tschechen. Bevor ich das Hushaus erreiche fängt mich jedoch ein türkisches Haus ab - ein Schnellrestaurant. Der dem Lokal entströmende Pizzaduft hat mich kleben lassen. Leckere Thunfischpizza und Coke - ausnahmsweise. Mir gegenüber sitzen Sabine und Sohn Lorenz. Wir kommen ins Gespräch.


Lorenz hat heute sein Zeugnis bekommen und offensichtlich haben weder er noch seine Mama Grund zur Klage. Lorenz' Lieblingsfächer sind Erdkunde und Sport, womit wir auch schon bei der EM und dem Marathon wären. Sabine interessiert sich für den Pilgeralltag, ich stehe gerne Rede und Antwort. Die beiden wirken auf mich wie ein traumhaftes, sehr harmonisches Mutter-Sohn-Paar. Gerne hätte ich mich länger mit ihnen unterhalten, doch sowohl sie, als auch ich müssen weiter. Beim Abschied empfiehlt mir Sabine die Besichtigung des Lenk-Brunnens. "Ach ja, stimmt, davon habe ich gelesen. Der wäre mir glatt durch die Lappen gegangen", entfährt es mir.
Der Lenk-Brunnen. Feist-fette, geile, laszive Figuren, Affen und Hunde mit Menschengesichtern treiben ihr Wasserspiel, dabei beobachtet von über ihnen schwebenden Figuren, die ein Steuer in Händen halten, den Fuss am Gaspedal. Hm. Die Botschaft ist mir nicht ganz klar. Recherche tut Not.


Vom Lenkbrunnen aus dann aber schleunigst in die Schweiz. Es ist bereits halb Sechs! Wie befürchtet irre ich in Kreuzingen, der nahtlos an Konstanz angrenzenden schweizer Nachbarstadt, umher, doch bald habe ich verstanden: immer einfach dem Schild mit der Aufschrift "Schwabenweg" nach, so heisst der Jakobsweg hier im Kanton Thurgau. Allzuweit komme ich nicht. Es ist etwa halbneun, als ich an einem sehr idyllisch gelegenen Bauernhof vorbeikomme. Hier wohnen u.a. 3 Esel, die mich neugierig beäugen. Nach dem Schatten des Esels jetzt also die Heilige Dreieinigkeit, Mutter Esel, Tochter Eselin und der Heilige Geist Esel ... Jetzt gehen aber die Gäule, ähm Esel, mit mir durch. Sei's drum, ich lichte die Heilige Dreieinigkeit ab und ziehe weiter.


Als ich etwa 500 Meter weiter einem dringenden Bedürfnis nachgehe, bedenke ich die Sache noch einmal - und kehre um. Erstens kann ich mich nicht des Charms der zum Anwesen gehörenden Bar "Santiago de Compostela" entziehen und zweitens wird eine Übernachtungsmöglichkeit angeboten. So kommt's also, dass ich Roli kennenlerne. Ihm, bzw. wie er sagt den Banken, gehört das Anwesen. Er lebt hier und bestreitet seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Büchern und von ihm aufgemöbelten Fahrrädern. Daher also die vielen Fahrräder, die am Zaun lehnen. Und ich dachte zuerst, hier lebt eine Grossfamilie. Sein Geschäft betreibt Roli v.a. im Internet.
Roli lädt mich auf Bier in der Bar "Santiago" ein und reichert mein Vesperbrot mit Cocktailtomaten (Eigenanbau) und gekochtem Ei (Hühnereigenzucht) an. Wir sitzen nebeneinander auf dem Sofa der Bar und schauen der Sonne beim Abtauchen zu, während wir über das Wesen der Pilgerschaft, die Hektik in den Städten und seinen Internetshop brocky.ch (unbedingt anschauen, ist sehr liebevoll gestaltet!) philophieren. Als es dunkel ist rolle ich mich in den Schlafsack und Roli zieht sich in sein Haus zurück.

Mittwoch, 23. Juli 2008

Am Eingang zur Schweiz

Grizi miteinander! Bin in Konstanz, Teleshop. Türkisches und schwäbisches Kauderwelsch im Hintergrund. Gleich geht's weiter zum Stadtrundgang und dann in die Schweiz. Bin vorhin mit dem Boot von Meersburg rübergekommen. Endlich scheint die Sonne, es wird wärmer.

Kleiner Rückblick zu meiner Tour durch Schwaben. Landschaftlich reizvoll, insbesondere die schwäbische Alp, nette Ortschaften und v.a. sehr nette Menschen. Ich habe ausnahmsweise hilfsbereite und kommunikative Menschen getroffen. Es ist so wie im Rheinland, in Schwaben sitzt man nicht allzulange alleine an einem Tisch. Dörfer und Städte sind sehr aufgeräumt, die oft zitierten Häusle werden wirklich gebaut. Der Jakobsweg führt immer wieder durch Siedlungsgebiete. Meiner Empfindung nach ist die EFH- und DHH-Bebauung ansprechend, teilweise zukunftsweisend und überwiegend schön anzusehen. Ich habe, wenn überhaupt, nur wenige architektonische Verbrechen gegen die Ästhetik gesehen (was man von fränkischen Dörfern nicht immer behaupten kann).
Ich weiß, die Experten werden mich jetzt rügen. Wie kann man Ries-Schwaben, Donau-Schwaben, Bodensee-Schwaben und wie sie alle heißen, in einen Topf schmeißen. Welch ein Frevel! Was soll's, so habe ich es erlebt. Biberach und Ulm hätte ich mir gerne länger angesehen. Kommt noch, aber dann nicht allein ;-) So, jetzt muss ich weiter. Bis demnächst. Peter

