Dienstag, 30. September 2008

Cistus Ladaniferus, Von Villar de Mazarife nach Santa Catalina de Somoza (Do 25.9)

Leichtes Frühstück, Toast, Marmelade, Tee und Pimperan (an das Gesöff könnte ich mich gewöhnen). Es wird wieder ein herrlicher Tag, zunächst kalt, später sonnig und warm. Schöner Sonnenaufgang über der Meseta. Die Landschaft verändert sich allmählich.


Es wird grüner: Maisfelder, Futterrüben. Ich komme in das Dorf Villavente. Am Ortseingang öffnet sich ein Platz, an dem sage und schreibe 8 gelbe Pfeile dem Pilger den Weg weisen (die hatten Farbe übrig), am Ortsausgang ein Platz, an dem sage und schreibe 5 zum verwechseln ähnliche Köter ihre Nase in alles stecken und in der Ortsmitte die Bar. Ich kehre ein, trinke Coke und Kaffee, brauche etwas Sprit. Bin der einzige Gast und unterhalte mich mit dem Barmann. Gestern sei sein Lokal voller Pilger gewesen. Wir wollen es ihm mal glauben. Bald stellt sich heraus, dass ich es hier mit einem prachtvollen Exemplar von Phlegmatiker zu tun habe. Der Typ ist so zwischen 45 und 50 und hat sich nach eigenem Bekunden noch nicht viel weiter als 20 km aus seinem Dorf bewegt. Sein Radar endet im Westen in Astorga, dort, wo ich heute noch hinkommen werde. Cruz de Ferro, Sehenswürdigkeit um die Ecke, noch nie gesehen. Hunderte von Pilgern erlebt, aber, ob die Deutsch, Französisch oder Englisch sprechen, könne er nicht unterscheiden, usw. "Como no habla la lengua ...". Nicht viel Interesse hier. Irre. Für den Betrieb einer Bar in Villavente reicht es offensichtlich aus.
Seit ein paar Tagen mehren sich die Storchennester. Man sieht sie auf Glockentürmen, auf Laternenpfählen, auf sonstigen ausgesetzten Objekten. Die Nester sind leer, ihre Bewohner sind bereits im Winterurlaub.



Weiter geht´s nach Hospital de Órbigo. Dort versorge ich mich in einem Laden mit den Ingredenzien für die heute angesagte Coke-Keks-Schokolade-Kur.


Später führt der Weg bergan zu einer Anhöhe mit Kreuz (Santo Toribio), von der aus man einen schönen Blick hinunter auf Astorga hat.




Unterwegs Bauern bei der Kartoffelernte und dies: gedankenverloren klettere ich die kleine Steigung hoch, als mir plötzlich ein Schwall Aroma in die Nase schwappt. Ich bleibe sofort stehen, gehe ein paar Schritte zurück. Ah, da ist ja das "Kraut". Längliche, satt grüne, klebrige Blätter, hüfthoher Strauch. Hm. Ich kenne den Duft, kann ihn aber nicht benennen. Breche einen Ast ab. Irgendwer wird mir den Namen schon sagen können. 1 Minute später (wirklich!) kommt mir ein kleines, altes Männlein entgegen, jenseits der 60, rotes Hemd, gelbes Cap. "Buenas dias Señor, una prguntita por favor - ¿conoce Usted este ...?" - "cistus ladaniferus" , antwortet der Senior postwendend. Ich bin platt. Der Typ ist vom Fach, wie er mir sogleich erklärt ("Soy biólogo"). Da hat mir der Himmel einen Biologen geschickt.


der Biologe zieht von dannen

Ist das nicht irre? Auf Spanisch heisse der Strauch "Láudano". Erst dachte ich es handelt sich um Myrrhe, doch Dank Web ist jetzt klar, es ist Cistrose. Riecht jedenfalls sehr angenehm.
Am Kreuz Santo Toribio mache ich Rast (Coke und Kekse). Zwei lauthals singende Mädels ziehen vorbei. Später hole ich sie ein. Jess und Hanna aus Sydney (irgendwie scheint Australien nur aus Sydney zu bestehen) sind seit einem halben Jahr auf Europatournee und schliessen diese mit dem Camino ab. Sie haben einen iPod und teilen sich die Ohrknöpfe. Aha, das was sie singen wird also ins Ohr eingespeist. Ich verstehe. Ob sie denn Salsa im Repertoire hätten. Salsa what? Ok, lassen wir das. So kommen wir jedenfalls ins Gespräch und plaudern die restlichen 2-3 km nach Astorga. Lustig finde ich, wie wenig sie von Neuseeland und dessen Bewohnern halten. Die Kiwis, iiiih! Sprechen mit einem fürchterlichen Akzent, unmögliches Schaf-je-Einwohner-Verhältnis und ausserdem wäre jeder Kiwi allzugern Australier. Aha.


