Dort Ankunft nach eineinhalb Stunden. Kaffeestop. In der Bar Plausch mit einem Ehepaar aus Kopenhagen und den beiden Deutschen Martin und Rose. Martin ist vor drei Monaten in Bonn aufgebrochen. Auch nicht schlecht. Seine Freundin Rose ist in Saint-Jean-Pied-de-Port eingestiegen. Die restlichen paar Kilometer nach Santiago gehen sie zusammen. Neulich habe ihm, Martin, ein Pilger eine interessante Interpretation des Pilgerwegs erzählt. Jeder Pilger trage seine Ängste im Rucksack bei sich. Die (Ängste) könne ihm keiner abnehmen. Ergo, den Rucksack eines anderen tragen is nich und je schwerer der Rucksack, umso mehr Ängste sind darin enthalten. Hm.
Etwas später treffe ich die Kanadier Sarah und Cory. Letzter sieht mit Bart und grüner Revolutionsmütze aus wie der junge Fidel. Ich schiesse ein Foto.
Kurz danach werde ich von Manuel aus Barcelona überholt (ich glaube der erste Pilger, dem das überhaupt gelungen ist). Manuel ist schlank, trägt einen schlanken Rucksack, ein blaues T-Shirt und ein Kopftuch als Sonnenschutz. Das wiederum erinnert an den jungen Che. Wie mir scheint, ist das der Tag der Revolutionäre. Manuel ist heute Morgen um Sieben in Logroño (also 10 km vor Navarrete) aufgebrochen. Ay, mit ihm könnte ich mal ein paar Etappen gehen. Wir verabreden uns lose für den Abend in Santo Domingo. Das mit dem Treffen klappt leider nicht. Mittlerweile ist er bestimmt schon über alle Berge. Así es la vida ... Sigue adelante, commandante, commandante!
Auf trockenem, hartem und bisweilen steinigem Lehmweg geht es kilometerlang weiter. Links und rechts Weinreben, so weit das Auge reicht. Da kommt also der edle(!) Rioja her.
Immer wieder wird man von Radlern überholt. Meistens treten sie in Gruppen von 2-6 Herren, in der Regel aus Spanien, auf. Zuerst erscheinen sie akustisch auf dem Radar der Wahrnehmung. Es klingt immer gleich: eine laute Unterhaltung, ein Ruf. Für die Radler ist die Kommunikation nicht so einfach, weil sie meist hintereinander fahren müssen. Fast immer grüsst der Radler den Pilger zu Fuss mit einem "buen camino!". Das ist nett. Man hat den Eindruck, es würden immer die gleichen kommen, denn auch optisch ähneln sich die Radler in ihrem Radleroutfit sehr.
Pause in einer Bar in Nájera. Cola und Tapas. Gut. Ich rufe meine Nichte Marlene an, die heute eingeschult wird. Für sie beginnt, wenn man so will, heute auch eine Art "Camino", allerdings dauert der etwas länger. Was es doch für Zufälle gibt. Heute ist Schulanfang und Martin, der Typ, den ich am Morgen in der Bar traf, ist Lehrer, der - so habe ich ihn verstanden - auf seinem langen Weg u.a. zur Erkenntnis gekommen ist, dass er dem Beruf nicht weiter ausüben wird. So was kann passieren.
Weiter nach Azofa. Mittlerweile ist es sonnig und heiss. Kälte und Wind der letzten Tage sind wie weggeblasen. Konsequenterweise sieht man hier auch keine Windkraftwerke mehr. Auf dem Weg nach Azofa höre ich Schüsse. Es wird gejagt.
Im Ort angekommen, frage ich einen Typen, der mit einigen Kumpels gerade so meinen Weg kreuzt, was denn so gejagt wird. Er: "Alles, Kanninchen, Wildschweine, ..., alles". "Auch Pilger?", frage ich zurück. "Nein, die essen sie nicht." Ich: "Ah, weil Pilger kein Fleisch haben, ¿verdad?" - Bin durstig, mag mal was anderes als Wasser. Genehmige mir in der Bar "Sevilla" ein Radler. Loblied auf die spanischen Bars, auf die spanischen Barkeeper. Meist allein, schmeissen sie die Theke, selbst wenn der Laden so voll ist, dass sich die Gäste gegenseitig auf die Füsse treten. - An einem Tisch sitzen lauter Alte. Keiner hat ein Getränk auf dem Tisch stehen. Sie sitzen einfach da, unterhalten sich, oder schweigen. Sehr schön. So stell ich mir mein Altsein vor. Toll. Besser als sich zuhause vor dem Fernseher zu vergraben. André mutmasste vorgestern in der Bar, in der wir zusammen gegessen haben (da haben wir das gleiche beobachtet): "Perhaps they have paid for it earlier." Mit dieser Vermutung hat er sicherlilch recht.
