Montag, 4. August 2008

Der Dämon der roten Schönheit, Von Interlaken nach Wattenwil (Do 31.7)

Bonjours! Bin mittlerweile in Lousanne eingetroffen, einer Perle am Genfer See (soweit ich das nach einem Minirundgang beurteilen kann). Wohne im Backpackers, wo ich gerade am Terminal sitze. Es ist kurz nach 23.00 Uhr und in der "Lobby" steht die Hitze. Unten im Keller wird gerade meine Wäsche durch den Trockner gejagt. Bin gespannt was dabei rauskommt. Nach gut drei Wochen Seifen-Alibi-Wäsche war das heute einfach mal angesagt. Es geht, glaube ich, beim letzten Donnerstag weiter. Puh, muss mich sputen, um nicht noch weiter in Rückstand zu geraten.

Donnerstag? Ach ja, Schlafen im Stroh in Interlaken. Beim Frühstück längerer Plausch mit der Bäuerin, die mich mit Informationen zu den zukünftigen Stationen des Pilgerwegs eindeckt, mit dem holländischen Ehepaar, das vier Wochen lang mit dem Fahrrad durch die Schweiz touren wird und mit den beiden Deutschen, die mit Auto und Fahrrad unterwegs sind. Wieder verquatscht, bin mal wieder einer der letzten.
Übrigens, nicht nur Kühe, sondern auch Ziegen tragen hier Halsschmuck in Form einer Glocke. Eine wohnt hier im Stall und war heute morgen schon sehr aktiv, "Bimmel, Bimmel, Bimmel" drang in meinen Traum ein. Ich erwachte aus dem Traum, in dem ich vermutlich als buddhistischer Mönch mit einer Kuhglocke um den Hals zum Tempel unterwegs war. So genau weiss ich das allerdings nicht mehr. Den Handywecker hätte ich mir heute jedenfalls schenken können.



Nach dem Frühstück marschiere ich los. An der Aare entlang gelange ich noch einmal in den Ortskern von Interlaken, lasse mich ein wenig treiben (die Begeisterung ist im Gegensatz zu gestern Abend deutlich gedämpfter. Zu viele Touristen und ach die Jungfrau wirkt heute bei weitem nicht so leuchtend), besorge mir in der Touristeninformation einen Stempel fürs Pilgerbuch (das mittlerweile schon voll ist - muss mir demnächst ein neues besorgen) und zische ab.




Beim Bäcker schnell noch etwas Proviant besorgt und schon geht's weiter in Richtung Thuner See. Bald habe ich Christian eingeholt, dessen Reisegeschwindigkeit offensichtlich etwas unter der meinigen liegt. Wir bleiben zusammen und kommen ins Plaudern. Die Themen, die wir mit auf die Wanderschaft genommen haben, sind ähnlich, z.B. das Thema Spiritualität. Christian, der im richtigen Leben Küchen verkauft, beschäftigt sich schon seit langem mit Glaubensfragen im weitesten Sinne, hat eine Fengshui-Ausbildung absolviert und sich bei Chinesischen Meistern Rat geholt. Von einem dieser Meister hat er erfahren, dass er im Ascendenten den "Dämon der roten Schönheit" hat. In welchem Bereich das zu Problemen führt, kann man sich leicht ausmalen ... So tiefgehend unser Gespräch bisweilen ist, so unterhaltsam ist es auch. Wir haben Spass, lachen oft aus vollem Herzen und geniessen das gemeinsame Wandern.


In Merlingen, wo uns am Bootsanlegesteg Julia in die Arme läuft, ach wie klein ist des Pilgers Welt, wechseln wir mit dem Boot vom Nord- zum Südufer. Fortan wandeln wir zu dritt. Das Südufer hat einen anderen Charakter. Es geht zunächst durch Weinberge, später auf schmalen, weichen Pfaden in den Wald hinein.


Nach etwa einer Stunde verabschieden Julia und ich uns von Christian, dem das Tempo auf Dauer zu hoch ist. Flotten Schrittes setzen wir unseren Weg durch den Wald fort. Als wir an einer Gabelung nicht weiter wissen (dieser Abschnitt am Südufer entlang ist im Wanderführer nicht beschrieben) holen wir uns Rat bei einem fahrradschiebenden Herren, den uns, ja wer eigentlich, geschickt hat. Selbst Wanderer, wie sich sogleich herausstellt, malt er uns eine Skizze zum weiteren Wegverlauf. Eine - nein, drei Anläufe unternimmt der Wandersmann, wobei ich den dritten abwürge (die zweite Skizze ist auch schon gut, sonst stehen wir morgen noch da). Der Typ hat erstens viel Zeit und zweitens viel Frust mitgebracht. Schimpft kategorisch auf DIE Autofahrer und DAS Militär. Gut, seine Karte hat sich jedenfalls als sehr hilfreich erwiesen. Eine weitere Stunde später etwa auf Höhe des Weilers Zwiebelberg, wo wir wieder den offiziellen Jakobsweg erreichen, trennen sich unsere Wege. Julia folgt dem Jakobsweg nach Thun, während ich meinen Weg in der entgegengesetzten Richtung zunächst bis nach Amsoldingen fortsetze, wo ich gegen sieben im Gasthaus Kreuz zu Abend esse. Kaum habe ich mich in die Speisekarte vertieft, kommt der dritte Bekannte daher. Bernhard aus München. Wir essen zusammen und tauschen die aktuellen Pilgererlebnisse aus.
Der Abend ist herrlich, es ist nicht mehr ganz so heiss, die schwüle Hitze, die uns den ganzen Tag über geplagt hat, ist fort. Ich beschliesse, die 10 km bis nach Wattenwil dranzuhängen.


