Samstag, 30. August 2008

Sandlerfeeling, Von Livinhac-le-Haute nach Figeac (Mi 27.8)

Nach kurzem Frühstück in der Gite-Küche und kurzem Plausch mit Matthias, mache ich mich um Acht auf den Weg. Grandiose Morgenstimmung. Dunst steigt aus dem Tal des Lot hinauf und ich steige mit. Bald hole ich einige Pilger ein, die vor mir aufgebrochen sind. U.a. das ältere Ehepaar aus Belgien, das in der gleichen Herberge wie ich abgestiegen war. Die beiden haben bald alle Teiletappen bis nach St.-Pied-de-Port zusammen. Nächstes Jahr werden sie dann den Camino Frances anpacken.




Ich wandere auf 400 m Höhe. Wälder, Weiden, Weiler, a bisserl wie Fränkische Schweiz, nur die Ortschaften sehen anders aus. Hier hat jeder Ort einen eigenen Brunnen. Um Brunnenrand (Einfassung) und Winde ist jeweils eine kleine "Hundehütte" gebaut. Lustig.




An der Kirche in Saint-Felix komme ich bei einer Rast mit Sigrid und Helmut aus Styr bei Linz ins Gespräch. Die beiden sind auch an der Haustür losgelaufen und ihr Ziel, naja, is ja eh klar ... Gut 1500 km haben sie schon auf der Sohle. So gertenschlank wie die beiden sind, so schlank auch ihr Gepäck. Keine 8 kg wiegen ihre Rucksäcke. Auf das Gewicht pro Seite hat Sigrid, zuständig fürs Tagebuch, geachtet, auf das Gewicht pro Liter Helmut bei der Auswahl seines Rucksacks. Von den Österreichern kann man Gewichtsparen lernen!
Später hole ich sie nochmal ein. Die letzten Kilometer nach Figeac laufen wir dann zusammen, unterhalten uns angeregt. Helmut ist Wirtschaftslehrer, Sigrid Pharmazeutin. Sie hat sich ein Jahr beurlauben lassen, Helmut ein Sabbatjahr genommen. Und weil's so schön ist, trinken wir in Figeac zum Abschied einen Kaffee zusammen. Wirtschafts- und pharmazeutische Kompetenz verdichten sich bei den beiden zu einer perfekten Pilgerdokumentation. Da werden sogar Ankunftszeiten in den Orten als Randnotizen im Wanderführer vermerkt. Ich bin beeindruckt. Man merkt, die beiden hat das Fieber gepackt. Fast hätte ich es vergessen, den Camino sind sie natürlich schon längst gegangen (die Aragonesische Variante).


Während die beiden in Figeac Etappe machen, zieht es mich weiter. Doch zuvor begebe ich mich in eine Art Jugendzentrum zum Bloggen. Und was tut man in einem Judendzentzentrum? - Genau, versumpfen. Es ist schon Fünf, als ich rauskomme. Puh, die Zeit rennt mir davon! Einkauf und kleiner Stadtrundgang stehen auch noch an. Schliesslich gilt Figeac mit seinen vielen gotischen Bögen als sehr sehenswert. Also ändere ich meinen Plan und bleibe, steige im Karmelitenkloster ab, wo ich die ganze Meute wieder treffe: Sigrid und Helmut, Stefan, und die beiden schwäbelnden Damen ...
Kaum habe ich mein Bett bezogen, verschwinde ich auch schon wieder. Hab' gesehen, dass es einen Waschsalon gibt, der allerdings um Sieben zu macht. Nichts wie hin. Es wird Zeit, die Klamotten mal anständig zu waschen. Bis auf Unterhose und Hose an meinem Körper, kommt alles in die Trommel. Die Zeit, mir die französischen Anleitungen zur Waschmaschinenbedienung zu lesen und zu verstehen, habe ich nicht. Das lasse ich mir von den Anwesenden erklären. Geht viel schneller und klappt. Was nun? Die Maschine läuft 40 Minuten lang. Nebenan lockt eine nette Bar, die etliche Tische draussen stehen hat. Allein, mit freiem Oberkörper wollen sie mich da nicht haben. Immerhin bekomme ich ein Bier. Mit dem Glas in der Hand lasse ich dann eben auf einer Bank am Platz nieder. Ein Hauch von Sandlerfeeling steigt in mir hoch.
Figeac erweist sich als quirlige Kleinstadt, die recht hübsch am Fluss "Le Céle" liegt. Gotische Bürgerhäuser und enge Gassen prägen die Altstadt.


Meine ersten Hospitaleros! Die Herberge der Karmeliten wird zurzeit von einem holländischen Ehepaar geführt (noch bis Montag, dann kommen andere). Man spürt, dass die beiden das aus Liebe und Überzeugung tun. Sie sind selbst viel gepilgert und kommen wegen der sieben Kinder auch sonst gut in der Welt herum. Über die Versorgung der Pilger hinaus kümmern sie sich auch ein wenig um die Schwestern, die sehr zurückgezogen und ärmlich leben. Er geht hin und wieder Beeren pflücken, damit die Schwestern Marmelade kochen können und dann auf dem Markt verkaufen. Ein Minieinnahmequelle des Klosters.
Wir essen mit den Herbergseltern zusammen zu Abend. Mittlerweile ist mir die Runde schon richtig vertraut. Klosterbrauereien und Namenstage (Bernhard, Augustus), unsere Berufe, einige der Themen beim Essen.