Sydney steigt in Astorga ab, ich ziehe weiter, zunächst bis zur Kathedrale und zum Bischofspalast.


Am Eingang zum Bischofspalast zupft ein "Gitano" seine Gitarre (ein bisschen was fürs Spanienklische - es wird touristischer, ich find´s trotzdem gut), im Vorgarten des Palasts wächst Salbei. Die frühen Teile des Palasts wurden von Gaudí gebaut. Neugotisch, Bögen und wieder bunte Fenster mit faszinierender Wirkung.



Auch hier das Spiel mit den Farben. Bald hell, leuchtend (weiss, gelb, orange) in einer Kapelle, bald düster (rot, ocker, braun) in einer anderen. Im Kapitel, dem prächtigsten Raum des Palasts, zeigen die Illustrationen in den Buntglasfenstern Adam und Eva im Paradies, so wie die Vertreibung aus dem selben. Ja, ja, ...
Bevor ich meinen Weg fortsetze, mache ich Pause im Cafe vor dem Bischofspalast. Komme mit Christine und Rainer aus Marl bei Bochum ins Gespräch. Die beiden sind heute angekommen, steigen Morgen in den Camino ein. Sind sozusagen Fortsetzer. Haben allerdings schon eine Art Camino Teil 1 hinter sich: 30 Stunden Busfahrt von zuhause nach Astorga. Alle Achtung! Wir kommen ins Gespräch, als ich Christine frage, ob sie meinen Láudano kenne. So begann der Mythos Myrrhe.


Ich setze meinen Weg fort und mache den kleinen Umweg über "Castrillo de los Polvozares", einer Art Rothenburg der Maragateria, so heisst der Landstrich, durch den es jetzt geht. Karg, steinig, hügelig. Vorbei ist´s mit der Meseta. Häuser und Mauern sind jetzt wieder aus Stein.



Da sind sie also wieder, die von mir so geliebten Steinmauern. Mit den französischen können sie allerdings nicht mithalten. Von den "Maragatos" sagt man, sie seien ein ganz spezieller Menschenschlag. Haben sich früher als Fuhrleute verdingt. Wir werden sehen.
In Santa Catalina de Somoza steige ich im Hostal "San Blas" ab. 10-Bett Zimmer, alle Betten belegt. Man kann halt nicht immer Glück haben. Esse Suppe und Brot. Meinem Magen scheint es besser zu gehen. Auch hier herrscht gute Stimmung in der Bar. Yayo aus Teneriffa spielt Charango und singt " ... si tu amor, vida mia, ..." Ein Song, den ich von Luis Morera (La Palma/Taburiente) kenne. Lustig, immer wieder finden sich Verbindungen. Faszinierend (yes Mr. Spock).

Montag, 29. September 2008

Von León nach Villar de Mazarife (Mi 24.9)

Frühstück in einer Bar, dann zur Kathedrale. Vor der Kathedrale treffe ich mal wieder Viktoria, die Ungarin. Diesmal in Begleitung des ebenfalls aus Ungarn kommenden Gabor.



Bin etwas überrascht sie hier anzutreffen. Hätte nicht gedacht, dass sie auch 40+ täglich gehen kann. Die Aufklärung folgt. Sie sei im Krankenwagen nach León gekommen. Verdacht auf Blinddarmentzündung, der sich glücklicherweise nicht bewahrheitet hat. Also, neben Bus, Zug und Taxi eine weitere Möglichkeit schneller ans Ziel zu kommen ;-) Ich freue mich die beiden zu treffen, wir quatschen ein wenig, dann verabschiede ich mich ins Gotteshaus. Französische Gotik aus dem 13./14. Jh., schlicht, klar, nackt, wirkt durch Raum und Farbe. Fantastisch die vielen bunten Glasfenster (insgesamt 1800 qm).


In der Kirche fehlt die übliche besinnliche Stille: Baulärm und deutsche Bildungsreisende. Je nach Himmelsrichtung überwiegen in den Fenstern unterschiedliche Farben, so z.B. in den nördlichen Fenstern mit Motiven aus der Philosophie, vor Christus also. Da den alten Denkern die Erleuchtung durch Christus abging, dominieren hier kalte Farben, Blautöne. Für die Spanier unter Euch. Die (konservative) spanische Tageszeitung "El Mundo" schrieb am 4.5. 2008:
"El sol parece jugar con la catedral dando vida sus critaturas y las despierta para una gran celebración celeste ... quiere convocar al universo entero para que se una al hombre en la alabanza a Dios" - Klingt doch gut, oder?



