Donnerstag, 17. Juli 2008

Mitpilger ist da! Von Neresheim nach Stetten (Di 15.7)

Ein romantischer Sonnenuntergang ist kein Garant für eine angenehme Nacht. Die letzte war nämlich kalt. Ich habe im Schlafsack gefroren und bin zig mal aufgewacht. Bald nach links, bald auf dem Rücken, bald nach rechts liegend. Wenn ich gen Westen lag, versicherte ich mich jedesmal der Existenz des Klosters, dessen Konturen sich schemenhaft in der Ferne abzeichneten. Das wiederum war schön.


Vor dem Weiterpilgern werfe ich einen Blick in die Klosterkirche (schöne Kuppelfresken von Martin Knoller). Und da ist er! Hier sehe ich ihn zum ersten mal, einen Mitpilger, meinen ersten! Unten am Ortseingang Neresheim begegnen wir uns erneut. Diesmal halten wir ein kurzes Pläuschchen. Rudolf kommt aus einem kleinen Ort bei Amberg in der Oberpfalz und wird bis kommenden Sonntag auf dem Jakobsweg unterwegs sein. Mit den Wegbeschreibungen in seinem Wanderführer ist er nicht sehr glücklich. Oft habe er sich verlaufen, der Streckenverlauf sei nur lückenhaft bzw. gar nicht beschrieben. Ich schlage vor, die für ihn relevanten Seiten aus meinem Wanderführer zu kopieren (die aktuelle Ausgabe des Outdoor Wanderführers von Michael Schnelle, sehr gut!) und sie ihm bei unserem nächsten Treffen zu geben. In den Ort müsste ich sowieso, um Proviant zu besorgen. Da werde sich schon eine Gelegenheit zum Kopieren finden. Wir trennen uns, er folgt der Jakobsmuschel, ich meinem Bauch.
Im Netto zu Neresheim kaufe ich dann ein ganzes Bündel (weil reif) Bananen (etwa 2 kg!) für 50 ct. Das Bündel in zwei kleinere aufzuteilen sei nicht möglich, versichern die beiden Kassiererinnen. Ich nehme drei Bananen raus und lasse die restlichen mit dem Zusatz "Bitte bedienen Sie sich" liegen.


Heute, scheint es, ist es an mir zu geben - ein gutes Gefühl.
Die Kopien lasse ich in der Neresheimer Stadtapotheke anfertigen. Der Vorgang dauert ein wenig und so habe ich Zeit mich umzusehen. Da gibt es eine Menge zu entdecken, z.B. die Seniorennuckelflasche mit der Aufschrift "Leichter Leben". Zielgruppenorientiertes Marketing.

Im Wald nach Auernheim verschwindet einige Meter vor mir ein Fuchs im Wald (nicht so fotophil wie die Rehe vor ein paar Tagen , leider). Am Ortseingang von Auernheim macht mich ein netter Bauersmann darauf aufmerksam, dass in der Kirche Stempel und Gästebuch für Jakobspilger auslägen. Für diesen Tipp bin ich ihm sehr dankbar. Zum einen verhilft er mir zu einem Stempel in mein Pilgerbuch und - der Gästebucheintrag verrät es - außerdem sehe ich, dass mein Mitpilger auch schon hier war. Apropos Stempel: die bekommt man in Kirchen, Pfarrämtern oder - wenn alle Stricke reißen - in der Touristeninformation. Und wenn man erst zu vorgerückter Stunde ankommt, dann gibt's halt mal keinen.
Am nördlichen Ortseingang von Staufen bei der Kapelle "Maria Schnee" laufe ich der Imkerin Frau S. über den Weg. "Aha, ein Jakobspilger", ruft sie aus, zu diesem Zeitpunkt noch mit "Imkerglocke" auf ihrem Haupt und ergänzt, jetzt ohne Kopfschutz, "Ich wohne drüben am anderen End' des Ortes im letzten Haus. Da führt der Jakobsweg vorbei. Kommen sie mich doch besuchen" 15 Minuten später sitzen wir auf ihrer Terasse und trinken Multivitaminsaftschorle. Sie zündet sich eine "Ernte 23" an. Mein Gott, es muss Jahrzehnte her sein, dasss ich die orangefarbene Zigartettenschachtel von "Ernte 23" das letzte mal gesehen habe. Die Pilgerschaft ist auch eine Reise in die Vergangenheit.