Eigentlich bin ich ja kein Freund von Vitamintabletten, doch auf meiner Pilgerreise ist auch das anders. Schliesslich kommt man ja doch ganz gut ins Schwitzen und zur Abwechslung Wasser mit Aroma hat auch was. Während man diese Tabletten bei uns nachgeschmissen bekommt, gibt's die in Frankreich nur in der Apotheke. Hab' mich lange geweigert und heute doch zugeschlagen. Ihr hättet des Chirurgen Stefan Augen sehen sollen, als ich ihm davon erzählte. Aha, also auch kein Fan von dem Zeug.
Das Kloster liegt recht unscheinbar am Fluss, ebenso unscheinbar das Strässchen zwischen Kloster und Fluss. Doch das hat es in sich. Einerseits Mopedteststrecke für die Dorfjugend, ein akustisches Vergnügen per excellence - und, als wir drei Herren so gegen Zehn schon in unseren Schlafsäcken liegen, klopft vom Strässchen her jemand ans Fenster unseres Zimmers. Da ich am nächsten liege, will ich nachsehen, was da ist. Stefan bremst in feinstem Hessisch: "Isch glaube net, dass mer jetzt reagiere müsse". Es klopft noch einmal. Unheimlich. Aber es könnten ja auch Spätankommer sein. Also sehe ich nach. Siehe da. Marina und Carolin hatten einen nächtlichen Ausflug zum Geldautomaten unternommen und sich ausgesperrt!

Auf die Guten und die Frommen ... Von Conques nach Livinhac-le-Haut (Di 26.8)

Gegen halb Sechs rumpeln die ersten hoch. An Schlafen ist dann nicht mehr zu denken. Ich frage mich, was die so früh schon wollen? Sei's drum, habe mich schon daran gewöhnt, keine Nacht durchzuschlafen und bald aufzuwachen.



Einen Grossteil der heutigen Strecke laufe ich mit Stefan aus Fulda. Stefan, meine Altersklasse, ist am 1.8 in Fulda aufgebrochen, bis nach Strassburg gelaufen, dann mit dem Zug nach Le Puy weitergefahren und hat dort den Pilgerfaden wieder aufgenommen. Er wird bis nach Santiago gehen.


Der Unfallchirurg und alleinerziehende Vater ist ein aufgeweckter Zeitgenosse, der schon einiges erlebt hat und weiss, was er will. Stefan ist kein Kind von Traurigkeit und hat immer einen bibelnahen flotten Spruch auf der Lippe. Eine Kostprobe gefällig? "Selig die Langsamen, sie werden einst ankommen und Trampeltier genannt werden". Macht Spass mit ihm zu laufen und hat mir einige Impulse gegeben.


Im hässlichen Ort Decazeville trennen sich unsere Wege. Nach einem gemeinsamen Kaffee macht er sich auf den Weg nach Livinhac, während ich ins Cyber-Cafe abzweige. Zwei Stunden später mache ich mich auch auf die Weiterreise. Die 4 km nach Livinhac sind wenig spektakulär. Ich steige im Gite d'etape ab, mache mich frisch und gehen sodann hinunter zum einzigen Restaurant am Ort. Livinhac liegt zar nett am Lot, ist aber winzig. Im Lokal sind sie dann alle wieder da: Stefan, Marie-Elen, die beiden Schwäbinnen - Marina und Carolin - die heute morgen in Conques mit Stefan aufgebrochen waren, sich dann aber zurückfallen liessen, und weitere Pilger, die uns tagsüber immer wieder begegnet sind (3 Franzosen, eine Kanadierin). Wir sitzen alle zusammen an einer langen Tafel. Jeder isst das Menü, nur in unterschiedlicher Ausgestaltung. Die Bestellung läuft mit Handhochheben: Wieviele das Steak? Un, deux, trois, ... Wieviele den Fisch? ... usw. Es wird ein geselliger Abend, Stefan gibt einiges aus seinem Spruchrepertoire zum Besten. Marina und Carolin amüsieren sich v.a. über den hier: "Auf die Guten und die Frommen, lässt der Herr die Reste kommen." Weil der ihnen irgendwie nicht in den Kopf will, darf Stefan diesen Spruch in die Gebetsmühle stecken. - Die Gesamtrechnung teilen wir einfach durch die Anzahl der Pilger. Voila!


Wieder im Gite, komme ich zu für Pilger ungewöhnlich später Stunde (es ist nach Zehn!) mit dem Bewährungshelfer Matthias aus Bochum ins Gespräch. Matthias ist knapp eine Woche nach mir in der Schweiz losgelaufen und hat mich mittlerweile eingeholt. Wow! Er ist flott unterwegs, u.a. weil er bis 19.9 in Burgos sein muss. Im Mai diesen Jahres ist er bereits von Sevilla via Santiago bis nach Burgos gegangen. Mit der aktuellen Pilgerreise macht er den Weg sozusagen komplett.

Die letzten Prämonstratenzer, Von Estiang nach Conques (Mo 25.8)

Marie-Elen aus Saint-Etienne war es, die in der Zelle gegenüber übernachtet hat. Wir treffen uns kurz bei unserer Morgentoilette und anschliessend im Cafe du Chateau, wo wir den Gite-Schlüssel wieder abgeben und zusammen frühstücken.
Die heutige Etappe beginnt am Lot. Einige Minuten geht es den Fluss entlang. Bald vorbei an Eichen, Buchen, Kastanien und Pinien hinauf nach Golinhac. Efeu würgt so manchen Baum, Moos kleidet Bollern am Wegesrand in Samt. In einem Weiler helfen zwei Alte beim Holz abladen zusammen. Nett anzusehen.