Verdurstender auf hoher See, von Zillisbach nach Meersburg (Di, 22.7)

Der frühe Vogel fängt den Wurm, getreu dieses Mottos laufe ich heute schon gegen sieben los (ein Seiteneffekt meiner Pilgerschaft - ich entwickle mich allmählich zum Frühaufsteher und - aufgemerkt! - Frühzubettgeher).
Doch auf den Wurm muss ich lange warten. Erst dreieinhalb Stunden später gibt's in Markdorf ein Frühstück. Nördlich des Bodensees bin ich jetzt unterwegs, unweit vom selben, und bekomme ihn dennoch nicht zu Gesicht. Die Vorfreude steigt. Das Ziel der ersten großen Etappe auf meinem Weg nach Santiago ist in greifbare Nähe gerückt. Die Landschaft ist lieblich, kaum Steigungen, Obst- und Weingärten, so weit das Auge reicht. Gerne würde ich jetzt in einen saftigen Apfel herzhaft beißen. Allein, ich bin Verdurstender auf hoher See. Überall Wasser, aber ... Überall (unreife) Äpfel, aber ...


Der Versuch welche käuflich zu erwerben, schlägt fehl. Bei einem Bauern ist das Lager völlig leer, beim anderen ist auf dem Hof (Hinweisschild "Bioäpfel direkt vom Bauern") kein Mensch anzutreffen. Offensichtlich ein ungünstiger Zeitpunkt, so kurz vor der Ernte (fast hätte ich Rente geschrieben, ein Freudscher?).
Zurück zum Frühstück in Markdorf. Das genieße ich dann umso mehr. Sitze draußen im "Cafe Leckerle", warm eingepackt, denn es ist sehr frisch, wenn die Sonne gerade mal nicht scheint, was sie auch heute leider viel zu oft tut (das Nichtscheinen). Im "Leckerle" werden Produkte aus fairem Handel verkauft, aus dem Lokal rieseln Songs aus Afrika und Karibik nach draußen und dringen in mein Ohr, der Wirt ist sehr nett, die Seelen schmecken lecker (wie sonst) und seit langem gibt's mal wieder eine Banane. Hier gefällt es mir.


Kunst in Markdorf


Weitere 3 Stunden später bin ich dann in Meersburg. Welch ein Kontrast. Hier geht der Punk ab. Tourismus pur. Oberstadt und Unterstadt, beides sehr schön anzusehen. Fachwerk über Fachwerk, doch in jedem Haus entweder ein Souvenirshop, eine Eisdiele oder ein Restaurant verpackt. Und, Menschen über Menschen, babylonisches Sprachengewirr. Harter Tobak für den einsamen Wanderer.


Dennoch, nichts wie runter zur Uferpromenade. Hier erfreue ich mich eine zeitlang am bunten Treiben, finde dann mit Müh und Not ein Zimmer (was sich später als Glücksgriff erweist), mache mich frisch und gehe - einer Empfehlung von meiner Zimmerwirtin Fr. Mayer folgend - bei "Da Bruno" so richtig gut essen. Krönender Abschluss der ERSTEN ETAPPE, der ersten 380 km. Guts Nächtle ;-)

Ravensburger Puzzlespiele, von Weingarten nach Zillisbach (Mo, 21.7)

Unruhige Nacht im Rössel. Keine Ahnung warum. Wahrscheinlich war das Abendessen einfach zu gut. Bin ich nicht mehr gewohnt. Tagsüber gibt's für den Pilger normalerweise Käsebrötchen bzw. Käseseelen (wie man hier die länglichen, baguetteartigen Brötchen nennt) und zwischendurch mal was Süßes. Frühstück im heimeligen (weil mit allerlei Antiquitäten geschmückten) Biergarten des Rössels, Abschied mit Foto vom Personal, kleiner Stadtrundgang und weiter geht's.


