Diesig am Morgen. Weites Land, Hügel, Felder im Nebel. Sehr schön. Vor Tosantos lehnt der Blondschopf Mathew aus Kanada an einer Hauswand. Schnappschuss.
Die nächsten etwa 20 km geht´s auf dem Pilgerhighway weiter. Zwischen Villafranca und San Juan durch ein ausgedehntes Waldgebiet, Eichen, Pinien. Erstmalig in Spanien, zunächst steil bergan in die "Montes de Oca". Gut, weil Schatten spendend. Rote Piste, Pilger auf der Perlenschnur.
Auf dem Weg Plausch mit Paco und Francisco. Ich quatsche die beiden wegen ihres bunten Outfits an. Grün und Orange die T-Shirts, Panamahut auf dem Kopf. "Puedo saccar un foto?", "Claro hombre".
Die beiden gehen nicht schnell, aber kontinuierlich. Den Grund zeigt mir Francisco: aus seinem Turnschuh quillt Blut. "Wenn ich einmal stehen bleibe, kann ich mich nicht mehr aufraffen." Wenig später Plausch mit Jose-Maria und Francisco. Letzterer fällt mir wegen seines Outfits auf. Er trägt ein blaues T-Shirt mit gelbem Pfeil auf Brusthöhe.
Der Pfeil, uns Pilgern ins Hirn gebrannt, zeigt an, wie der Camino weiterführt. Hunderte, Tausende sind entlang des Caminos, auf dem Land wie in den Städten angebracht. Erstmalig kommt das EM-Finale zur Sprache. Ich gratuliere. Spanien hat´s wirklich mal verdient, einen Titel zu gewinnen. "Der WM-Titel gehört uns auch, wir haben ein junges Team", gibt Jose-Maria selbstbewusst zum Besten. ¡A ver! - Am Nachmittag ist es ruhiger. Auf der Strecke nach Atapuerca treffe ich nur noch den bärtigen "chico" aus der Mancha. Für ihn ist in Atapuerca Schicht. Ich ziehe weiter, will heute noch nach Burgos. Ankunft in Atapuerca gegen Drei zur Siesta.
Hitze, die Luft steht, kaum ein Mensch zu sehn. Ich mache Brotzeit, stärke mich noch mal vor den letzten 20 km. Atapuerca ist ein Kaff, aber doch ein bedeutsamer Ort. Heimat der ersten Europäer. In der Nähe wurden in Höhlen 800000 Jahre alte menschliche Überreste gefunden. Aus dieser Ecke Europas kommen wir also. Pilgern, eine Reise in die Heimat unserer Urur...urgrossväter.
Von Atapuerca geht es zunächst bergan auf eine Anhöhe zu einem Holzkreuz. Am Wegesrand plötzlich eine Riesenfläche mit Krokussen. Wie ich erst jüngst erfahren habe, wird aus deren Blüten in mühevoller Kleinarbeit Safran gewonnen. Könnte zupfen und mein Budget aufbessern. Na, das lass ich doch lieber.
Von hier oben aus kann man erstmalig hinunter auf Burgos blicken. Ein schöner Moment. Jetzt bin ich endgültig allein, fast allein. Denn oben am Kreuz treffe ich auf eine Gruppe von 5 Polen, alle um die 50. Verblüfft erblicke ich das Auto, das sie mitgebracht haben. Man klärt mich auf: Vier wandern, einer (mit GPS-Empfänger ausgestattet) steuert das Begleitfahrzeug. Erinnerungsfoto.
Den wandernden Teil der Gruppe hänge ich schnell ab. Dann wird´s auf den restlichen 15 km wirklich einsam.
Zunächst hinunter nach Orbaneja de Riopico, einen weithin sichtbaren Steinbruch ständig im Blick. Hässlich aber später hilfreich, als ich zurückblicke und den eben gegegangenen Weg nachverfolge. Weiter geht´s über eine Autobahn und dann ewig am Flughafen entlang ("Peter, was tust Du hier eigentlich, Du spinnst doch!" - aber das vergeht). Nachher wird's noch schöner. Kilometerlang durch ein Industrie- und Gewerbegebiet (Autohändler, Keramikfirmen, Muebles Rey, usw., rege Bautätigkeit).
Glücklicherweise ist die vierspurige Strasse, entlang der ich jetzt stapfe, wenig befahren. Es geht schon auf Sieben zu. An das Gewerbeareal schliessen sich Wohnburgen an: 10 Stockwerke, oben wird gewohnt, unten eingekauft. Das geht ein paar Kilometer so, bis schliesslich die Altstadt erreicht ist. Unterwegs komme ich an einer Plaza vorbei, die folgendes Bild zeigt: eine Bar klebt an der anderen, gegenüber ein Spielplatz. Die Grossen sitzen in den Bars, trinken und quatschen, die Kleinen toben auf dem Spielplatz, bewegen sich und quietschen. Win to Win! Klasse! Auch auf diesem Streckenabschnitt: eine andere Plaza mit Neubauten. Puh, da hat sich ein Architekt in Sachen "Farben aus der Puppenstube" ausgetobt. Ich denke mir: an den Sünden von Architekten müssen Generationen leiden. In der Softwareentwicklung ist das anders.
Quartiere mich in der Albergue "Santiago y Santa Catalina" unweit der Kathedrale ein. Neu, aber nicht der Hit. Sehr eng, unfreundlicher Empfang. Die Ungarin Viktoria liegt im Nachbarbett und spielt Frage-Antwort-Spiel mit mir, wahrend ich mich einrichte. Bueno chica, tranquilo ... Abendessen im Restaurant "Morito". Nicht der Rede wert. - Es ist ein lauer Abend, die Stadt tobt. Bars, Cafes, Restaurants platzen aus allen Nähten.
Die ganze Stadt scheint auf den Beinen, Jung und Alt. Sehr schön, besonders das generationenübergreifende Miteinanander finde ich Klasse. Gerne würde ich ins Gewimmel eintauchen. Allein, um 10 ist Zapfenstreich. Ausserdem bin ich platt. Heute waren es 53 km, bisher die längste Tagesetappe.
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