In Golinhac kommt mir der Schweizer Frederico entgegen. Feist, freier Oberkörper, dicker Rucksack auf dem Rücken, kräftige Stimme. Der Ort kann seinen Ausführungen locker folgen. Frederico ist in Sevilla los gelaufen, auf dem sogn. "Camino de la plata" und ist auf dem Weg nach Hause. Seit Jahren schon wandert er Langstrecke. Den hat's erwischt. Zum Abschied erzählt er mir schnell noch die Geschichte ("muss ich Dir unbedingt erzählen") von einem Nürnberger Buchhändlerehepaar, dem er letztes Jahr auf dem Brünigpass den Kinderwagen geschoben hat. Mit 2 Kindern auf dem Camino - auch 'ne Herausforderung.


Schmetterlinge treiben ihr Spiel mit mir: "Fotografiere mich!", doch kaum greife ich zur Kamera, flattern sie auch schon weg, diese flatterhaften Wesen. Ich sag's Euch, so ein Schmetterling ist zwar wunderschön anzusehen, aber Entscheidungsfreude gehört nicht zu seinen Stärken. Bis der sich auf einer Blüte niederlässt, bin ich schon längst weiter. Dann doch lieber Schmetterlinge im Bauch.


Sieht ganz danach aus, als hätte ich den Massenpilgerstrom hinter mir. Seit gestern ist wieder deutlich weniger los. Marie-Elen treffe ich gegen Mittag kurz vor Sénergues noch mal. Da macht sie gerade Rast. Kurzer Plausch, dann immer schön den Esskastanien nach weiter.



In Sénergues stärke ich mich mit einem Cafe au lait, bevor die letzte Etappe nach Conques ruft. Gerade im Begriff die Bar zu verlassen, laufen mir Inge und Arnold aus Säckingen am Bodensee über den Weg. Sie schwärmen mir von Conques vor, was meine Vorfreude weiter in die Höhe treibt. Wir kommen ins Plaudern und landen schliesslich bei einem Meilenstein Deutscher Literaturveröffentlichungen. Der erste deutsche Bestseller (Anfang des letzten Jahrhunderts veröffentlicht) spielt in Säckingen ("Der Trompeter aus Säckingen"), dem Ort, in dem das nette Rentnerehepaar lebt. Neben der Biberacher Eselsatire wenn man so will das zweite literarische Fundstück auf meiner Pilgerreise. Laut Arnold sollt der Streit um des Esels Schatten schon bei Perikles vorkommen. Da haben die Biberacher vielleicht doch etwas zu dick aufgetragen.
Die Etappe nach Conques ist herrlich. Immer schön auf etwa 600 m geniesse ich den Ausblick in fernliegende Waldflächen, Taleinschnitte, Höfe. Kühe (und einige Bullen) - jetzt in Schwarzweiss - dürfen selbstredend nicht fehlen.
Conques (lat. Muschelschale), liegt sehr malerisch in einer dicht bewaldeten, engen Schlucht am Fluss Ouche.


Ist auch heute noch eine bedeutende Pilgerstädte ("Perle der Via Podiensis"). Viele Franzosen gehen das Stück von Le Puy nach Conques. Wahrzeichen ist die hübsche romanische Kirche, die Eglise Sainte-Foy, aus dem 11./12. Jh. Mangels Platz in der engen Schlucht wurde die Kirche in die Höhe gebaut (hohe Säulengänge, Emporen). Am Abend wird eine Messe zelebriert. Die Lieder werden am Flügel(!) begleitet, und schliesslich folgt die Segnung der Pilger. Um halb Zehn wird ein improvisiert wirkendes, modern angehauchtes Orgel-Saxophon Konzert gegeben.
Gerade mal vier Prämonstratenzer Chorherren (das mit den Herren habe ich von Stefan, von dem später noch die Rede sein wird, gelernt) halten den Laden emsig am Laufen, Pilger und Turisten (die es hier auch zuhauf gibt) bei Laune. Mehrsprachige Eucharistie, Führung durch die Kirche, Erläuterung des Tympanons im Hauptportal, über das laut Stefan ganze Bücher geschrieben worden sind. Letzteres sehe ich mir beim Abendessen vom Restaurant aus an, das gegenüber dem Kirchenportal Tische auf der Place stehen hat.



Der Charme Conques' rührt u.a. daher, dass es oberhalb des Flusses (über den eine Brücke aus dem 14. Jh. führt) in den Hang gewachsen ist. Enge Gässchen, von denen die meisten Fussgängern vorbehalten sind. Und natürlich auch hier wieder diese schönen Steinmäuerchen. Wie bei einem Puzzle scheint jeder Stein genau seinen Platz gefunden zu haben. Und die Farben! Anthrazit, Braun, Rot, Gelb, Grau usf., ein Leuchten kurz vor Sonnenuntergang.


Die Dächer, Schiefer, zum First hin geschwungen, ganz typisch für die Region. Eine Art Rothenburg Frankreichs.
Geschlafen wird im Gite d'etape, das mässig belegt ist. Mir soll's Recht sein. Das System: 10 € in einen Briefumschlag stecken, Name drauf, und dann ab in den Schlitz des Tresors (ein ähnliches System wie es uns seinerzeit in den Nationalparks im Westen der USA begegnet ist: "the envelope").