Via Handy reserviere ich ein Zimmer bei Frau Messerli, die Bed & Breakfast anbietet. Seit Thun gibt es plötzlich auch dieses Angebot. Jetzt heisst es, für ein paar Tage Abschied nehmen von den Schweizer Seen. Statt Seeeinsichten gibt es Böllerschüsse. Allenthalben stimmen sich die Fans auf den morgigen Nationalfeiertag ein. Kracher ohne Ende.

Der Einflug in Wattenwil gestaltet sich etwas schwierig. Zwar hatte Frau Messerli mir den Weg beschrieben, aber wie so oft ist es auch diesmal. Wenn man vorort ist, sieht die Sache ganz anders aus, als man sie sich vorgestellt hat. Die zweite Brücke, an der ich in den Feldweg einmünden soll, will einfach nicht kommen. Ob es geholfen hätte weiss ich nicht, aber auch beim Telefonat mit Frau Messerli beoachtete ich eine gewisse Abneigung, der Wiederholung der Wegbeschreibung zuzuhören. Vielmehr springt der/die Erklärende gern wieder ein und - Wiederholung folgt.
Da ich nicht weiter weiss, rufe ich nochmal an. Eine Wegbeschreibung ist bekanntermassen nur dann möglich, wenn die Ausgangsposition bekannt ist oder bestimmt werden kann. Daran scheitert es diesmal. Da ich das Angebot, mich mit dem Auto abzuholen ungern annehme, schlage ich vor, mich selbst durchzuschlagen. Zwei nette Anwohner kennen den Weg zum Haus von Dr. Messerli - 10 Minuten später stehe ich davor.
Der Weg hat sich gelohnt, ich lande im Paradies. Zimmer direkt zum üppig bewachsenen Garten, mitten drin der Pool. Cool! Die Krönung, kurz nach meiner Ankunft bekomme ich ein kühles Bier serviert. - Dusche, Schwumm, Dusche, Bier. Derart erfrischt geselle ich mich anschliessend auf einen Plausch ins Wohnzimmer der beiden Senioren.

Während wir uns zu dritt unterhalten, hat es sich auch die Wolfshündin (so nennen die Schweizer den Schäferhund) Leia auf dem Sofa bequem gemacht. Die 11jährige Hündin, deren Anwesenheit allein an dem etwas strengen Aroma zu erkennen ist, ist treu und lieb. Nur die Vorboten des morgigen Nationalfeiertags (Böllerschüsse) lassen das Tier aufschrecken. Herr Messerli, 85, erzählt sehr lebhaft von ihren fünf Kindern. Ein Sohn, Mediziner, USA Aufenthalt, später Schwenk zur Informatik. Heute zeichne er für die IT einer namenhaften Schweizer Firma verantwortlich. Der andere Sohn habe 17 Jahre lang in USA gelebt und sich dort lange Zeit als Punkmusiker durchgeschlagen. Mittlerweile sei er zurück in der Schweiz und arbeite auch in der Informatik. Der in die Informatik gewechselte Physiker Peter ist also in bester Gesellschaft ...
Die Messerlis erzählen, dass Bezirkskrankenhäuser geschlossen bzw. konzentriert werden, ebenso wie das mit Kasernen und Militärflughäfen geschieht. Ein Drittel der Ärzte an Schweizer Krankenhäusern käme mittlerweile aus Deutschland. Gut ausgebildete Ärzte. Gastarbeit habe in der Schweiz einen neuen Charakter bekommen. Auch in der Gastronomie seien beim Personal viele Deutsche anzutreffen. Apropos Militärflughafen. Einer dieser Flughäfen liegt östlich des Brienzer Sees (Meiringen?). Jetzt verstehe ich, dass solange ich am Brienzer See wanderte mehrmals täglich F-18 Düsenjets über den See jagten. Jeder Flug taucht das Tal in fürchterlichen Krach, der in den Bergen reflektiert und verstärkt wird.
Christine Thöni hatte gestern erzählt, dass es eine Bürgerinitiative gegeben habe, die letztlich zu einem bundesweiten (!) Volksentscheid geführt habe. Die meisten der Wähler hatten mit dem Krach kein Problem. So etwas bundesweit zu entscheiden ist für mich nicht ganz plausibel. Die Messerlis meinten zu dem Thema noch, dass in der Touristenzeit die Zahl der Flüge geringer sei. Na wenn das gering ist, dann frage ich mich, wie mag's erst im Winter klingen.
Gegen halb Zwölf fallen mir und meinen Gastgebern die Augen zu (so wie mir jetzt). Ich verabschiede mich und ziehe mich in mein Swimmingpoolappartment zurück.

2 Kommentare:

Uwe W. hat gesagt…

Hi Peter,
klingt ja super malerisch - Dein Pool Apartement :-). But do not forget to go on... . Nein, ich weiß ja, dass Du natürlich weiter laufen wirst. Ich wünsche Dir weiterhin tolle Erlebnisse. Geniesse es... :-)

Herzlichen Gruß
Uwe

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,

scheinst ja in Genf keine Zeit mehr für ein Internetcafé gehabt zu haben!? Wir sind gut zurück im flachen Münsterland.
Bin gespannt, wie es dir in Frankreich ergeht.

Ultreia für den "Rest" des Weges,
Peter und Dorothea, die "Klüngelpilger" aus Genf