Von Weingarten nach Ravensburg. Am Ortsausgang von Weingarten komme ich an einem Feld mit Tafel vorbei, auf der steht: "Bioland, wir arbeiten ohne Gentechnik". Das erinnert mich an den Zeitungsartikel, den ich während des Frühstücks gelesen habe. Ein Interview mit Christiane Nüsslein-Volhard (Bioglogin(?) am Max-Planck-Institut Tübingen). Zur Frage nach ihrer Hoffnung für die nahe Zukunft sagt sie: "[Ich glaube, ]dass die grüne Gentechnik einen Fortschritt und eine Chance für Welternährung und Umweltschutz bedeutet - und nicht einen Irrweg. Für den Einsatz der Gentechnik in der Biomedizin, die sogenannte rote Gentechnik, hat sich diese Erkenntnis ja bereits durchgesetzt. Bei der Gentechnik auf dem Acker müssen wir endlich die ideologischen Hürden überwinden." Ich frage mich, wo hört Überzeugung auf, wo fängt Ideologie an.
Die Strecke nach Ravensburg führt auf großem Umweg durch den Wald, was mich ein wenig ärgert, weil mir nicht klar ist, warum. Kann doch nicht sein, dass die Pilger seinerzeit freiwillig lieber mehr Kilometer zurücklegten. Oder doch? Zu allem Überfluss verlaufe ich mich auch noch im Wald. Sei's drum. Als mir endlich Ravensburg zu Füßen liegt, lege ich eine Rast auf einem Parkbänkle ein (mein Schwäbisch macht Fortschritte) - es folgen Vesper und Schuhputz. Nach gut 350 km sollten die Schuhe auch mal wieder ihr Fett abbekommen.
Ravensburg, wie das klingt. Ravensburg, die Stadt meiner Kindheit, Ravensburger Puzzles. Über 40 Jahre sollten vergehen, bis ich hier herkommen sollte. Und dann dies.
Erstens, als ich mittags eintreffe ist es zu spät. Heerscharen von Menschen kommen mir entgegen. Der Festumzug, Höhepunkt des sogenannten Rutenfests, ist soeben zuende gegangen. Erster Impuls Ärger, doch dann die Frage, weshalb? Zuhause schaust Du Dir die Festumzüge ja auch nicht an. Was wiederum zur Frage führt, sollte ich solchen Veranstaltungen in meiner Heimat vielleicht mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen? Und "Heimat", auch so ein Begriff, der mir im Kontext Rutenfest zugeflogen kam. Über was man so alles nachdenkt auf der Pilgerschaft.
Und zweitens. Als ich durchs Frauentor in die Altstadt eintrete, setzt Regen ein, der sich hartnäckig hält. Es kühlt deutlich ab. Ja Uwe, in diesem Moment bin ich ob des Regens ziemlich frustriert. Wollte mir eigentlich in Ruhe die Stadt anschauen, statt dessen schlage ich mich von überdachtem Ladeneingang zum nächsten durch. Allerdings nicht allzu lange. Obwohl viele Menschen unterwegs sind und die Bierbänke auf dem Marktplatz gut belegt sind, wirkt sie trostlos. Wegen des Rutenfestes ist der heutige Montag nämlich Feiertag.



Ich ziehe mich in ein kultiges Cafe zurück, wo mir freundlicherweise die Freundin des Kneipiers ihr Apple-Notebook überlässt, so dass ich Euch was schreiben kann - und zwar so lange, bis der Akku den Geist aufgibt. Später mache ich dann im Internetcafe weiter.
Am späten Nachmittag ist's dann wieder sonnig und ich kann doch noch Fachwerk, Türme und Kirchen schauen ("Ravensburg, Zentrum Oberschwabens, Stadt der Türme" heisst es in einem dieser Infoblättle für Touris - Sachen liest man da, ich kann Euch sagen, ich meine nicht nur hier, da werden Superlative verwendet, faszinierend, ist eine eigene Sprache, dieses "Tourismusflyerdeutsch").


Gegen Fünf (viel zu spät mal wieder) breche ich auf. Schaffe es bis Zillisbach bei Brochenzell/Meckenbeuren.


Es ist schon finster, als ich unter einer von 6 mächtigen Pappeln meinen Schlafsack ausrolle.


Sehr mutig, denn es tröpfelt, bin Optimist. Es nieselt nachts dann in der Tat immer wieder, aber die Baumkrone meiner Pappel bietet ausreichend Schutz. Ich schlafe sehr gut.

Montag, 21. Juli 2008

Blutritt, von Winterstettenstadt nach Weingarten (So 20.7.)

Von Winterstettenstadt über Bad Waldsee nach Weingarten. Das Allgäu grüßt. Die Wiesen werden saftiger, die Hügel sanfter. Pilgern heißt auch, mit allen Sinnen wahrnehmen. Du spürst den Wind und die Füße, Du schaust Landschaften, Orte und Menschen, Du hörst Vögel, den Regen und die akustischen Ausdünstungen der Zivilisation und Du riechst die drei olfaktorischen K: Küchen-, Kirchen- und Kuhstallaromen. Eine mehrdimensionale Angelegenheit.
Am Ortsrand von Bad Waldsee begegne ich Roland und Rocky. Roland, ein netter Zeitgenosse, der gern zum Campen an den Plattensee fährt, Rocky, ein 8 Wochen alter Dobermann, der ganze Stolz seines Herrchens. Roland ist sehr interessiert an dem Drumherum der Pilgerschaft und wünscht mir alles erdenklich Gute auf meinem Weg. Sollte ich mal wieder vorbei kommen, dann lädt er mich gerne auf 'nen Kaffee oder ein Weizen ein. Ist gemerkt!

