Mittwoch, 17. September 2008

Toros in Viana, Von Estella nach Viana (So 14.9)

Fantastisches Frühstück (Müsli mit viel Obst, sogar Kiwis!) im Hotel und los geht's.


Schön bergan führt der Camino aus der Stadt. An einer Tankstelle lasse ich mir einen Stempel ins Credencial verpassen (das hatte ich im Hotel verpasst). Jugendliche Nachtschwärmer in den Strassen, quatschen mich an ("Si, esta chica esta muy guapa..."), auf einer Bank schon weit über der Stadt kiffen zwei Jungs und ein Mädchen, werfen dem aufsteigenden Pilger einen verstohlenen Blick zu, der alles sagt. Der Weg führt an den "Bodegas Irache" vorbei, wo man normalerweise Wein zapfen kann. Heute kommt kein Tropfen des edlen Gesöffs mehr aus dem Hahn. "Ihr habt das Fass wohl schon leer getrunken", rufe ich scherzhaft Jutta und Traudl entgegen, die schon vor mir angekommen sind.


Die beiden legen los: "Nein, das war schon leer ... Ach, gestern 23 km, völlig platt, kein Schritt mehr möglich, super freundliche Aufnahme in der Herberge mit warmem Tee, ... , unvergesslich!" Der Wein sprudelt nicht, die Mädels schon. Ja, ja, der Camino. Manchmal kann ich mich des Eindrucks einer "selffullfilling prophecy" nicht erwehren. Wir ziehen wegen der besonderen Erlebnisse los - und wir machen diese Erfahrungen dann auch. Vorsicht, Überhöhungsgefahr, denke ich mir manchmal. Manchen Erlebnissen und Beobachtungen wird schon sehr viel Bedeutung beigemessen. "Kuckmal diesen harmonisch geformten Stein, der da vor mir auf dem Weg liegt! Eine Botschaft!" Ich übertreibe jetzt natürlich masslos. Es ist eine Gratwanderung. Entscheidend ist ja auch, was mit einem selbst passiert, vale?

Auf den ersten gut 20 km nach Los Arcos via Villamayor sind Weinreben, Oliven und in den Gärten Quitten am Weg. Im Norden wieder ein langgezogenes Felsmassiv, das eisenerzfarben zu uns hinüberschimmert. Herrlich!



Und wieder begegnen mir die beiden Martinas. Martina II ist angeschlagen. Martina I hatte schon am zweiten Tag Probleme mit einem Fuss. Darauf hin hatte sie die Schuhe gewechselt und 2,8 kg ihres Gepäcks nach Hause geschickt. Fortan ging es ihr besser. Nun also Martina II; Ihr Knie schmerzt. Die gestrige lange Tour nach Estella (auch sie hatten sich diese Strecke angetan) war zu viel des Guten. Heute wollen sie es gemütlich angehen lassen. Ich will weiter, schiesse zwei Abschiedsfotos ("Ach, wie ich aussehe, mit dem Hut ...") und dann sagen wir Tschüss.


Entlang einer Rennstrecke (mit dem Lineal gezogener Weg, nimmerendend, flach, Pilger wie Perlen auf einer Schnur), an einen dieser werkshallengrossen Strohballen gelehnt, die es hier zuhauf gibt, entdecke ich James und Ursula. Fast wäre ich in meinem Tran an Ihnen vorbei gelaufen. Auch James ist angeschlagen, der rechte Fuss schmerzt, sie mussten einen Gang zurückschalten.




Leiden, wohin man sieht. Da ist es nur gerecht, dass ich mich mit Schnupfen und Halskratzen durch die Gegend schleppe.
Auf der Zielgeraden nach Los Arcos komme ich mit drei spanischen Pilgern, alle in den Sechzigern, ins Gespräch. Unter ihnen eine Frau namens Edelmira, die mich, den Deutschen, fragt, was das Wort "edel" bedeutet. "..., muy bonito, de los reyes veniendo, algo especial ... " erkläre ich. Sie ist glücklich.
Für die meisten ist heute in Los Arcos Schicht, nicht so für mich. Gehe weitere 8 km nach Torres del Rio (Fete im Ort) und anschliessend weitere 11 km nach Viana.