Freitag, 29. August 2008

Separets in der Kapelle, Von Saint-Chely d'Aubrac nach Estiang (So, 24.8)

Frühstück, Computer und um 10 geht's los. Heute scheint die Sonne, keine Wolke am Himmel. Zunächst laufe ich steil hinab nach Saint-Come d'Olt. Etwas schwermütig sage ich zu mir "Tschüss Aubrac". Diese Landschaft werde ich so schnell nicht vergessen. Allein, Peter, nach vorne schauen. Auf den nächsten Etappen wird mich der Fluss Lot begleiten. Ist doch auch was.
Beim Abstieg nach Saint-Come komme ich mit Cécile aus Clermont Ferrand ins Gespräch.


Sie ist mit den Freundinnen Fanny und Bernadette 5 Tage lang auf dem Jakobsweg unterwegs. Alle drei sind Lehrerinnen (Spanisch und Englisch). Ich wage die Unterhaltung trotzdem. Irgendwie ist es lustig, mit einer Französin auf Spanisch zu quatschen. Ich nutze die Gelegenheit und wiederhole mit Cécile das heute beim Frühstück Gelernte "Freut mich sie kennen zu lernen" und lasse sie das Verb für haben "avoir" konjugieren. Das hätte ich in den letzten Tagen oft brauchen können. Nach etwa 30 Minuten ist's dann aber auch gut. Cécile ist verbal in Fahrt gekommen, nicht mehr zu bremsen. Ihr Garten, Ihr Enkel, Ihr Sohn, Ihre Reisen nach Südamerika - 'ne halbe Stunde mehr, und ich hätte ihre Biographie schreiben können. Wie so oft, schickt mir auch diesmal der Zufall die Lösung in Form einer kleinen Hütte, in der warme Getränke und Knabbereien für Pilger vorgehalten werden. Die drei machen hier Rast, ich ziehe nach dem obligatorischen Erinnerungsfoto weiter.


Irgendwie habe ich es mit den Kühen. Wenige Minuten nach meiner Entlassung in die Ferien, fehlt nicht viel, und ich habe eine Rehkuh im Gesicht, und ihr Kitz obendrein. Die Gute hat mich vermutlich nicht den Pfad hinunter steigen sehen und war im Begriff, meinen Weg zu kreuzen. Das arme Tier erschreckt sich zu Tode, als es mich sieht, macht noch im Sprung eine 180 Grad Kehre, verschwindet samt Jungem im Gebüsch und lässt mich mit offenem Mund stehen. Danke für die Vorstellung!
Saint-Come d'Olt liegt recht hübsch am Flüsschen Lot.

Der Ort gehört dem Club der schönsten Dörfer Frankreichs an. Das steht zumindest auf einer Infotafel, vermutlich das französische Pendant zu unserem "Unser Dorf soll schöner werden".
Der Lot wird mir die nächsten Tage noch häufiger begegnen.



Die anderen beiden Stationen des heutigen Tages, Espalion (gut erhaltene "Eglise de Perse" aus dem 11 Jh., bunte Deckenmalereien, Tympanon) und Estiang liegen auch am Lot.


Blickfang in den beiden Orten sind die gotischen Brücken über den Lot, aus Stein, wie alles hier.


Die Mauern aus Stein, die Dächer aus Schiefer. Steinmauern, davon werde ich noch viele zu sehen bekommen. V.a. morgens und abends begeistern sie mich, die Farben leuchten dann im Licht der tiefstehenden Sonne.



Wenn dann noch ein Strauch oder ein bisschen Gras rauswächst oder ein gelbe Blüte ...
Leider führt der Jakobsweg nicht brav den Fluss entlang, nein, nein, es geht immer schön hinauf und wieder hinunter. Schweisstreibend, aber lohnend: schöne Landschaftsbilder am späten Nachmittag und völlig unerwartet die Entdeckung der Perle Verrières.


Ein Weiler zum Verlieben. Ein Haus schöner als das andere, schnucklig, gepflegt. Im Licht der tiefstehenden Sonne erdfarben schimmernde Hausmauern, das Farbspektrum weidlich ausnutzend. Sollte ich nochmal in diese Ecke kommen, Verriéres und Estiang sind ein Muss.
Kurz vor Acht marschiere ich über die gotische Brücke in Estiang ein.





