Dienstag, 26. August 2008

Die springende Kuh, Von Saint-Privat nach Domaine du Sauvage (Do, 21.8)

Liebe Dorothea, lieber hardl, Danke für Eure Aufklärung bzgl. Hl. Bernhard. Es ist schon lustig, gerade eben habe ich mich mit Stefan aus Fulda (heute vormittag mein Mitpilger) bei einem Kaffee über dieses Thema unterhalten. Er kam zum selben Schluss und beeindruckte mich, ob seiner Kenntnisse diverser Namenstage.
Sitze im Cybercafe in Decazeville, einer recht hässlichen Arbeiterstadt. Welch ein Gegensatz zu Conques! Bissl schreiben und dann nichts wie weg hier. Beim letzten Donnerstag war ich stehen geblieben.

Sternklare Nacht, am Morgen hat es nur 7 Grad. Saint-Privat liegt auf 890 m Höhe, das merkt man. Die meisten Pilger sind schon unterwegs, als ich mich an den Frühstückstisch setze. Ein Ehepaar aus Irrland, das mit dem 9jährigen Sohn bis nach Conques gehen wird, und ein älteres Ehepaar aus dem Elsass sitzen mit am Tisch. Wir unterhalten uns angeregt. Kurz vor 9 verabschiede ich mich und breche auf. Obligatorisch der Provianteinkauf im Dorfladen, dann geht's richtig los. Nebelschwaden hängen über dem dicht bewaldeten, tiefen Taleinschnitt, hüllen die Silouette des Dorfes in gespenstischen Dunst. Sehr schön anzusehen. Zunächst führt der Weg noch ein Stück bergan bis der Weiler Rochegude erreicht ist. Alle paar hundert Meter entsteht wegen des Perspektivwechsels ein neues Nebelgemälde auf meiner Panoramatapete. Herrlich!


Von Rochegude (967 m) geht es spektakulär hinab nach Monistrol d'Allier auf 619 m Höhe, das in einer wildromantischen Schlucht liegt. Ein Wasserkraftwerk bändigt den Fluss und produziert Strom. Das hat den etwas unangenehmen Nebeneffekt, das mich den Rest des Nachmittags Stromleitungen begleiten werden.


Kaum abgestiegen geht's auch schon wieder hinauf auf 1050 m mit anfangs sehr schönem Blick auf die Allier hinunter. Ich schwitze. Allein, wenn ich mal laufe, dann bin ich schnell. Das kann ich heute life erleben. Spät aus den Startlöchern gekommen, rolle ich das Feld von hinten auf. Eine Pilgergruppe nach der anderen werden von mir überholt. Zugegeben, ein schönes Gefühl.
Viehweiden, Pinienwälder, Rinder, Schafe, bunte Schmetterlinge und auch mal ein faul in der Sonne flätzendes Schwein.




Die ganze Landschaft scheint in Parzellen von Weiden unterteilt zu sein. Überall Weidezaun (Elektro oder Stacheldraht), auch links und rechts des Weges. Gar nicht so einfach ein nettes schattiges Plätzchen für die Brotzeit zu finden. Und wenn eines kommt, dann sitzen schon andere Pilger da. Dennoch, als nach 15 km Saugues zu meinen Füssen liegt, mache ich erst mal Rast.
Heute ist es sehr heiss, um die 30 Grad. Keine Wolke am Himmel. Hin und wieder weht eine sanfte Brise, die Linderung verschafft.
Der Nachmittagsetappe Teil 1 führt nach knapp 10 km zum Weiler Le Falzet. Im Innenhof eines Landhauses wird dem Wanderer Schatten, Wasser und eine Stärkung angeboten. Das lasse ich mir nicht entgehen. Im Hofbrunnen kühle ich meine Füsse a la Kneipp. Eine Wohltat! Anschliessend gibt's einen Milchkaffe und Schokoladenkuchen. Damit sollte der letzte Anstieg auf 1300 m (noch gut 200 Höhenmeter) auf einer Strecke von knapp 10 Kilometern zu bewältigen sein. So viel heute Vormittag auf dem Jakobsweg los war, so wenig Pilger begegnen mir am Nachmittag. Die meisten werden in Saugues Etappe gemacht haben.
Landschaftlich ist der restliche Wegabschnitt wenig spektakulär. Auf und ab, sanfte Hügel, Wald. Die vielen Vulkanerhebungen, die gestern und vorgestern das Landschaftsbild geprägt haben, sind verschwunden. Land der puits, Vulkanland Ade!

Etwa ab Le Falzet fällt auf, dass die Häuser nicht aus Stein sind, sondern aus Granit, das hier reichlich vorkommt. Sie wirken aufgeräumter, kühler, steriler.


Die letzten Kilometer zur Domaine du Sauvage geht's bergan überwiegend durch Wald. Das Licht der tiefstehenden Sonne lässt die Farben der Landschaft leuchten.




Trancemodus - in den frühen Abendstunden passiert das gerne. Mit der Müdigkeit kommt die Trance, auch so eine interessante Erfahrung - so dass das Tier erst in mein Bewusstsein dringt, als ich fast schon vorbei bin. Keine 30 cm (!) neben mir steht seelenruhig eine Kuh. Ganz in beige. Nach der Schrecksekunde, in der wir beide wie erstarrt nebeneinander stehen, rufe ich im Affekt aus: "Na du bist ja eine, hast dich wohl aus dem Staub gemacht!" Eine weitere Sekunde lang keine Reaktion, aber dann. Für mich völlig überraschend, macht das Tier einen Satz nach vorne und rast ins Gebüsch davon. Wow! Kühe können springen und verdammt schnell sein!

Als letzter Gast (natürlich!) checke ich im Gite d'etape Domaine du Sauvage ein. Das Gut, früher Eigentum der Templer, liegt sehr schön und geschützt in einem Sattel der Bergkette.



Man kann es sich wie eine Alpenvereinshütte vorstellen. Es hat Atmosphäre (Steinwände und -mauern, drumherum Koppeln und Fischteiche), innen massive Holzdecken, rustikale Holztische und -bänke, etc.) und ist deshalb bei Pilgern und Wanderern sehr beliebt. Heute ist das Haus komplett belegt. Als ich das Gite über den Gemeinschaftsraum betrete, ist die Bude voll. Die Leute sind beim Abendessen. Man grüsst freundlich. Bei mir wird's noch etwas dauern, erst wird geduscht ... Als ich mich zum Abendessen in die Stube setze, haben sich die meisten schon in die Koje (respektive den Schlafsaal) zurückgezogen.


Nur ein Franzose (ebenfalls nach Santiago unterwegs) und ein Vater mit seinen zwei Jungs, leisten mir Gesellschaft. Ich gehe als letzter zu Bett.

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