Als ich die Bar verlasse, komme ich kurz mit Susan aus Ontario/Kanada ins Gespräch. Sie hat es sich bei einem kühlen Blonden im Schatten bequem gemacht, hat einen Block vor sich auf dem Tisch liegen und hat begonnen, die Bar zu zeichnen. Für sie ist heute Schluss mit Kilometer fressen.
Ist schon irgendwie irre. Normalerweise sollte ich im Bett liegen, statt dessen spule ich bei (heute) brütender Hitze 40 km ab. Ab Azofa wird es wieder einsam, wie immer auf den Spätnachmittagsetappen.
Hierzu kam mir folgendes Bild: Morgens werden den Pilgern frische Batterien eingesetzt. Dann laufen Männchen und Weibchen los. Bei den ersten ist nach 15-20 km die Batterie leer, bei anderen nach 25-30 km und bei den Duracell-Pilgern scheint sie ewig zu halten. Wenn nicht die Nacht käme. So erkläre ich mir die Tatsache, dass ab ca. 16:00 Uhr kaum einer mehr unterwegs ist. Lediglich Radler sind bis Sieben oder Acht aktiv.
Ein paar Kilometer hinter Azofa mache ich an einem Rastplatz Pause. Hier steht eine der für die Region typischen Schutzhütten aus Stein (geformt wie ein Iglu, so wie ich sie in ähnlicher Form schon in Frankreich gesehen habe). Auf der Infotafel am Rastplatz steht, dass der der Ebro für das Klima sorge, das die sattblauben Trauben hier so gut gedeihen lasse. Damit sei jetzt Schluss. Und in der Tat. Nach dieser Raststätte ist es vorbei mit den Traubenhügeln. Statt dessen: Äcker, Getreidefelder und - Schafe.
In Santo Domingo quartiere ich mich im Hostal "Rio" ein. Will mal wieder ein eigenes Zimmer haben. Auf dem Weg dahin, komme ich an einem Schuster vorbei, der draussen vor seinem Laden steht. Lange Schürze und eine fänomenale Nase: rauh wie ein Golfball und so gross, wie ich sie noch nie gesehen habe. Na, den hau' ich doch mal an: "Buenas tardes señor. ¿Qué tal? Puede areglar mis botas?"/"Hallo, wie geht's? Können Sie diesen Schuh reparieren" (ich zeige ihm den Riss in meinem Schuh) "Claro hombre. Es qué tarda 2 dias. El pegado tiene que secar. Y jueves estará fiesta. Pues ..."/"Klar doch, dauert aber 2 Tage, Spezialleim, der trocknen muss. Und am Donnerstag ist Feiertag. Nun ..." - Oje, das wird nichts. "¿Piensa usted, que me sirven las botas hasta Santiago?"/"Glauben Sie, dass die Schuhe bis Santiago halten" Schuster: "Bueno hombre, depende, a lo mejor si, pero si llueve ..."/"Nun, das kommt drauf an. Wenn's gut geht ja, aber wenn's regnet ..." Peter: "Por eso me he comprado el paragua"/"Deswegen habe ich mir den Schirm gekauft" (auf den im Rucksack steckenden Schirm deutend. Schuster: "Eso no te sirve para los botas."/"Der hält die Schuhe nicht trocken." Na der hätte wohl doch gerne das Geschäft gemacht.
Abendessen im Rio, Salat, Merluza, die Portionen überschaubar, Geschmack ganz ok. Im Fernsehen läuft das Spiel Barcelona - Sporting Lissabon, das Barca souverän mit 3:1 gewinnt. Fussball zum Abendessen, mal was anderes.
1 Kommentar:
Hi Peter,
du hättest mal vor dem Jakobsweg einen Sponsorvertrag mit Duracell schliessen sollen :-)
Ich bin sicher, dass deine Schuhe die restlichen paar Kilometer auch noch halten werden.
Und: ich freue mich schon, wenn du wieder hier bist. Echt! :-)
In diesem Sinne: guten Endspurt, wobei du Spurt bitte nicht wörtlich nimmst. Vielleicht ist es zum Schluß hin sogar schön, ein bisschen langsamer zu werden - um die Endphase quasi richtig in sich aufzusaugen und zu geniessen. Schlauer Tipp vom Theoretiker, gell? O.K. - aber kam mir grad so und wollt ich dir nicht vorenthalten...:-)
Mach`s weiterhin gut, mein Freund.
Gruß aus dem recht frischen Nürnberg (Morgentemperaturen so bei vier bis fünf Grad),
Uwe
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