Manchmal könnte man schon glauben, dass da jemand ist, der aufpasst. Am späteren Nachmittag, auf der Strecke von Bad Waldsee nach Weingarten, erwischt mich ein Wolkenbruch genau, aber wirklich genau zu dem Zeitpunkt, als ich an der Sprengstein-Hütte vorbeikomme. Kilometer vorher, Kilometer nachher absolut keine Möglichkeit sich unterzustellen, und genau dann ... Schon irre! Etwa eine Stunde später, beim nächsten Wolkenbruch, passt allerdings keiner mehr auf. Da erwischt's mich mitten in der Prärie. In gewisser Weise auch beruhigend ... GoreTex-Jacke übergestreift und weiter geht's. Kurz vor Weingarten vollführt der Himmel ein fantastisches Schauspiel. Nach Osten hin drohen gewaltig bauchige, pechschwarze, tiefhängende Wolken Feuchte von oben an, nach Westen hin ist es klar, der Himmel satt blau. Hier kommt die Sonne durch und tränkt das Grün der Wiesen und das fahle Beige der Kornfelder in ein sattes Orange. Farbenkontraste, die wundervoll anzusehen sind. Ich erfreue mich daran, dass der Zufall(?) mich zu diesem Zeitpunkt an diesen Ort geführt hat, wo ich dieses Naturschauspiel erleben kann.

In Weingarten führt der Jakobsweg direkt an dem Wahrzeichen der Stadt, der Basilika St. Martin vorbei. Die größte Barockkirche Deutschlands. An der Kirche treffe ich eine Gruppe von vier Jakobspilgern. Allmählich werden es mehr.
Im "Rössle" steige ich in einem einfachen Zimmer ab. Dusche und Massage für die Füße. Anschließend tragen mich die müden Füße gerade noch bis nach unten in die Wirtsstube. Die Empfehlung der Küche lautet heute: Lachssteak in Senf-Dillsoße. Na, das nehmen wir doch. Eine gute Entscheidung. Der Fisch schmeckt hervorragend. Ich bin begeistert, vom Essen, von der Atmosphäre in dem Gasthaus, von der netten Kellnerin, von allem. Ein krönender Abschluss dieses wegen der wiederholten Regengüsse recht anstrengenden Tages. Gegen Neun leert sich die Gaststube. Ein Endsechziger, Hr. Rief, fragt, ob sich an meinen Tisch setzen darf. Er habe gehört, ich sei von Winterstettenstadt her gekommen, und da sei er neugierig geworden, weil er den Ort sehr gut kenne. Bitte schön. Wir kommen ins Plaudern. Er sei Rentner, früher habe er Holz verkauft. Heute sei er als Kirchenvorstand in vielen Projekten ehrenamtlich engagiert. Mit jungen Menschen zu arbeiten, mache ihm sehr viel Freude. Es sei toll, wie die Jugend "schaffet" und mit Begeisterung und Fleiß bei der Sache sei. Ja, Hr. Rief, ist einer vom alten Schlag. V.a. aber sei er Quartiermeister, eine Aufgabe, die ihn verantwortlich mache für die Unterbringung von - und jetzt aufgemerkt - sage und schreibe 2900 Pferden. So viele sind es in etwa, die alljährlich, während des sogenannten Blutritts in einer Parade durch die Stadt reiten. Von überall her kommen die Vierbeiner dann. Er sei das ganze Jahr damit bschäftigt, Ställe zu finden, in denen er die Pferde unterbringen kann. Mit viel Stolz erzählt Kurt Rief all das und dann ergänzt er, nachdem ein letztes Seidla bei Maria geordert ist, dass er beim Blutritt auch mitreite, in Weingarten, in Mantua und noch andernorts. Es sei ein unvergessliches Gefühl, wenn er auf dem Pferd sitze, die Standarte fest in der Hand, und vor ihm stehe der Bischof. Ich denke mir, egal, was man macht, wenn man nur mit Herzblut dabei ist, dann ist es gut. Apropos Blut, den Blutritt gibt es wohl noch in anderen Städten, aber der Weingartner sei nach Rief der größte nördlich der Alpen. Man stößt auf viele Superlative, wenn man unterwegs ist, auch hier im Schwäble Ländle.

Prozess um des Esels Schatten, von Mettenberg nach Winterstettenstadt (Sa 19.7)

Abschied mit Foto von den netten Wirtsleuten im Adler/Mettenberg und weiter nach Biberach.