Wie im Wanderführer beschrieben, sitzt im Cafe du Chateau ein Typ, der mir für 8,10 € einen Schlüssel zum Gite d'etape in die Hand drückt. Na prima! Das Bett ist gesichert, also bleibe ich gleich im Lokal und schlage mir den Bauch voll, u.a. mit Aligot, einer regionalen Spezialität, einem Brei aus Kartoffeln, Käse und Knoblauch. Trifft natürlich voll meinen Geschmack, ich als Breispezi. Dazu Bier und Wein, heute lasse ich es krachen, waren ja immerhin 32 km.
Um Zehn mache ich mich auf den Weg zur Herberge. Inzwischen ist es empfindlich kühl geworden. Verschwitzt und immer noch im Kurzarm- bzw. Kurzbeinoutfit fröstelt es mich. In der Dunkelheit finde ich das Gite nicht gleich, doch dann verstehe ich: die Herberge ist in der Kapelle! Ich schliesse auf, betrete einen Raum, der sich als Küche herausstellt. Die Schlafräume sind im ersten Stock. Auf leisen Sohlen schleiche ich die Treppe hinauf. Stille, fast ein wenig unheimlich. Im Schein der orangenen Notbeleuchtung sehe ich mich vor einem langen Gang wieder, der fast die gesamte Länge der Kapelle durchmisst, ein Fenster an dessen Ende. Links und rechts des Ganges, durch Stellwände abgetrennt, Separets mit jeweils zwei Betten darin und zum Gang hin einem Vorhang als Sichtschutz. Am Stirnende, unter dem Fenster, sehe ich weitere Betten stehen. Ich laufe den Gang nach hinten Richtung Fenster - unheimlich wegen Dunkelheit und Stille - und blicke dabei in die Separets. Keine der Betten ist belegt! Welch eine Überraschung. Erst als ich wieder vorne anlange, fällt mir auf, das "Zelle" Nr.1 belegt ist. Dieser Vorhang ist nämlich zugezogen. Ich richte mein Nachtlager gegenüber ein.

Mittwoch, 27. August 2008

Nikos Karren, Von Aumont-Aubrac nach Saint-Chely d'Aubrac (Sa 23.8)

So, bin vor etwa einer Stunde in Figeac angekommen. Erster Eindruck, ein nettes Örtchen, das hübsch am Fluss Le Célé liegt. Werde mich nachher noch ein wenig umsehen. Ich war soeben mit Helmut und Sigrid aus Steyr (bei Linz) im Cafe gesessen. Nette Begegnung. Die beiden sind auch von der Haustür aus losgelaufen und haben schon ein paar Kilometer mehr auf dem Buckel. Ihr Ziel, natürlich, Santiago. Ich denke, wir werden uns noch öfter über den Weg laufen.
Heute ist übrigens Bergfest! Habe die 1300 Kilometerschwelle überschritten, nach Santiago sind's etwas weniger. Zurück zum Samstag.

Habe mit 3 anderen in einem Zimmer übernachtet, einem jungen Pärchen aus Frankreich und dem Senior Niko aus Holland. Von ihm hat Radio Camino schon viel berichtet. Niko ist unterwegs nach Lourdes. Da er Probleme mit dem Rücken hat, trägt er sein Gepäck nicht auf dem Rücken, sondern zieht es in einem Wagen hinter sich her. Der Wagen ist mit einem Hüftgurt an seinem Körper befestigt. Steile, steinige und schmale Wege umgeht er und nimmt die Strasse. In 21 Tagen will er in Lourdes ankommen, rechtzeitig zum Papstbesuch.


Kurz nach 6 schlüpfen Niko und ich aus dem Schlafsack, 30 Minuten später sind wir auf der Piste. Zwar ist er vor mir aufgebrochen, doch als ich von der Herberge hoch zur Hauptstrasse laufe, kommt er mir entgegen. Er hat seine Wanderstöcke vergessen. Das kommt mir irgendwie bekannt vor. Auch andere sind bisweilen durch den Wind ...
Im Glauben, Niko nie wieder zu sehen, verabschiede ich mich von ihm. Weit gefehlt! Als etwa eine Stunde später, hinter dem Weiler Lesbros, der Weg ein Stück die Landstrasse entlang führt, sehe ich schon aus der Ferne aus dem winzigen Bushäuschen am Strassenrand ein kleines Rad hinausragen. Das wird doch nicht ... Doch! Da sitzt Niko und macht Brotzeit. Die Strasse lang ist der Weg offensichtlich doch deutlich kürzer. Kurzes Pläuschchen und Tschüss!
Ich bleibe natürlich dem Jakobsweg treu. Das beschert mir etwa einen Kilometer später eine neue Erfahrung landwirtschaftlicher Art. Ich komme so meines Weges daher, als sich mir folgendes Bild bietet: einige Kühe versperren den Weg, andere, aufgeschäucht, springen über Stacheldrahtzaun hinweg, um zu ihren Artgenossen zu gelangen, bleiben dabei teilweise mit den Hinterläufen am Zaun hängen, was ihnen sicherlich nicht so richtig gut tut. Ein junger Bauer (kurz zuvor mit seinem VW Caddy an mir vorbeigefahren) bemüht sich redlich, die Tiere im Zaum zu halten, in die Koppel zurückzudrängen. Soll ich was tun? Ich zögere. Als der Bauer ein Zeichen gibt, greife ich ein, höre mich "Allez hop!" rufen und dränge, seine Aktion flankierend, mit ihm zusammen die Tiere in die Koppel. Voila, eine Minute später ist Ruhe im Kuhstall, respektive auf der Koppel. Mit einem "Merci" schickt der Bauer mich zurück auf den Jakobsweg.
Durch Pinienwald geht es weiter. Ein Duft von Pilzen liegt in der Luft. Pilze muss es hier viele geben, sonst würden die Leute sie nicht aus Holz schnitzen, bemalen und in ihre Gärten und Höfe stellen, denke ich mir.
Gegen Mittag erreiche ich Finieyrols und bin damit im Herzen des Aubrac, einer surreale Landschaft, die so ganz anders aussieht, als die Landstriche, durch die ich in den letzten Tagen gekommen bin. Eine Hochebene auf 1000 m - 1300 m, im östlichen Teil zunächst etwas sumpfig, dann trocken, steppenartig. Ausschliesslich Weideland. Wohin man auch blickt, Zäune und Weiden über sanft geschwungenen Hügeln, kaum ein Baum.