Später führt sie mich in ihrem Reich herum, zeigt mir Bienenhäuser, eine markierte Bienenönigin, erklärt Honigschleuder und Abfüllanlage. "Propolis", der Stoff mit dem Bienen die Waben abdichten - eigentlich ein Abfallprodukt - sei laut Fr. S. ein anerkanntes natürliches Antibiotikum, das bei Schmerzen aller Art angewendet werden kann. Im Internet finde man eine Menge darüber, sagt die Frau, die vor 11 Jahren ihren Job als Serveradministratorin bei einer Krankenkasse aufgegeben hat, um nur noch das zu machen, was ihr Spaß macht. Die Unterhaltung könnte noch weitergehen, doch der Pilger muss weiter, weiter nach Giengen.

Dort, in Giengen, nehme ich die "Verfolgung" von Rudolf wieder auf. Schließlich soll er die Kopien noch heute bekommen. Die Touristeninformation, für so vieles ein guter Ort, auch wenn es darum geht, einen Mitpilger zu orten. Hier, wo die Zahl der Jakobspilger eher bescheiden ist, hinterlässt jeder der mit Jakobsmuschel und Rucksack unterwegs ist, deutliche Spuren. Erfreulich, denn so erfahre ich in welchem Gasthof Rudolf abgestiegen ist, wo ich postwendend die Kopien mit einem kurzen Anschreiben hinterlege. Wäre gar nicht notwendig gewesen, denn kurz darauf treffe ich meinen Mitpilger doch noch. Über diese Fügung sind wir beide erfreut. Nach einem kurzen Austausch über den heutigen Weg führt er mich, der Giengen mittlerweile so gut wie seine Westentasche kennt, zu der Stelle, von der aus man die Kirche mit den beiden unterschiedlichen Türmen (die Attraktion Giengens) am besten fotografiert.


So schön es wäre jetzt zu klönen und Bier zu trinken, ich muss weiter, will Kilometer verschlingen.


So gelange ich schließlich nach Stetten, wo es kein Bett für mich gibt. Der Gasthof Adler hat geschlossen und das Hotel "Zum Mohren" ist ausgebucht. Egal, jetzt wird erst mal anständig gegessen. Die nette Kellnerin im "Mohren" empfiehlt mir, unten am Wohnhaus neben dem Pferdestall anzuklopfen. Dort lebe eine junge Familie, die sehr nett und aufgeschlossen sei.

Satt und müde breche ich auf, um ein Bett für die Nacht zu suchen. Dann stehe ich vor dem Haus und es umschleicht mich ein Gefühl der Unsicherheit. Ob es jetzt, da die Nacht bereits hereingebrochen ist, noch ok ist? Ich lasse das Gefühl kommen und gehen, fasse mir ein Herz und drücke die Klingel. Ein etwas überraschter Hausherr öffnet die Tür. "Ähm, Übernachtung, Jakobsweg, ja, geht scho', ich muss nur mal kurz mit dem Eigentümer telefonieren." Und schon sehe ich uns beide hinüber zur Scheune gehen und Micha (so der Name des Hausherren) das massige Scheunentor aufschieben. Im Zwischenboden oben im Stroh oder nebenan in der Sattelkammer könne ich meinen Schlafsack ausrollen. Fantastisch! Der Eigentümer des Anwesens hat auch nichts dagegen und so freue ich mich über dieses tolle Nachtlager. Micha nimmt sich dann auch noch die Zeit, mich auf ein Bierchen einzuladen.


Während sein kleiner Sohn den halben Ort auf der Suche nach Papa rebellisch macht, philosophieren wie bei einem Oxx, einem dunklen Ulmer Bier, mit Blick auf die Koppeln, über das Unterwegssein, das Laufen und das Leben an sich. Micha, der ebenfalls Marathonläufer ist, und ich teilen die Erfahrung des Zur-Ruhe-Kommens beim Laufen und das geile Gefühl, nach 42 km durchs Ziel zu kommen (wie mag das erst nach 2500 km sein? but it's still a long way to go ...). Jedenfalls ein sehr netter Abend. - Das mit dem Sohn war natürlich ein kleiner Scherz. Schönen Gruß Micha!

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