Hier tobt wie ihr ja inzwischen wisst das Schützenfest. Kleiner Stadtrundgang mit Blechtrommeln als Backgroundmusik, z.B. vor dem Rathaus: ein Reisebus parkt, ein ganzer Sack voll uniformierter Spielmänner steigt aus, baut sich auf und - so schnell schaue ich gar nicht - schon marschiert die Kombo mit Getöse los. Skuril, da zu diesem Zeitpunkt kaum jemand von det janze Notiz nimmt.
Am Marktplatz erinnert eine unübersehbare Eselstatue an den "Bieberacher Esel", der auf ein Stück des Bieberacher Schriftstellers C.M. Wieland (19. Jhdt?) zurückgeht. In seinem Buch "Die Geschichte der Abderiten" hat er mit der Episode "Prozess um des Esels Schatten" die erste Satire in deutscher Sprache veröffentlicht, und die geht in etwa so: ein Zahnarzt mietet einen Esel samt Treiber, um im Nachbarort den Markt zu besuchen. Unterwegs wird's heiß, kein Baum, kein Schatten weit und breit, woraufhin der Zahnarzt, nicht dumm, den Schatten des Esels nimmt. Da hat er die Rechnung aber nicht mit dem Eselstreiber gemacht. Das war nicht abgemacht, nur der Esel war angemietet, nicht dessen Schatten. Ein Streit entbrennt, die beiden werden sich nicht einig, ziehen vor Gericht, der Zahnarzt gewinnt. Das Ganze geht in die nächste Instanz. Mittlerweile nimmt die ganze Stadt an der Auseinandersetzung teil. Der Streit spaltet Familien, Ehen, Freunde. Am Tag als das Urteil öffentlich verkündet werden soll, zerfetzt die hysterische Menge den Esel - womit sich das Problem erledigt hat .... Die Skulptur stammt von dem Nürnberger Peter Lenk, der hier in der Region an verschiedenen Ecken Spuren hinterlassen hat (u.a. in Konstanz, wo ich ja noch hinkomme).

Die 22 km der heutigen Etappe führen mich unter anderem nach Steinhausen, wo, wie man sagt, weltweit die schönste Dorfkirche das Dorfbild prägt (St. Peter und Paul). Stimmt schon, ist ganz schön. Nach dem Abendessen in Steinhausen im Biergarten des "Landgasthofs zur Linde" (wohliger Blütenduft umgarnt meine Nase), ziehe ich noch ins benachbarte Winterstettenstadt weiter, wo ich bei Einbruch der Dunkelheit eintreffe. Freundlicherweise erlaubt mir Bauer Zech in seiner Maschinenhalle am Ortsrand, in der auch einige Strohballen aufgestapelt sind, zu übernachten. Es wird eine unruhige Nacht. Autos kommen und gehen (besucht mich jetzt jemand?), die in der Halle geparkten landwirtschaftlichen Geräte spielen eine 3-Ton-Melodie, die auch von einem Menschen stammen könnte und irgendwann in der Nacht prasseln Regentropfen nieder, die das riesige Hallendach verstärkt.

Samstag, 19. Juli 2008

Woher, wohin ... Von Erbach nach Mettenberg (Fr 18.7)

In Marias Kapelle habe ich sehr gut geschlafen. Gegen sieben krieche ich aus dem Schlafsack. Ein erster Blick nach draußen verrät, auch heute wird es regnen. Dunkle Wolken hängen tief am Himmel. Gegen acht breche ich auf.
An einem Wegkreuz lese ich "Zwei Dinge bedenke: Woher, wohin, dann hat das Leben den richtigen Sinn." - Na ja, können wir ja mal mitnehmen. Mal sehen, was der Tag daraus macht.
Oberdischingen ist einer der Orte, der mir in Erinnerung bleiben wird.


Weil es dort die Bäckerei Ott gibt (leckeres Frühstück und Pläuschchen mit Fr. Ott?), weil im Ortszentrum eine Häuserzeile an den französisch-barocken Mansard-Stil erinnert (steht so im Wanderführer), eine Art Schlossplatz, der mir hier völlig unerwartet begegnet, weil an den Geschäftshäusern keine Reklametafeln befestigt sind (das erinnert mich an Weimar), statt dessen die Häuserfassaden Aufschriften wie "Bäckerei Ott" tragen, weil als ich an der Kirche vorbei komme sternförmig von allen Seiten her Menschen in Schwarz zur Pfarrkirche strömen, um eine Verstorbene zu verabschieden, weil der Jakobsweg an dieser Kirche zweimal vorbeiführt. Auf die Frage des "wohin" will womöglich der Trauergottesdienst eine Antwort geben ...
In Untersulmetingen (welch ein Ortsname!) spricht mich Hannes vom Fahrrad aus an (Hannes, sei herzlich gegrüßt!). Ob ich denn auf dem Jakobsweg unterwegs sei. Er habe vor zwei Wochen den "Camino Francés" abgeschlossen.


Ein fantastisches Erlebnis sei es gewesen. Er schwärmt und ich habe das Gefühl, er würde am liebsten gleich wieder loswandern. Hannes berichtet mit so viel Verve, dass ihm die Jacke aus dem Rucksack fällt. Er habe unendlich viele Menschen getroffen, zuhause türmten sich E-Mail Adressen von Menschen aus der ganzen Welt. Zweifelsohne, er macht mir den Mund wässrig. Ich freue mich auf Spanien!
Von Untersulmetingen geht es - wie sollte es auch anders sein - nach Obersulmetingen. Am Ortsrand des erstgenannten springt mir ein Straßenschild mit der Bezeichnung "Müssenweg" ins Auge (wirklich!).