Auf den Weiden zufriedene Aubrac-Rinder, die satt auf der Weide liegen, wiederkäuen, den Pilger anstieren oder einfach nur fressen und sich dabei überhaupt nicht stören lassen. Aubrac-Rinder gelten als widerstandsfähig, haben ein hellbraunes bis honiggelbes Fell, lange Hörner und ausdrucksvolle Augen. Schön anzusehen die Halbtonner.


Beständig pfeift ein kräftiger Wind, was sich sehr kühl anfühlt, trotz des Sonnenscheins. Bis auf 1368 schraubt sich der Jakobsweg auf den höchsten Punkt der Via Podiensis hoch.
Der Himmel schickt mir Dominique und Michel. Gerade als ich den höchsten Punkt erreiche, beenden die beiden ihre Rast. Mit der Bitte, ein Foto von mir zu schiessen, wende ich mich an Michel.


So kommen wir ins Gespräch. Gemeinsam steigen wir den verbleibenden Kilometer in den Ort Aubrac hinab. Zum Abschied empfehlen sie mir wärmstens die Einkehr im Restaurant "Germain". Dort könne man hervorragenden Beerenkuchen essen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Eine kräftige Portion Kohlehydrate kann ich gut gebrauchen. Ja, und so kommt's dann auch. Das Kuchenstück ist riesig, Blau-, Johannis- und Himbeeren auf Hefeteig. Lecker!


Und der Kellner im "Germain", ein Garcon, wie er im Buche steht. Leicht unterkühlt, distinguiert, schwarzes Hemd, pfiffige Frisur (halblanges pechschwarzes Haar mit Seitenscheitel, der unablässig in die Augen fällt). An seiner linken Hand ist ein rundes Tablett festgewachsen.
Wie verschieden die Menschen doch sind. Während es der Mitarbeiterin in der Turiinfo in Aumont-Aubrac gestern sehr schwer fiel, auch nur ein Telefonat für mich zu führen (Zimmerreservierung), überschlägt sich die "Kollegin" im "Maison de l'Aubrac" vor Freundlichkeit. Bereitwillig tätigt sie zwei Anrufe für mich. So komme ich zu einem Bett im Gite d'etape Saint-Andre in Saint-Chely. Damit kann ich den 8 Kilometer langen Abstieg nach Saint-Chely beruhigt angehen. Es geht hinab und ich lasse die Märchenlandschaft des Aubrac hinter mir. Um halb Sieben, nach insgesamt knapp 12 Stunden, komme ich im Gite an. 43,5 km, ein langer Tag.
Roland empfängt mich freundlich und zeigt mir mein Zimmer. Zum Abendessen sitzen wir insgesamt 8 Gäste gemeinsam an einer langen Tafel. Ich geniesse es ein wenig, der Exot zu sein: der einzige Deutsche (alle anderen sind Franzosen), ein Langstreckenwanderer (die meisten gehen nur eine Woche) und dann ist da noch meine Tagesetappe von 43 km, die für Gesprächsstoff sorgt. Ich versuche den Unterhaltungen zu folgen, trage gebrochen Französisch bei, bisweilen übersetzt Dominique, der einzige am Tisch, der Englisch spricht. Es wird ein sehr geselliger und lustiger Abend. Irgendwie bin ich hier im Paradies gelandet. Schönes Zimmer, gepflegt, neu, mit viel Liebe eingerichtet. Ich habe es für mich allein, weil die anderen Gäste, die noch kommen sollten, abgesagt haben. Und dann stellt Roland auch noch seinen PC zur Verfügung. An dem sitze ich bis kurz vor Mitternacht, während alle anderen schon schlafen.

Dienstag, 26. August 2008

Chocolat-Man, Von Domaine du Sauvage nach Aumont-Aubrac (Fr 22.8)

Welch ein Tagesanfang! Hab' trotz Massenlager ganz gut geschlafen. Frühstücke, packe meine Sachen zusammen und verabschiede mich von den wenigen, die noch da sind (obwohl es erst kurz nach 8 ist). Tiefhängende Wolken am Himmel, aber es ist (noch) trocken.



Wieder einmal zeigt sich, wie schnell sich das Wetter in den Bergen ändern kann. Frohgemut wandere ich auf den 1304 m hohen Pass zu, als plötzlich mein Unterbewusstsein einen Impuls ans Bewusstsein sendet mit der aus einem Wort bestehenden Botschaft: "Die Wäsche!" Schei... Ich Trottel hab' die zum Trocknen aufgehängte 2te Garnitur über dem Kamin hängen lassen! Das heisst zurück. Oh wie schwer es fällt einen einmal gegangenen Weg wieder zurück zu gehen. Ich fluche vor mich hin, aber es hilft natürlich nichts. Die Spätlosgeher kommen mir entgegen, es ist frustrierend.
Es ist 9, als ich zum zweitenmal aufbreche, wieder zu meiner Standardzeit ... Das waren etwa vier Extrakilometer. Vielleicht lautet die Botschaft an mich, es zukünftig gar nicht vor 9 zu versuchen? I don't know. Schön, dass es mittlerweile zu regnen begonnen hat.