Anschliessend besuche ich "San Isidoro de León" (Teil des einstigen Königspalasts). Hier bestechen die gut erhaltenen romanischen Deckenfresken aus dem 12. Jh. in der königlichen Gruft. Auf den Deckenbildern geht´s teilweise ganz schön brachialisch zu. Erinnert mich an Malereien, die mich einst in einem buddhistischen Tempel befremdeten (und zwar im unteren, irdischen Bereich - versteht sich). In der Bibliothek der Kirche ein Bücherregal mit alten Folianten. Die Bücher sind bis zu einen Meter hoch. Willkommen im Land der Riesen. Amüsant auch der folgende Text aus dem deutschen Faltblatt zur Besichtigung: "Der Stift des Heiligen Isidoro von León dankt Ihnen für Ihren Besuch und hofft, das(s) dieser interessant und in geistiger Hinsicht fruchtbringend verlaufen ist." Ja, war schon ziemlich fruchtig.
Gegen Mittag verschlägt es mich auf der Suche nach einem 2GB Speicherchip für die Kamera in eine Kellerbar. Gut besucht das Lokal, viele Internet-PCs. Das richtige für mich. Bestelle mir eine "ración" Pulpo. Das hätte ich mal lieber nicht getan. Eine Riesenportion (-ration) in Öl schwimmender Pulpos. Schon der Anblick. Ein Drittel würge ich hinunter (Ihr wisst ja, lieber den Magen verrenkt, als dem Wirt was geschenkt). Dieses Essen bezahle ich zweimal. Erstens 17 € (hab' mit knapp 10 € weniger gerechnet) und zweitens bekomme ich ab dem späten Nachmittag Probleme mit meinem Verdauungssystem ...
Sitze bis drei vor dem Rechner, dann ruft mich der Weg. Von León nach La Virgen del Camino geht es recht langweilig durch Randbezirke und Industriebebauung dahin. In einer Bar genehmige ich mir einen Rosado, es ist sehr heiss. Dann ist es Fünf. Jetzt aber los, 15 km liegen noch vor mir. Ich wähle die längere, aber schönere Variante über Villa de Mazarife, anstatt dem Hauptweg zu folgen und mich die Strasse entlang zu mühen. Auf dem letzten Kilometer in den Ort - es ist mittlerweile kurz vor Acht - ist die Stimmung in der tiefstehenden Abendsonne wieder sehr schön: ein Traktor staubt über die Felder (keine Ahnung was der Bauer da auf den Feldern verteilt - wird schon ungesund sein), ein Hirte mit Esel und Hund treibt die Schafherde über die kleine Landstrasse "nach Hause".




Ich steige im "Tio Pepe" ab. Werde sehr freundlich empfangen und bekomme ein 6-Bett-Zimmer für mich alleine. Das Glück des Spätankommers. Danke.
Die Herbergsmutti erweist sich als sehr hilfsbereit und bereitet mir, dem Magenkranken, ein leichtes Mahl zu (Reis und gedünsteten Fisch - letzteren hätte ich doch lieber weglassen sollen ...), Tee und als Absacker einen Esslöffel Medizin: Pimperan (HCl). Kennt das jemand? Hat mir jedenfalls nicht geschadet. - In diesem privaten Refugio gefällt es mir sehr gut. Es ist lebendig, Pilger und Locals unterhalten sich in der Bar um die Wette. Von Wegen um 10 Zapfenstreich. Nach dem Essen setze ich mich im Nebenzimmer an den PC. Beim Schreiben höre ich wie drüben in der Bar im Fernsehen zum x-ten Mal die Bilder des überschwemmten Valencia, die Fussballtore des Abends, etc. gezeigt werden und die Wirtsfamilie erhitzt über Leid und Liebe, Leid in der Liebe, debattiert. Wer weiss, vielleicht ist diese Atmosphäre ja inspirierend.

Santiago auf meiner Karte, Von Calzadilla de los Hermanillos nach León (Di 23.9)

Frühstück in der "Casa del Cura". Jema (diese Frage konnte ich anbringen ;-) ) ist heute Morgen genausos schnell wie gestern. Ich nehme es hin, esse und breche gegen Acht auf. Es ist sehr kühl, Mütze und Handschuhe wären jetzt nicht verkehrt.