Ist die Doppeldeutigkeit nicht herrlich? Ich schmunzle vor mich hin. Auf diesem Weg hat man also gemusst, nur was? Und, bei anderer Interpretation, wer muss weg, und wohin? Woher, wohin ... Ein Tag voller Zeichen - mit der Interpretation werde ich wohl noch eine zeitlang zu tun haben.
Nach kurzem, aber steilem Anstieg erreicht man im Anschluss an die beiden "Sulmetingen" Schemmerberg mit der weit ins Land blickenden Kirche St. Martin mit Walmdachturm. Es scheint, dass ich die Region der Zwiebeltürme allmählich hinter mir lasse.
Hier, auf einem eigens für Jakobspilger schön eingerichteten Rastplatz, begegne ich Elizabeth und Klaus, ein absolut rüstiges Rentnerehepaar aus Dortmund.


Langstreckenpilger. Sie sind von Lohr am Main nach Rom unterwegs, wobei sie die italienische Hauptstadt diesmal noch nicht erreichen werden. Ende August ist bei den beiden erst mal Schluss mit der Etappe. Den "Camino Francés" haben die beiden schon vor drei Jahren gemacht. Sie könnten stundenlang von ihren Erlebnissen berichten. Eines haben die wenigen Episoden, die ich erfahre, gemein: Begeisterung! Da ist sie wieder, die Vorfreude auf Spanien.
Kuriosum in Laupersthausen. Wegen Renovierungsarbeiten in der Kirche gibt's den Stempel für Jakobspiler in der Kreissparkasse, die, heute am Freitag, um 17.00 Uhr noch geöffnet hat. Ich bin überrascht. Abgesehen vom Stempel schenkt mir dieser Umstand ein sehr nettes und informatives Gespräch mit der Filialleiterin, auf deren Empfehlung hin ich heute nicht bis nach Biberach weitergehe (Schützenfest bzw. "Schütze", Stadt steht Kopf, s.o.), sondern nur bis zum Vorort Mettenberg, wo ich im Gasthaus Adler ein Zimmer beziehe.
Ach wie goldig. Diese Kneipe erinnert mich an den Wiethaler in Güntersbühl. Hier ist die Zeit vor etwa 30 Jahren stehn geblieben. Mutter (77) und Sohn (Mitte bis Ende Vierzig) schmeißen den Laden, der, zumindest heute (vermutlich schützenfest bedingt) nur mäßig besucht ist. Ich geselle mich am einzigen Tisch des "Biergartens" einer Runde schwäbelnder Herren hinzu. Nicht ganz einfach, dem Gespräch zu folgen. Es geht ums Schützenfest, um die Firma Liebherr, die hier in der Region einer der bedeutendsten Arbeitgeber ist (Kühlschränke und Kräne), und die Pilgerei. Ein schönes Gefühl in dieser Runde zu sitzen, auch wenn ich nur die Hälfte verstehe. Mein Tischnachbar taut nach einer Weile auf, will wissen: bis wohin, woher die Zeit, warum, etc. Ich lasse ihn ein stückweit eintauchen in meine Pilgerschaft.
Meine Wirtsleute sind herzensgute Menschen. Das ist mir schon beim ersten Kontakt mit dem Sohn klar geworden. Mit seiner ruhigen Art strahlt er aus: hier bis du richtig, hier ist nichts ein Problem. Er war es, der das Bett in meinem Zimmer überzogen hat, er war es, der die leckere Käseplatte zubereitet hat. Als ich nach dem Essen zahle, erzählt mir seine Mutter, dass einer ihrer drei Söhne vor einem Vierteljahr an Darmkrebs verstorben sei. Mit diesem betrüblichen Wissen und der Frage "weshalb" (!) steige ich die Treppe in den ersten Stock hinauf, wo mein Zimmer liegt. - Euch einen schönen Samstag. To be continued Peter

Maria hilf! Von Ulm nach Erbach (Do 17.7)

Und sie half! Dazu gleich mehr.
Bin gerade in Biberach. Das kleine Städtchen an der Riß gefällt mir sehr gut. Das mag v.a. daran liegen das es heute morgen überwiegend sonnig ist und in der Stadt ein buntes Treiben herrscht. Menschen in Cafes, überschäumendes Marktgeschehen an dem sich an St. Martin schmiegenden Markt (St. Martin übrigens eine konfessionsübergreifende Kirche, sowas gibt's glaube ich nicht so oft) und Pauken- und Trommelwirbel allenthalben. Vor dem Rathaus mit markantem Turm ist eine Tribüne aufgebaut. Es ist nämlich Schützenfest, in Biberach herrscht Ausnahmezustand. Das Pendant zur Erlanger Bergkirchweih. Umzüge, Bierzelte, etc. Jeder feiert mit. Und einige trinken Bier bis zum Umfallen, die letzten "Schützenfestler" verlassen gegen sechs Uhr morgens das Fest. Wollt's mir gestern Abend eigentlich antun, doch dann war ich einfach zu platt. Das Feuerwerk um halb elf habe ich beim Einschlafen gerade noch gehört. Das war's.