Der Tag hat einfach super angefangen, mal sehen was noch kommt.
Wieder rolle ich das Feld von hinten auf. Heute bin ich noch schneller als sonst. Kein Regen kann mich stoppen. Kurzzeitig laufe ich mit Angelique, doch irgendwann klingt sie sich aus, um ihre Freundin nicht komplett abzuhängen.
Nach 12 km Zwischenstopp in Saint-Alban-sur-Limagnole.


Wider erwarten hat es zu regnen aufgehört. Meine Stimmung hat sich schon deutlich ins Positive verschoben. In dem Ort geht es zu wie beim Almabtrieb. Überall treten sich Pilger gegenseitig auf die Füsse: in der Bäckerei, im SPAR-Laden, am Dorfplatz.
Ich decke mich mit Proviant ein, "reisse" u.a. ein Doppelpack Milka-Nuss. Eine Tafel vertilge ich sogleich vor dem Laden. Zwei zufälligerweise neben mir stehenden Damen aus einer Pilgergruppe biete ich ein Stück an (was sie gerne annehmen). Als wir uns später nochmals auf der Strecke begegnen, rufen sie mir "Hey Monsineur Chocolat-Man" nach. Lustig.
Ich decke micht mit Barem ein und trinke einen Kaffee. Am Nachbartisch zwei Herren, die mich etwas verwirren. Bald scheinen sie sich auf Deutsch, dann wieder auf Französisch zu unterhalten. Was soll's, ich schaue zu, dass ich Land gewinne. Wer weiss, wie lange das Wetter hält.




Aubrac-Rinder schauen Pilger



Das Rätsel sollte sich bald lösen. Zunächst das gleiche Spiel wie vormittags. Ich rolle das Feld von hinten auf. Pinienwälder, Weiden. Als ich einen kurzen Halt einlege, um von Regen auf Sonne umzustellen, ziehen die Pilger aus dem Cafe an mir vorbei. Danach spielen wir ein wenig Katz und Maus (die beiden sind auch sehr flott unterwegs), bis dann ausser dem obligatorischen "bon route" ein Gespräch zwischen uns zustande kommt. Die letzten Kilometer nach Aumont-Aubrac bleiben wir zusammen. Meine Wandergesellen kommen aus Basel. Fernando, ursprünglich aus Madrid und Konstantin, Baseler Urgewächs. Konstantin fällt mir bald durch seine gewählte Ausdrucksweise auf. Er spricht Französisch, Spanisch und Deutsch (natürlich). Dass er Philologe ist, erklärt einiges. Fernandos Deutsch ist auch hervorragend. Da habe ich zwei Freunde der Sprachen aufgegabelt. Die beiden sind mir auf Anhieb sehr sympatisch. Schade, dass sie heute ihre letzte Etappe gehen und morgen die Heimreise antreten werden. Nächstes Jahr werden sie dann die nächste Etappe gehen und so fort, bis sie schliesslich in einigen Jahren in Santiago eintreffen werden. Gerne hätte ich mich länger mit ihnen ausgetauscht. Schneller und herzlicher Abschied an der Turisteninfo.

In Aumont-Aubrac ist die Hölle los. Hotels, Gites ausgebucht. Ich komme in der sehr einfachen Herberge der Kirche unter.


Das Haus ist voller junger Menschen. Sie spielen Karten, singen christliche Lieder. Nachdem ich mich frisch gemacht habe, schaue ich mich im Ort um. Es ist frisch, sobald die Sonne verschwunden ist. Ich muss mich warm anziehen. Aumont liegt auf 1050 m.
Das Internetterminal des Ortes steht im Supermarkt neben der Kasse. Skuril. Während ich schreibe, betreten Kunden den Laden, "Bonjour", "Bonsoir", dringt an mein Ohr, ein Kunde verströmt intensiven Uringestank (ich tippe mal auf Inkontinenz, puh, damit ist man aber auch gestraft), einen jungen Deutschen, der an der Kasse ansteht, frage ich auf die Schnelle, wie man Ratatouille schreibt, echt schräg.
In den Bauch kommt dann eine Pizza. Bon nuit.

Die springende Kuh, Von Saint-Privat nach Domaine du Sauvage (Do, 21.8)

Liebe Dorothea, lieber hardl, Danke für Eure Aufklärung bzgl. Hl. Bernhard. Es ist schon lustig, gerade eben habe ich mich mit Stefan aus Fulda (heute vormittag mein Mitpilger) bei einem Kaffee über dieses Thema unterhalten. Er kam zum selben Schluss und beeindruckte mich, ob seiner Kenntnisse diverser Namenstage.
Sitze im Cybercafe in Decazeville, einer recht hässlichen Arbeiterstadt. Welch ein Gegensatz zu Conques! Bissl schreiben und dann nichts wie weg hier. Beim letzten Donnerstag war ich stehen geblieben.

Sternklare Nacht, am Morgen hat es nur 7 Grad. Saint-Privat liegt auf 890 m Höhe, das merkt man. Die meisten Pilger sind schon unterwegs, als ich mich an den Frühstückstisch setze. Ein Ehepaar aus Irrland, das mit dem 9jährigen Sohn bis nach Conques gehen wird, und ein älteres Ehepaar aus dem Elsass sitzen mit am Tisch. Wir unterhalten uns angeregt. Kurz vor 9 verabschiede ich mich und breche auf. Obligatorisch der Provianteinkauf im Dorfladen, dann geht's richtig los. Nebelschwaden hängen über dem dicht bewaldeten, tiefen Taleinschnitt, hüllen die Silouette des Dorfes in gespenstischen Dunst. Sehr schön anzusehen. Zunächst führt der Weg noch ein Stück bergan bis der Weiler Rochegude erreicht ist. Alle paar hundert Meter entsteht wegen des Perspektivwechsels ein neues Nebelgemälde auf meiner Panoramatapete. Herrlich!