Casa del Cura

Was ich in den nächsten zwei Stunden erlebe ist schwer mit Worten zu greifen. Das bisher schönste Landschaftserlebnis meiner Pilgerreise. Wind und der gestrige Regen haben die Luft gereinigt. Jetzt erlebe ich Meseta pur!



Im Rücken die aufgehende bzw. tiefstehende Sonne, schiebe ich meinen anfangs zehn Meter langen Schatten vor mir her.


Leuchtender als Gold die Weizenfelder, das Steppengras am Wegesrand. Im Norden zeichnen sich schemenhaft die Picos de Europa ab. Es scheint, als entspringe der Gebirgszug in der Unendlichkeit im Osten und als verschwände er in der Unendlichkeit im Westen.



Ich gehe und erlebe wie in einem Film eine sich ständig ändernde Landschaft. Bin überwältigt, weine, schreie, singe und könnte vor Freude und Glück auf die Knie fallen.
Die Meseta ist hier so weit und so flach, dass die Einflüsse der Zivilisation - etwa eine Bahntrasse im Süden - überhaupt nicht stören. Im Gegenteil, still durch diese Szenerie gleitende, ja fast schwebende Hochgeschwindigkeitszüge, tragen zum ästhetischen Empfinden bei. - Disteln, Krokusse am Wegesrand.



Ich bin allein auf der "Calzada Romana", der alten römischen Piste. Steinig dieser Weg, ermüdend. Aber das ist nebensächlich.


Nach 16 km ist dieses Bad der Freude vorbei. Kurz vor Riesgos mache ich an einer Bank Pause. Wenig später treffe ich ein Damen-Dreiergespann aus Deutschland/Holland. Kurzer Plausch, Erinnerungsfoto und weiter geht's. Wie es der Zufall will, wird Erna zwei Wochen später im Flieger nach Hahn neben mir sitzen.


drei Pilgerinnen, Erna rechts

Von Reliegos nach Mansilla de las Mulas laufe ich mit Juan-Carlos aus Jaca in den Pyrenäen. Juan-Carlos ist Kulturarbeiter und dürfte in etwa mein Alter haben. Unser Gespräch beginnt natürlich mit dem Camino. Er habe schon viele Menschen auf dem Camino getroffen, aber noch keinen, der so viele Kilometer wie ich gegangen sei. Die Tatsache, dass so viele Deutsche unterwegs seien, erkläre ich ihm mit dem Buch von Kerkeling. "Ja, das muss ich unbedingt für unsere Bibliothek bestellen". Er notiert sich Titel und Autor. Mit Brasilien gäbe es ein ähnliches Phänomen. Das Buch von Cuelho habe er gelesen. "Mal, mal, mal. No me gusta para nada." (Schlecht, schlecht, schlecht. Gefällt mir überhaupt nicht.) "Para mi Cuelho es un cantamañanas!" Und dieses Wort, das ich noch niemals gehört habe, lässt wiederum mich aufhorchen. "cantamañanas", "der 'morgen, morgen' singende" - halt jemand der etwas auf die lange Bank schiebt (hoffentlich liege ich nicht falsch Juan-Carlos). Sehr schön. Merk´ ich mir. Dann wechseln wir zur Baskenproblematik und überhaupt zur Politik. Laut Juan-Carlos gibt es derzeit zwei wesentliche Entwicklungen in Spanien: die Förderung regenerativer Engergiegewinnung (wovon allein hunderte Windturbinen entlang des camino zeugen) einerseits, der Bauboom, die Zersiedelung andererseits (auch das fällt in den Randbezirken der Städte auf). Ersteres natürlich gut, letzteres natürlich schlecht.


Erinnerungsfoto mit Juan-Carlos

Ab Mansilla bin ich allein. Die restliche Strecke nach León ist langweilig. Immerzu eine viel befahrene Bundesstrasse lang. Welch ein Gegensatz zu heute Morgen.
Allmählich macht sich Euphorie bei mir breit (gemerkt?). Ich bin heute besonders glücklich, strahle jeden der mir begegnet an. Helfe einer Alten mit Krücken eine Kartoffel aus einem Beet entfernen. Sie freut sich. Es ist so wie bei diesen Navigationskarten im Flugzeug, wenn man über den Atlantik fliegt. Lange Zeit sieht man nur das blaue Meer des Atlantiks und plötzlich, nach 6 oder 8 Stunden, kommt Land in Sicht, wird der Zielort auf der Karte angezeigt. So geht es mir. León und Santiago erscheinen seit heute auf der Karte! - Unterwegs nach León stärke ich mich in einer Bar in Arcahueja mit 2 Rosados und einem Käsebocadillo. Setze mich zu Matthias aus Stuttgart an den Tisch.