Zurück zum Donnerstag, mein Tag in Ulm. Regen. Von der Jugendherberge aus laufe ich den Kuhberg hinunter in die Innenstadt. Am Metzgertor begegnet mir - na wer sonst - Rudolf. Er ist im Begriff die Stadt zu verlassen. Kurzer Austausch über das Wohlbefinden unserer Füße und dann schenkt er mir eine Jakobsmuschel, ein Exemplar von zweien, die ihm ein Mann in Albeck (da wo Robert Bosch her kommt, ihr erinnter Euch?), geschenkt hat. Ich freue mich über das Andenken. Wir verabschieden uns.
Den Großteil des Tages verbringe ich bloggend in der Bibliothek. Als Terminalnutzer ist man angehalten sich namentlich in einer Liste einzutragen und dadurch ein Zeitfenster von 20 Minuten zu blogieren (ähm blockieren - so war es auch in Gunzenhausen). Das stammt aus der Anfangszeit des "Bibiliothekssurfen", in der es häufiger zu Engpässen auf dem öffentlichen und kostenfreien Weg ins Internet gab. Mittlerweile hat sich das gelegt. Ich belege mehr als 10 solcher Felder ...
Das Sightseeing in Ulm fällt wetter- und stimmungsbedingt sehr, sehr knapp aus. Hauptansinnen meiner Pilgerschaft ist ja nicht touristisches Interesse. Ich kann wieder kommen. Als ich im Cafe am Stadthaus sitze kommt die Stadtführung in persona einer äußerst liebenswerten und kundigen älteren Dame auf mich zu. Sie sitzt am Nachbartisch und fragt mich, ob ich wisse, dass das Stadthaus, an dessen Vorderseite wir säßen, von Richard Meier entworfen wurde. Weiß ich natürlich nicht und find's sehr interessant. Denn der Gegensatz von Altem (Münster) und Neuem (Stadthaus) am Münsterplatz ist mir bereits gestern aufgefallen.


Das Projekt wurde in der Stadt 5 Jahre lang diskutiert, bis man es schließlich umsetzte. Gestern Abend hat Außenminister Steinmeier im Saal des Stadthauses einen Vortrag gehalten. Wäre sicher interessant gewesen, aber ich musste ja hoch zur Jugendherberge. Um 22.30 Uhr ist dort nämlich Zapfenstreich ... Aus der Luft besehen hat das Stadthaus die Form eines Schlüssels (Hintergrund? Recherche tut Not).
Die nette Stadtführerin erzählt mir dann noche einiges: vom schönsten Parkhaus Deutschlands, vom Skulpturenrundgang zu den Frauen der Stadt, vom Münster, das von Ulmer Bürgern erbaut wurde, weil es innerhalb der Stadtmauern keine Kirche gab, und vom vor Fachwerk strotzenden Fischerviertel (das ich mir dann auch ansehe). Sehr nett. Ich darf ein Erinnerungsfoto von ihr schießen, ein Umstand, der von ihrer inzwischen mit Sohn hinzugekommenen Tochter mit "Da haben sie aber glück gehabt, normalerweise lässt sich meine Mutter nicht fotografieren" kommentiert wird. Schon komisch, diesen Satz habe ich schon häufiger gehört ...

Aufbruch. Es ist schon fast Sechs als ich Ulm verlasse und so schaffe ich bis zum Einbruch der Dunkelheit nur die rund 16 km bis nach Erbach. Dort speise ich in der Schwabenpfanne. Endlich mal wieder Käsespätzle. Gestärkt und etwas erholt setze ich gegen elf die Pilgerschaft fort. Nicht ganz einfach bei Dunkelheit den Weg zu finden, aber es geht. Allzuweit will ich nicht mehr gehen, nur so weit, bis eine geeignete Übernachtungsgelegenheit gefunden ist. Am Schloss vorbei, dann am Friedhof vorbei. Hinter der Friedhofsmauer sehe ich bisweilen die den Seelen der Toten leuchtenden roten Lichter hervorblitzen. Etwas unheimlich wird's, als auf dem Weg im oberen Donautal plötzlich am Waldrand eine weiße Marienkapelle leuchtet (nein, keine Marienerscheinung, keine Panik).


Die Kapelle, bezeichnenderweise "Maria Hilf", kommt mir wie gerufen - hier werde ich übernachten. Ich rolle meinen Schlafsack an der Außenmauer der Kapelle aus, mich hinein zu legen habe ich (noch) Skrupel. Als mich irgendwann nach Mitternacht Regentropfen wecken, ziehe ich dann doch in die Kapelle um. Danke Maria ;-)

Donnerstag, 17. Juli 2008

Wie mir ein Basketballer den Abend rettet, von Stetten nach Ulm (Mi 16.7)