Mittlerweile brennt die Sonne, wovon man allerdings wenig mitbekommt, weil nach wie vor ein kräftiger Wind bläst. Ich gehe in kurzer Hose und T-Shirt mit Halstuch (wegen Kratzen im Hals). Kurz vor der Kapelle "Nuestra Señora de Poyo" habe ich eine seltsame Begegnung mit einer Pilgerin (Spanien? Lateinamerika?), die völlig durch den Wind scheint. Sie hat keine Ahnung, wie weit es noch nach Viana ist (knappe 8 km, erkläre ich ihr) und hat kein Wasser mehr. Ich gebe ihr aus meiner Wasserflasche zu trinken, da sie nach eigenem Bekunden kein Gefäss mit sich hat. Schon merkwürdig. Auch ihr Gepäck: eine Tragetasche mit Reisverschluss (kenne ich aus Südamerika) und einen Rucksack. Puh, alles a bisserl skuril. Da sie mich nicht explizit um Hilfe bittet, ziehe ich weiter. Die Strasse ist nicht weit, im Notfall könnte sie auch ein Auto anhalten, viele Pilger werden jedenfalls nicht mehr nachkommen, wenn überhaupt. Die Begegnung wirkt nach und mir kommen so verrückte Gedanken wie "Und wenn sie zu einer Bande gehört und ihre Komplizen dir nach der nächsten Kurve im Gebüsch auflauern?" Viel Chancen hätte ich nicht. Bin in der Pampa, kein Mensch weit und breit. Die Sonne brennt und es ist ein Feeling wie in den Wüsten Mexikos (so stelle ich sie mir zumindest vor). Sicherheitshalber nehme ich die meisten Geldscheine aus meiner Geldbörse und verstecke sie in der Hose. Früher war das Banditentum für die Pilger ja wirklich ein Problem. - Etwa 2 km vor Viana treffe ich dann doch noch auf Banditen - ähm, nein, auf andere Pilger. Eine 5-köpfige Familie aus Irland schwitzt sich durch die Gegend (Papa, Mama und die drei Töchter). Die Armen hatten in "Torres del Rio" keine Unterkunft mehr bekommen. Zu fünft ist das nicht so einfach. "Buen Camino brother" ruft mir der Papa nach.
Auch in Viana wird gefeiert. Klar, es ist Erntedank-Zeit. Kaum im Ort angekommen, werde ich mit einem Becher "vino joven" begrüsst (Jungs in Frauengewändern - bei uns würde man Kirchweihbuam sagen - schenken mir von einem Wagen aus ein).


Das geht ja gut los, denke ich bei mir. Ich höre und sehe, die Stadt steht Kopf. Steige in der Herberge "Andrés Muñoz" ab. Novum hier, die Betten im Schlafsaal sind 3. Stockwerke hoch. Meins, da "late comer", liegt natürlich im dritten Stock. Muss man auch mal mitgemacht haben. Ich mache mich frisch und gehe dann ein Abendessen "jagen". Zunächst schaue ich an der Plaza dem Treiben zu. In der auf dem Platz aufgebauten Arena ärgern die Mutigsten aus dem Ort ("los chicos con cojones!") Stiere. Eine zeitlang schaue ich dem Treiben zu, doch dann brauche ich was zwischen die Kiemen. Lasse mich treiben und lande schliesslich in einer gut gefüllten Bar. Wer sitzt da einsam an einem Tisch? André aus Lousanne, mal wieder. Lustig. Ich geselle mich zu ihm und verspeise eine recht lecker paella con mariscos. Diesmal haben wir Zeit uns auszutauschen. André ist 62. Mit 55 ist er aus dem Job (bei IBM) ausgestiegen. Ein Typ mit Prinzipien, die er bereitwillig kund tut und verfolgt Aber auch ein Typ mit einem Humor, der mir gefällt. Sein "Peter, I don't look at the guys" klingt heute noch in meinem Ohr. Es soll aber kein falscher Eindruck entstehen. André spricht zwar viel von den Mädels, aber das ist es auch schon.


Während wir essen, werden endlich die Stiere durch die Gasse getrieben. Ein Halligalli! Mich, den Peregrino, lässt man in die erste Reihe am Bareingang, damit ich die wilden Toros hautnah erleben kann. Lustig. Und ich dachte, das gäbe es nur in Pamplona. Von wegen.
In der Herberge sitze ich dann noch bis etwa Elf am PC und helfe Elen aus Frankreich mit 50 ct. aus. Sie ist überglücklich. "Beim nächsten Treffen gebe ich einen Kaffee aus." "De acuerdo", blos fürchte ich, wird es das nicht geben. Als letzter klettere ich im 18-Bett-Zimmer in den dritten Stock.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,
lustig, dass Du das gleiche erlebst und beschreibst mit der 3. Stockbettetage! Ich fand ja das Aufstehen (oder sollte man es eher Abklettern nennen?) den schwierigeren Teil. Hätte mir fast ein Seil zum Abseilen gewünscht!
Buen camino
Thea
PS: und ich tippe auf Brasilien (die Frau mit der eigentümlichen Tasche und dem Rucksack und Deiner Angst vor der Räuberbande..)