Matthias ist bereits heute Morgen in diesem Vorort von León angekommen und hat sich hier einquartiert. Er mag die Städte nicht und zog es vor, heute Morgen von dem Dorf aus die Stadt zu besuchen und wieder zurückzukehren. Könnte ich mir für mich nicht vorstellen. Ich muss immer weiter. Don´t look back and don´t walk back!
Ankunft in León um 19:00 Uhr. 45 km in 11 Stunden (netto 9). Nicht schlecht.


León hat gezogen. Immerhin nach 2200 km der erste Ort seit Schwabach bzw. Gunzenhausen, in dem ich zuvor schon mal gewesen bin! Zeit is worn. - Quartiere mich im Hostal "Alvarez" unweit der "Casa de Botines", dem von Antonio Gaudi erbauten Palast, ein.




Als ich gegen Neun nochmals auf die Strassen gehe, erschrecke ich angesichts der Kälte, die mir entgegenschwappt. Welch ein Gegensatz zu dem Abend in Burgos vor gerade mal 5 Tagen. Es ist Herbst! Kurzer Rundgang durch die Altstadt, Abendessen in einer Bar. Buenas noches.

La Paciencia, Von Calzadilla de la Cueza nach Calzadilla de los Hermanillos (Mo 22.9)

Leute, seid mir aus Sarria/Galicien gegrüsst. Nur noch 120 km bis nach Santiago. Irre! @Dorothea: werd´ morgen die Augen offen und nach der Brücke Ausschau halten. Bin schon gespannt. Jetzt aber eine Woche zurück.


Regen am Morgen - endlich kommt mein Schirm zum Einsatz. Ja, einige Pilger beneiden mich heute Morgen ;-) Der Duft von Sportsalben, Gels und sonstigen Cremes liegt in der Luft. Eigentlich braucht man nur der Nase nach zu gehen. - Komme mit dem Architekten Peter (66) aus Worcester/Mittelengland ins Gespräch. Er gibt mir einige interessante Impulse zur beruflichen Partnerschaft. Das kommt mir gelegen. Mit britischem Humor nimmt Peter die Tatsache, dass der für ihn erstmalige Einsatz von Trekkingstöcken prompt zu Blasen an den Händen geführt hat. Nun schleppt er die für ihn nutzlosen "Poles" im Rucksack mit. Nichts was es nicht gäbe auf dem Camino. Peter erzählt aus dem Leben eines Architketen. Die Herausforderung in seinem Job bestünde darin, sich durchzusetzen, wenn es darum gehe, eine für das Bauwerk - Schule, Krankenhaus, Museum, Flughafen, egal was - falsche Entwicklung während des Baus abzuwenden, auch wenn Mehrkosten/Zeitverzug die Folge seien. Wichtig sei es, keine faulen Kompromisse einzugehen. Das Museum steht auch noch in einhundert Jahren, wenn schon lange keiner mehr nach den Kosten fragt. Bei der Softwarentwicklungs sei das anders. Da haben bei Softwarebausünden in der Regel nur wenige ein- bzw. durchblick. Wie wahr. Als aktuelles(?) Beispiel führt er den Neubau des Tokioter Flughafens an. Stararchitekt Enzo Sowieso (müsste ich googln, habe nicht die Muse dazu) habe sich mit einer viel Geld konsumierenden Änderung durchgesetzt, obwohl in der Bauphase täglich eine Mio US-Doller in Zement gegossen wurden. Und schon wären wir bei den beeindruckenden gotischen Kathedralen, die zu besichtigen wir in diesen Tagen das Glück haben. Und, wer fragt noch nach den armen Bauern und Handwerkern, die zur Zeit deren Entstehung bluten mussten, damit diese überhaupt entstehen konnten? Nobody. - In San Nicolas lädt Peter mich auf einen Kaffee ein. Danach verabschieden wir uns.


Nächste Station Sahagún. Am Ortseingang grüsst wie in vielen Orten der Region der weithin sichtbare Kornspeicher. So ´ne Art Wahrzeichen der kastillischen Dörfer/Städte. Irgendwo muss all das Getreide ja auch gelagert werden. Vor der Städtischen Herberge "Iglesia de la Trinidad" treffe ich den Endfünfziger Honorio. Er war gestern Abend im Albergue zu einer Art Fan von mir geworden, als er erfuhr, wie lange ich schon unterwegs bin. Jetzt nimmt er mich beim Arm und gewährt mir Einblick, in sein unerschöpfliches Repertoir an Lebensweisheiten.


