Freitag, 12. September 2008

Leipzig pilgert, Von Uzan nach Souvlade (So 7.9)

Hab' im Wohnzimmer super geschlafen. Frühstück mit der Bäuerin in der Stube (die anderen Pilger versorgen sich in der Herbergsküche selbst). Brot, selbstgemachte Marmelade (Apfelgelee und Konfitüre, eine Melange aus Apfel und Pflaumen), Tee. Sie befeuert den "Omaofen" (ja, hier steht in der Tat noch so ein Holzherd mit Wasserschiff). Gekocht wird allerdings auf dem daneben stehenden Gasherd. Sie bereitet den Sonntagsbraten vor. Ente, was sonst. Salz, Pfeffer und eine Knoblauchzehe hinter jeden Schlegel. Kurz nach Acht breche ich auf. Eine halbe Stunde später - hab' mich wegen eines kräftigen Regengusses untergestellt - fällt mir auf, dass ich mal wieder etwas angebaut habe: 4 kleine Becher Joghurt und eine Torte Camembert sind im Kühlschrank liegen geblieben. Diesmal gehe ich nicht zurück. Wenn ich's vorher nicht immer ahnte ... Was soll's, Baguette, Chocolatines und Paella(!) zum Mitnehmen, in der Boulangerie von Arthez-de-Bearn erworben, wo ich Mittagspause einlege, sind mehr als ein Trost. Vor dem Aufbruch dann noch ein Milchkaffee im "Cafe des Sports", das seinem Namen alle Ehre macht. Im Fernsehen läuft Rugby, eine Sportart, die sich in Frankreich grosser Beliebtheit erfreut, im Lokal dito: Jungs toben mit der Kinderversion eines Rugby-Eis im Lokal herum, machen sich einen Spass aus den nicht ganz ernst gemeinten Ermahnungen des Barkeepers, ein kräftiger, freundlicher Mann in buntem T-Shirt.
Die Sonne kommt durch und ruft mich auf den Weg nach Maslacq. Wie gehabt geht es durch Wald und Maisfelder, heute teilweise wegen des Regens sehr matschig.


Kurz vor Maslacq überquere ich zunächst eine Eisenbahnlinie, dann den Fluss Gave de Pau und schliesslich die A64, die letzte französische Autobahn auf dem Weg.
Und wieder: tote Hose in Maslacq. Ich wollte eigentlich ein Bier trinken, doch das einzige Hotel am Ort hat geschlossen. Der Versuch im Gite von Souvelade ein Bett zu reservieren scheitert ebenfalls, hebt keiner ab. Was soll's, werd' schon ein Bett bekommen. Ich verlasse Maslacq.
Eidechsen und Schmetterlinge meinen es heute gut mit mir, halten still vor meiner Linse.



Später hoch zu einer Hügelkette und dann wieder hinunter. Auf der Zielgeraden nach Souvelade hole ich Ruth aus Leipzig ein. Den letzten Kilometer gehen wir gemeinsam.


Diese Frau ist eine Nummer. 68 Jahre alt, 49 kg schwer, ein Strich in der Landschaft. 11 kg Gepäck auf dem Rücken. Seit Anfang Juni unterwegs. Ist da eigentlich noch überhaupt jemand in Leipzig? Scheint sich jeder auf den Jakobsweg begeben zu haben ... Ruths Budget ist begrenzt, weshalb sie auch schon mal draussen oder in einer Scheune schläft - ohne Isomatte! Ich hab's nicht glauben wollen. In ihrem leicht schlesischen Akzent erklärt sie, dass sie sich warm anziehe, Poncho und Regenhose als Unterlage verwende und so in ihrem dicken und warmen Schlafsack (1,5 kg!) nicht friere. Mit 68 tut sie sich das an. Bin sehr beeindruckt. Ausdruck ihrer Zähigkeit, vielleicht auch ein Schuss Sturheit, ist die Tatsache, dass sie immer noch, nach bald 1000 km in Frankreich, von "Schiete" spricht, wenn sie "Schiet" (Gite) meint, wider besseres Wissen. Ich find's total lustig und höre ihr "Schiete" noch jetzt in meinem Ohr nachklingen.


Die Gite ist ziemlich runtergekommen. Platz gibt es genug, aber kein Abendessen. Sonntag, da hat die zur Herberge gehörende Bar geschlossen. Ach, Frankreich! Die meisten Pilger sind schon in die Koje geschlüpft als Ruth und ich ein Bierchen zusammen zischen. Zuvor hat sich noch eine skurile Szene abgespielt. Eine Pilgerin, so um die 30, ist sauer, weil sie am Nachmittag telefonisch niemanden in der Herberge erreicht hat (mir war es ja auch so ergangen). Allein, was ist so schlimm daran? Ein Bett hat sie ja bekommen und Abendessen hätte es so oder so nicht gegeben. Sei's drum. Sie lässt ihren Frust im Gästebuch aus. Das wiederum bekommt die Wirtin mit, weshalb ein fetziger Streit vom Zaun bricht. Bin froh, dass ich keine der Freundlichkeiten, die sich die beiden Damen an den Kopf schmeissen, verstehe. Ich denke mir, diese Pilgerin braucht noch einige hundert Kilometer auf dem Camino, um ruhiger zu werden.

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