Von Rochegude (967 m) geht es spektakulär hinab nach Monistrol d'Allier auf 619 m Höhe, das in einer wildromantischen Schlucht liegt. Ein Wasserkraftwerk bändigt den Fluss und produziert Strom. Das hat den etwas unangenehmen Nebeneffekt, das mich den Rest des Nachmittags Stromleitungen begleiten werden.


Kaum abgestiegen geht's auch schon wieder hinauf auf 1050 m mit anfangs sehr schönem Blick auf die Allier hinunter. Ich schwitze. Allein, wenn ich mal laufe, dann bin ich schnell. Das kann ich heute life erleben. Spät aus den Startlöchern gekommen, rolle ich das Feld von hinten auf. Eine Pilgergruppe nach der anderen werden von mir überholt. Zugegeben, ein schönes Gefühl.
Viehweiden, Pinienwälder, Rinder, Schafe, bunte Schmetterlinge und auch mal ein faul in der Sonne flätzendes Schwein.




Die ganze Landschaft scheint in Parzellen von Weiden unterteilt zu sein. Überall Weidezaun (Elektro oder Stacheldraht), auch links und rechts des Weges. Gar nicht so einfach ein nettes schattiges Plätzchen für die Brotzeit zu finden. Und wenn eines kommt, dann sitzen schon andere Pilger da. Dennoch, als nach 15 km Saugues zu meinen Füssen liegt, mache ich erst mal Rast.
Heute ist es sehr heiss, um die 30 Grad. Keine Wolke am Himmel. Hin und wieder weht eine sanfte Brise, die Linderung verschafft.
Der Nachmittagsetappe Teil 1 führt nach knapp 10 km zum Weiler Le Falzet. Im Innenhof eines Landhauses wird dem Wanderer Schatten, Wasser und eine Stärkung angeboten. Das lasse ich mir nicht entgehen. Im Hofbrunnen kühle ich meine Füsse a la Kneipp. Eine Wohltat! Anschliessend gibt's einen Milchkaffe und Schokoladenkuchen. Damit sollte der letzte Anstieg auf 1300 m (noch gut 200 Höhenmeter) auf einer Strecke von knapp 10 Kilometern zu bewältigen sein. So viel heute Vormittag auf dem Jakobsweg los war, so wenig Pilger begegnen mir am Nachmittag. Die meisten werden in Saugues Etappe gemacht haben.
Landschaftlich ist der restliche Wegabschnitt wenig spektakulär. Auf und ab, sanfte Hügel, Wald. Die vielen Vulkanerhebungen, die gestern und vorgestern das Landschaftsbild geprägt haben, sind verschwunden. Land der puits, Vulkanland Ade!

Etwa ab Le Falzet fällt auf, dass die Häuser nicht aus Stein sind, sondern aus Granit, das hier reichlich vorkommt. Sie wirken aufgeräumter, kühler, steriler.


Die letzten Kilometer zur Domaine du Sauvage geht's bergan überwiegend durch Wald. Das Licht der tiefstehenden Sonne lässt die Farben der Landschaft leuchten.




Trancemodus - in den frühen Abendstunden passiert das gerne. Mit der Müdigkeit kommt die Trance, auch so eine interessante Erfahrung - so dass das Tier erst in mein Bewusstsein dringt, als ich fast schon vorbei bin. Keine 30 cm (!) neben mir steht seelenruhig eine Kuh. Ganz in beige. Nach der Schrecksekunde, in der wir beide wie erstarrt nebeneinander stehen, rufe ich im Affekt aus: "Na du bist ja eine, hast dich wohl aus dem Staub gemacht!" Eine weitere Sekunde lang keine Reaktion, aber dann. Für mich völlig überraschend, macht das Tier einen Satz nach vorne und rast ins Gebüsch davon. Wow! Kühe können springen und verdammt schnell sein!

Als letzter Gast (natürlich!) checke ich im Gite d'etape Domaine du Sauvage ein. Das Gut, früher Eigentum der Templer, liegt sehr schön und geschützt in einem Sattel der Bergkette.



Man kann es sich wie eine Alpenvereinshütte vorstellen. Es hat Atmosphäre (Steinwände und -mauern, drumherum Koppeln und Fischteiche), innen massive Holzdecken, rustikale Holztische und -bänke, etc.) und ist deshalb bei Pilgern und Wanderern sehr beliebt. Heute ist das Haus komplett belegt. Als ich das Gite über den Gemeinschaftsraum betrete, ist die Bude voll. Die Leute sind beim Abendessen. Man grüsst freundlich. Bei mir wird's noch etwas dauern, erst wird geduscht ... Als ich mich zum Abendessen in die Stube setze, haben sich die meisten schon in die Koje (respektive den Schlafsaal) zurückgezogen.


Nur ein Franzose (ebenfalls nach Santiago unterwegs) und ein Vater mit seinen zwei Jungs, leisten mir Gesellschaft. Ich gehe als letzter zu Bett.