Honorio der Dichter


Peter der Läufer

Aus aktuellem Anlass geht es um die "Geduld", "la paciencia": "La paciencia empieza llorando, sufriendo, pero al fin sonrie." (Geduld beginnt weinend, leidend, aber schliesslich lächelt sie) und ergänzt: "Pero, la paciencia no florece en todos los jardines!" (Aber, Geduld wächst nicht in jedem Garten!). Schön, oder?
Ich schlendere durch Sahagún und versorge mich in einem kleinen Laden mit Proviant. Lasse mir bei der Gelegenheit vom Ladenbesitzer eine Bar empfehlen, in der ich dann auf dem Fusse einkehre. Als Apperitiv werden "pimientos de padrón" gereicht, ganz nach meinem Geschmack. Das Omelett mit Shrimps ist dann auch lecker. Derart gestärkt mache ich mich auf den Weg. Für den weiteren Weg entscheide ich mich für die zwar etwas längere, aber im Wanderführer als "persönlichere" Strecke über "Calzadilla de los Hermanillos". Sehr kluge Entscheidung, wie sich morgen herausstellen wird.



wieder dem/der Verliebten auf der Spur ;-)

Zunächst geht es einige Kilometer auf einer Piste neben der Strasse nach "Calzada de Coto". Hier trennen sich die beiden Wege. Ich überquere also die Autobahn und wandere fortan auf der alten Römerstrasse, der "calzada romana" in den winzigen Ort "Calzadilla de los Hermanillos". Schotterpiste, brettl-eben, Meseta eben(!), vereinzelt Buschwälder, Kornfelder, immer wieder Regen, Einsamkeit des Pilgers. Ich bin begeistert, von wegen langweilig. Allein der Gegensatz zu den kräftigen Farben und dem blauen Himmel der letzten Tage ist faszinierend. Heute ist alles gedämpft, das Licht, die Farben, Meseta im Dunst.
Kurz vor dem Dorf erreiche ich die "Fuente del Peregrino", die Pilgerquelle, die allerdings (zumindest heute) versiegt ist. Ich schaue mich etwas um und dann trifft mich fast der Schlag. Liegt da nicht auf einem der Tische so ein Riemen, wie ich ihn heute Morgen beim Aufbruch aus dem Albergue verloren habe (ich verwende den Riemen, um die Kamera am Hüftgurt des Rucksacks festzuzurren)! Unglaublich! Zufall? Will mir da jemand eine Botschaft schicken, von der Art "Peter, I´m watching you." Schmarrn - oder vielleicht doch? Bueno, yo no se.


Ich steige in der Casa Rural "casa de la cura" ab. Bin der einzige Gast. Beziehe ein schönes Zimmer mit hübschem Bad und Badewanne. Ein Traum.


Die Gelegenheit nutze ich, nehme ein ausgiebiges Bad und esse dann unten im Salon zu Abend. Es ist ein bisschen so wie bei "Dinner for one". Oder so, wie es Cees Noteboom in seinem "Umweg nach Santiago" beschreibt. Ich sitze also alleine am Zweiertisch und harre der Dinge, die die da kommen. Die Tochter des Hauses - Mitte 30, schlank, spröde - wie es den Anschein hat für den Service zuständig, schwirrt um mich herum, bringt die einzelnen Gänge, während ihre Mutter in der Küche das Essen zubereitet. Der Gast und die beiden, mehr Leute sind in dem hübschen Anwesen heute Abend nicht zugegen. Mein Gott ist die Tochter schnell. Kaum hat sie mir etwas aufgetischt, ist sie auch schon wieder verschwunden. Habe mir ein paar Fragen zu Recht gelegt und wirklich Probleme, diese auch anzubringen. Ruhe, Geduld, das Verhalten der Tochter ruft mir diese Begriffe wieder in Erinnerung. Geduld, DAS Thema des Tages.
Das Haus wurde früher von einem Priester bewohnt (daher der Name), verfiel, wurde renoviert und dann dem Tourismus in den Dienst gestellt. Es ist aus Stein und wirkt kühl. Im weitestgehend offenen Erdgeschoss sind das Restaurant, der Salon und diverse Versorgungsräume untergebracht. Eine ausladende Treppe führt geradeaus hoch zur Galerie, von der aus die Zimmer weggehen. In allen Bereichen, auch in den Zimmern (zumindest in meinem) hängen Schwarzweissfotografien an den Wänden, Porträts, Landschaften, etc. Keine Ahnung, ob und wenn ja, wie die mit dem Haus in Verbindung stehen. Ich geniesse die Einsamkeit in der Casa del Cura. Nach dem Pilgertrubel in den Albergues der letzten Tage tut das richtig gut. Ziehe mich nach dem Essen mit der Flasche Rotwein in den Salon zurück, schreibe, lese, trinke. Sehr schön.

