Eine nächtliche Liegeprobe zeigt: das Bett hängt total durch. Da ich der einzige Gast im Zimmer bin, kommt die Matratze auf den Boden. Voila, und schon schlafe ich gut.
Mangels Frühstück komme ich schon um kurz nach 7 los.
Auf den ersten Kilometern sind zwei markante Vulkanhügel meine treuen Begleiter. Vorboten des Landes der puits.
3 Stunden später ist der bisher höchste Punkt meiner Pilgerreise erreicht. Bei Raffy überquere ich auf 1276 m das "Massif du Meygal". Fantastischer Rundumblick in eine Welt von sanften, dicht bewaldeten Hügeln, ehemals Vulkane.
Willkommen im Land der puits! Blops, Busenland, kommt mir spontan in den Sinn. Sehr schön anzusehen.
Irgendwer hat sich hier ein recht modernes Holzhaus mit grosser Terrasse in den Hügel gebaut. Der hat diesen Ausblick jeden Morgen, jeden Abend, immer. Einerseits. Andererseits. Es gibt so viel Schönes auf der Welt zu schauen. Wurzeln schlagen oder unterwegs sein. Beides hat seinen Reiz. Und - wir können nichts festhalten. Du kannst nicht zweimal in das selbe Wasser steigen, alles fliesst, erkannte schon Heraklit.
Nachdem ich die Aussicht ausgiebig inhaliert habe, geht's hinab nach Saint-Julien-Chapteuil, vorbei an Brombeer- und Haselnusssträuchern (schon wieder Nüsse!). Allerdings sind die Brombeeren hart und die Nüsse noch nicht reif. Anders als die in Saint-Andre. Was 500 m Höhendifferenz doch ausmachen. - So vor mich hinpilgernd frage ich mich, ob der indianische Brauch, sich zu gegebener Zeit in die Wildnis zurückzuziehen, nicht auch so eine Art Pilgern ist.
Die Bauernhäuser hier oben sind sehr gut gepflegt: astreine Steinmauern, bunte Blumen im Hof und vor den Fenstern, Brennholz in ausreichender Menge.
Oder es wird gerade gemacht. In dem ein oder anderen Hof kreischt eine Kettensäge. Lustigerweise wenden die Herren hier oben die gleiche Technik an wie Amateur Peter. Die Holzmiete vorm Haus ist obligatorisch (teilweise recht eigenwillige Konstruktionen). Die Winter in der Haute-Loire sind sicherlich kalt und schneereich. Wegkreuze gehören auch in Frankreich zum Landschaftsbild. In der Loire sind die meisten, teilweise recht grob, aus Stein gemeiselt.
In Saint-Julien decke ich mich mit Proviant für die Nachmittagsetappe ein und gönne mir einen "cafe au lait". - Kurz ins Schaufenster des Immobilienmaklers vorort geschaut. Für so ein Landhaus kann man locker 360000 Euro ausgeben. Wohnfläche und Grund sollten dann ausreichen.
Auf der heutigen Tour kommen mir lauter skurile Gedanken, so z.B. der zu den Hilfsmitteln des Pilgers: 1. Chronometer: Morgens sind die Euter leer, abends prall gefüllt und mittags irgendwo dazwischen. 2. Barometer: Hängt die Hausfrau die Wäsche draussen auf die Leine, dann ist die Regenwahrscheinlichkeit gering.
Dass sie nicht gleich Null ist, lehrt mich der Nachmittag. Obwohl ich Wäsche hängen sehe, wird's feucht. Ab drei schüttet es, ein Gewitter nach dem anderen zieht durch. Das bringt mir eine unfreiwillige Vesperpause unter dem Dach einer Selbstbedienungsautowaschanlage (bei Regen wäscht kein Franzose sein Auto, das wissen wir spätestens seit der Gaulloise Werbung) und später ein kleines Glas Rotwein in Brives ("andar per la ombra" würde man in Venedig sagen) ein. Le Puy empfängt mich also feucht, sehr feucht. "Le Puy, Le Puy, wir pilgern nach Le Puy", summt es schon den ganzen Tag in meinem Kopf.
Beim Erreichen des "Berges der Freude" (Montjoie) blicke ich zum ersten Mal auf Le Puy hinunter.
Ein schöner Moment, der mir allerdings nicht allzulange vergönnt ist. Bald zieht es zu, das Wahrzeichen der Stadt, Saint Michel auf der Vulkannadel, ist im Dunst nicht mehr zu sehen. Immerhin reicht es für ein Foto mit Selbstauslöser.