Die Nacht im Heu war super. Bin schon um halb sieben auf den Beinen. In der Sattelkammer (Komfortversion mit Nasszelle!) läuft mir Sandra, Michas Frau, über den Weg. Zu meiner Überraschung bekomme ich von den beiden ein kleines Frühstück mit großem Pott Kaffee kredenzt. So schlürfe ich also Kaffe, lasse meinen Blick über die Koppeln schweifen und schaue den Pferden beim Aufwachen zu. Fantastisch! Vielen Dank Sandra und Micha. Vielleicht verschlägt es Euch ja mal nach Franken!
Gegen halb Acht mache ich mich auf die Socken. Den Umweg, einmal täglich muss sein, bringe ich heute schon sehr bald hinter mich. Nach etwa 30 Minuten. Im Wanderführer heißt es "Auf Querweg nach links abbiegen". Ich bilde mir ein rechts gelesen zu haben und handle so. Bin wohl noch nicht so recht wach bzw. verträumt. I don't know. Vielleicht auch eine Konzentrationsschwäche (gelle Thea, kennst Du auch?). Wie dem auch sei. Nach etwa 10 Minuten erkenne ich "Gehen sie zurück auf Los!". Eine Beobachtung, die ich in diesem Zusammenhang immer wieder mache. Ich habe mich verlaufen -> Ärger über mich selbst. Ich nehme wieder richtigen Kurs auf -> Ärger weicht, Zufriedenheit macht sich breit, der Schritt wird schneller. So auch diesmal. DenFilm zurückspulend begegnet mir ein rüstig "walkender" Senior. "Guten Morgen!" Lustigerweise begegnet er mir 10 Minuten später - diesmal bin ich bereits richtig unterwegs - wieder! Es hätte eine Abkürzung gegeben. Was soll's. Alles hat auch was Gutes. Er erkennt mich auch und wir kommen ins Gespräch. Hr. Rückert ist sage und schreibe 81 (hätte ihn 10 Jahre jünger geschätzt) und hat schon etliche Etappen des Jakobswegs absolviert (u.a. durch die Schweiz, Genf - Le Puy).


Plant auch schon die nächste Pilgerreise, ist sich aber nicht sicher ob Alter und/oder Frau es zulassen werden (der Garten!).
Ich komme nach Lindenau. Das ehemalige Hospiz ist heute eine sehr beliebte Ausflugsgaststätte für Ulm und Umland. Davon hat mir Micha schon erzählt. Leider noch geschlossen, als ich gegen 10 vorbei komme. Reiter aufgemerkt: hier gibt es einen Pferdeparkplatz. Ein Querpfosten, an dem die Leine festgemacht wird, wie man es aus Wildwestfilmen mit John Wayne kennt. Die ganze Ecke hier ist Pferde- bzw. Reiterland. Der Jakobsweg führt hier an mehreren Reitställen vorbei.
Heute ist es sehr heiß. Der angekündigte Regen läßt glücklicherweise auf sich warten. Überall sind Bauern unterwegs, das Heu rechtzeitig ins Trockene zu bringen. Über mich zischen Düsenjets der Luftwaffe mit Überschall hinweg. Immer wieder falle ich drauf rein. Ich schaue zur Schallquelle, doch da ist nichts, der Flieger ist schon längst weiter. Mit so einem Teil ist man in gut einer Stunde in Santiago. Krasser Gegensatz von Geschwindigkeiten.
Schwäbisch reden und schreiben heisst an jedes Wort ein "le" anhängen. Ein Beispiel, das Jakobsbänkle, an dem ich heute morgen vorbeigekommen bin und unweit des Bänkle erreicht man die Jakobsautobahnraststätte.


Was es nicht alles gibt. Ja, zwei Autobahnen lasse ich heute auch hinter mir. Erst die A7 und dann die A8.
Am Ende des Tages (at the end of the day - gefällt mir irgendwie) werden's heute rund 37 km. Das ist eine Menge.



Ab Thalfingen, einem Vorort von Ulm, bin ich ziemlich platt. Glücklicherweise komme ich an einem Brunnen vorbei, in dem die qualmenden Füße gut auskühlen können.


Danach geht's die Donau entlang flott weiter. Gegen 7 stehe ich zum erstenmal vor dem höchsten Kirchturm der Welt.


Und dann kommt der schon erwähnte Frust. Kein Zimmer. Mit dem Bus zur Jugendherberge, die etwas außerhalb liegt. Ach ja, da fällt mir Alex ein. Der junge Mann, den ich an der Bushaltestelle anquatsche: welcher Bus, wo aussteigen, das Übliche. Alex, Jungprofibasketballer bei Rathiofarm Ulm, 17 Jahre jung, ist enorm aufgeschlossen und hilfsbereit. Mit der Jabkobspilgerschaft hat er sich auch schon auseinander gesetzt. Hat schon 'ne Menge darüber gehört bzw. gelesen und möchte den Weg auch mal gehen. In dem Alter, bemerkenswert. Er hat ja noch ein bisschen Zeit. Im Bus sitzen wir nebeneinander, ich meinen Rucksack vor den Füßen, er seinen Basketball auf dem Schoß. Zum Abschied wünsche ich ihm viel Erfolg in seiner Profikarriere. Und er ganz cool: "Nicht vergessen, nie das Ziel aus den Augen verlieren" und deutet dabei mit gespreiztem Zeige- und Mittelfinger in seine Augen. Einfach klasse der Typ.
In der Jugendherberge muss ich dann eine Stunde warten, bis ich mein Zimmer beziehen kann. "Keinen Stress, Peter", sage ich mir selbst. Wenn Du jetzt eines hast, dann ist es Zeit. Stimmt doch, oder? Pfirt's aich. Melde mich vermutlich in Biberach wieder. Hab' noch 15 km vor mir und es ist schon bald 18.00 Uhr. Wird schon gehen.