Donnerstag, 25. September 2008

Sydney aus Sydney, Von Boadilla nach Calzadilla (So 21.9)

Hi Folks, Samstag, später Vormittag, Ponferrada. Die Templerburg kann erst ab 11 besichtigt werden, also etwas Zeit für den Rechner (in der Turiinfo neben der Burg; allein in den 5 Minuten seit ich hier vor dem Rechner stehe, hat der arme Mitarbeiter die Geschichte über die Altstadt viermal abgespult - ein Routinejob).
@Thea - nein, der Ginster blüht leider nicht mehr, aber das Heidekraut kleidete die Hügel in Lila, auch schön). @Ulla - ist echt nett zu erfahren, wer so mitliest. @Fotos - werden kommen, bitte etwas Geduld. Die zu haben hat mich der Camino wahrlich gelehrt, das könnt Ihr mir glauben. Zurück zum vergangenen Sonntag, schon fast wieder eine Woche her.

Am Frühstückstisch begegnet mir die Ungarin Viktoria wieder. Kurzes Gespräch. Auf dem camino trifft man sich immer mehrmals.
Die erste Etappe nach Frómista verläuft entlang des Kanals von Kastilien (der dritte Kanal auf meiner Pilgerreise). Im 18. Jh. als Transportweg geplant, wird er heute als Bewässerungskanal für die sogn. "tierra de campos" genutzt (nebenbei: Bewässerungskanäle werde ich in der Meseta noch viele sehen, irgendwie muss all das Getreide im Hochsommer ja auch am Leben gehalten werden; hierzu fällt mir ein: "en castilla tenemos 9 meses invierno y 3 meses infiero" ;-)).


Eine Pilgerin hat sich in die nicht vorhandenen Büsche verzogen und reckt mir ihren nackten Hintern entgegen. War wohl dringend - oder sie hat sich in der Perspektive vertan. Sei´s drum. Kurz bevor der Weg über eine wunderschöne horizontal geschwungene Brücke an einer Schleuse den Kanal verlässt, komme ich mit Paco und Javier ins Gespräch (die beiden mögen meinen Regenschirm). Der eine aus Sevilla ("feria, si, mucho vino"), der andere aus San Sebastian.


Nach Frómista laufe ich ein Stück mit Stefanie (sass gestern Abend mit am Tisch). Sie scheint sehr mit der Frage beschäftigt, ob am nächsten Etappenort in der Pilgerherberge noch genügend Platz frei sein wird. Eine Befürchtung, die mir in 10 Wochen nicht einmal zu schaffen machte. Das Wettrennen um die Betten, dass manche veranstalteten, möge sie überhaupt nicht. Aber tut sie nicht genau das? Kann es sein, dass wir manchmal bei anderen das nicht mögen, was wir selber tun? Nur mal so zum Nachdenken.
Am Ortsausgang von Villarmentero ist ein schöner Rastplatz. Ich lege eine Pause ein und schockiere sogleich drei Damen aus Spanien, alle Mitte Fünfzig, mit der Tatsache, dass ich in Deutschland gestartet bin. Foto, Foto, Foto. Die Damen haben heute eine 3-Tages-Test-Pilgerreise angetreten. Gutes Gelingen!
Nach einigen Minuten trudelt Lulu auf dem Rastplatz ein. Wir sitzen nebeneinander, essen und schweigen. Da er offensichtlich nichts mehr wissen will (kein Wunder, bei diesem Laufpensum ;-)) lasse ich meiner Neugier freien Lauf. Ob er denn verheiratet sei, möchte ich wissen. - "Divorced" - aha. Und wie weit er zu gehen gedenke, hänge ich an. Ursprünglich wollte er die 18 km Meseta-Etappe bis Calzadilla heute anhängen, doch das werde nichts. "I'm to old" meint er lakonisch.


Auf der riesigen steinernen Tischplatte vor mir liegt ein Stein (Gleiches zu Gleichem gesellt sich gern ...). Gut, dann ist jetzt die Zeit der Haselnüsse gekommen, die ich seinerzeit von dem Jungen in Saint-André geschenkt bekommen habe. Schmecken lecker, sind nachgereift. So hat alles seine Zeit. Abwarten können, das ist die Kunst.
Schöne frühromanische Kirche (San Martín) aus dem 11. Jh. in Frómista. Innenbesichtigung leider nicht möglich.