Dauerregen begleitet mich in den Wallfahrtsort hinein. Macht nichts. Der Moment, da ich Maria auf der einen und Saint-Michel auf der anderen Nadel aus erstarrter Lava vor mir sehe, ist phänomenal. Wieder habe ich ein grosses Etappenziel erreicht, nach gut 1050 km. In Le Puy endet die sogenannte Via Gebennensis, weiter geht's auf der Via Podiensis.
Der letzte Kilometer in die Stadt führt an einer stark befahrenen Strasse entlang. Berufsverkehr. Ich empfinde es als sehr unangenehm. Zum einen nervt natürlich der Lärm (nach vielen Tagen ländlicher Stille), zum anderen ist es die Erinnerung an das, was man Berufsalltag nennt: morgens rein ins Büro, abends nach Hause, die Tretmühle, das Hamsterrad des Angestellten halt. Muss das sein? Was für Gedanken, bald bin nicht mehr vermittelbar ...
Als erstes Ziel in der Stadt steuere ich die Kathedrale an. Romanisch mit deutlich sichtbaren arabischen Einflüssen. Mich erinnern die rot-weiss-gestreiften Bögen an die Mezquita in Cordoba. Eine steile Freitreppe führt zum Hauptportal der Kirche hoch. Durch eine Art Arkade geht's auf weiteren Treppen hinauf ins Hauptschiff, in das man in etwa in der Mitte (!) aufsteigt. Sehr skuril. Hab' ich so noch nicht gesehen.
Es regnet immer noch, als ich mich auf die Suche nach einer Herberge mache. Gar nicht so einfach, sich in den verwinkelten Gassen der Altstadt zurecht zu finden, selbst mit Stadtplan. Und eine "Grossbaustelle", die einige Gassen versperrt, tut ihr übriges.
In Le Puy ist's vorbei mit der Einsamkeit des Pilgers. Die erste Herberge (Gite d'etape), die ich ansteuere, ist ausgebucht. Ich schlucke. Glücklicherweise ist im Grand Seminaire Saint-Georges (ein ehemaliges Kloster) noch eine Zelle frei. Mal was neues: langer Gang, schmale Tür zur Zelle, hektische Betriebsamkeit und - Kloschüsseln auf 80 cm Höhe - wirklich!
Heute Abend möchte ich Pasta essen. Die Klosterfrau empfiehlt das "Le Marco Polo". Der grosse Entdecker kommt mir gerade recht. Ich lasse mir das Lokal auf dem Stadtplan zeigen, merke jedoch, dass sich die Dame zwar bemüht, aber ... So ist es dann auch. Dort, wo sie mich hinschickt, ist der Kapitän zur See gar niemals nicht gewesen. Aber so schnell gibt der Peter nicht auf.
Nachdem ich die Altstadt zu Fusse der Kathedrale durchstöbert habe und schon fast aufgeben will, stolpere ich über ein Hinweisschild mit der Aufschrift "Le Marco Polo". Na bitte! Die Suche hat sich gelohnt! Ich speise ein 3-gängiges Menü: Linsensalat ("Lentille verte du Puy" sind eine lokale Spezialität), Tagliatelle mit Lachs (die mich kennen werden sich denken: natürlich!) und Tiramisu. Dazu ein Kellner, der mit zunehmendem Abend immer freundlicher wird. Wir streuen immer wieder ein Pläuschchen ein ("I'm born in Le Puy and I work in Le Puy - all my life"). Französisch-Englisch mit einer Brise Spanisch, so kommen wir bestens klar.
Kurz vor Mitternacht ein Verdauungsspaziergang durch die nächtlichen Gassen des Kathedralenviertels. Der Regen hat schon lange aufgehört. Marienstatue und Glockenturm der Kathedrale sind wunderschön beleuchtet.
Als ich im Begriffe bin, "mein Kloster" zu betreten, wird auf dem Vorplatz zur Unterhaltung der Teilnehmer einer nächtlichen Führung Theater gespielt. Strange.
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2 Kommentare:
Hallo Peter,
schon etliche Tage zu Hause und sehr oft in Gedanken auf dem Jakobsweg, habe ich mit besonderem Interesse deine Schilderungen gelesen. Toll, einfach toll! Und ich bin sehr froh dir begegnet zu sein.
Du hast eine wunderbare Art deinen Weg zu beschreiben, weiter so! Viel Kraft, Freude und Gesundheit an Körper, Geist und Seele.
Liebe Grüße aus Rostock von Gabi
Hallo Gabi,
schön von Dir zu hören. Danke für Deine lieben Wünsche. Ich hoffe Du kannst in Deinem Alltag von den Erfahrungen und Erlebnissen und Erkenntnissen auf dem Camino zehren.
Wer weiss, vielleicht packt Ihr nächstes Jahr die nächste Etappe an?
Voila, liebe Grüsse aus Decazeville
Peter
PS
Grüss mir auch Gerlind und Cordula
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