Dito im übernächsten Ort Villalcázar (Santa María la Blanca, 13. Jh. Übergang Romanik zur Gotik - man sieht förmlich wie die Bögen nun spitz werden, Grabmal Prinz Philipp und Gattin aus dem 13. Jh., den Eintritt kassieren vier Kids ab, die wie Orgelpfeifen hinter dem Tresen stehen - süss).





Im Gegensatz zu Lulu packe ich die 18 km von Carrión de Condes nach Calzadilla de la Cueza am Nachmittag an. Ein Salsaplakat in Carrión hat mir einen zusätzlichen Motivationsschub verpasst.



Laut Wanderführer ist dieser Abschnitt "Meseta pur". Stimmt. 5 km eine wenig befahrene Landstrasse entlang, dann weiter auf einer Schotterpiste, der alten Römerstrasse "Via Aquitana".




Das Gehen auf der Schotterpiste ist sehr ermüdend. Den dicken Steinen ausweichen, immer wieder verdreht es mir den einen ode anderen Fuss.
Brettleben, Pappeln, Sträucher am Wegesrand, Felder. Nach etwa 10 km erreicht man eine improvisierte Bar, die, wie erwartet, um diese Uhrzeit nicht mehr besetzt ist. Ich "breche ein" (klettere über den Zaun) und mache gepflegt Brotzeit mit Stuhl und Tisch. Jo.
Ankunft in Calzadilla. Bin jetzt doch ziemlich müde. Die Albergue liegt gleich am Ortseingang. Ein netter Hospitalero begrüsst und registriert mich, weist mich ein. Sydney, geboren in Sydney (kein Scherz!), aufgewachsen in Brasilien, spricht Spanisch mit portugiesischem Akzent. Das klingt gut. Gertenschlank, schokoladenbraun, gutgelaunt und sympatisch. Hat gute Musik laufen.
Ich dusche mich schnell und schwimme einige Bahnen im Pool. Das Wasser ist eiskalt, aber es tut sooo gut.


Später komme ich im Schlafsaal mit einem Pilger ins Gespräch. Harry kommt aus Helsinki! Mein erster Finne auf dem Jakobsweg. Endlich kann ich mich auf Finnisch unterhalten (ich übertreibe masslos ;-)) Völlig untypisch für einen Finnen geht er nicht mit zum Biertrinken ins Restaurant um die Ecke. Harry ist müde.
Esse mit einem älteren Ehepaar aus Norwegen zu Abend (Trina und Katu). Die beien haben in Burgos begonnen, sind mit dem Fahrrad unterwegs. Nette Unterhaltung. Interessant finde ich die folgende Kurzcharakterisierung Skandinaviens aus Sicht des Norwegers: Dänemark, die Schnittstelle zu Europa - Finnland, die Schnittstelle zu Russland - Schweden, das Land der Eroberer und Norwegen, das Land der Bauern (und des Öls).
Schweden hätten sie auf dem Camino noch nicht getroffen. Viele im Westen lebende Schweden wären viel lieber Norweger usw. Ja, ja, zwischen den Zeilen klingen da schon ein paar Ressentimens in Richtung Gustafs durch.
Am Nachbartisch sitzen zwei Paare aus Sachsen. Nachdem sich Norwegen ins Bett verabschiedet, entsteht ein tischübergreifendes Gespräch zwischen Sachsen und Franken. Ein lustiges Völkchen die Vier. Wir haben viel Spass. Wortführer Gerdi (Glatze, rotes T-Shirt) kann fast jeden Satz zu einer Pointe verdrehen. Nein, sie würden das Pilgern schon auch ernst nehmen. "Wir können uns auch benehmen, nur zeigen wir es nicht" ergänzt der Gerdi gegenübersitzende Franz. Unaufhörlich rollt er "seine" Ecke der Papiertischdecke auf und lässt sie wieder abrollen. Sissiphos? "Wir laufen und saufen" usf. ein Spruch jagt den anderen. Wäre um 10 nicht Zapfenstreich (gebranntes Kind und so), würde ich bestimmt mit den "Ossis" versumpfen und die andere Hälfte meiner Weinflasche auch noch leeren.
Pünktlich um 10 laufe ich in der Albergue ein. Mit mir ist völlig fertig, den Rucksack noch geschultert, ein Pilger aus der Meseta eingetroffen. Ein seltsamer Typ. Es kommt wie es kommen muss: der Typ schläft im Bett neben mir und lässt in der Nacht einige Bäume sterben. Wird keine gute Nacht für Peter.