Samstag, 2. August 2008

Das ist Wahnsinn, Von Flüeli-Ranft nach Brienz (29.7)

Bonjour! So jetzt wird's a bisserl schwerer, weil ich nicht mehr so gut mit den Leuten reden kann. Bin vor einer Stunde in der Westschweiz in Freiburg (bzw. Fribourg) angekommen. Und plötzlich nur noch Französisch um mich herum. Schon lustig wie schnell das ging. Puh - hab' 'ne Stunde nach einem Internetzugang gesucht. Alle Internetcafes scheinen heute geschlossen (vermutlich Nachwirkungen des gestrigen Nationalfeiertages). In meiner Verzweiflung bin ich in einen Minicomputershop gestiefelt und - voila - treffe zwei nette Jungs, die mir sogleich ein Terminal freimachen. Es ist einfach schön. Um mich herum PC-Gehäuse und Monitore, draussen führt die Grand Rue in Richtung Kathedrale vorbei, ich schwitze und schreibe ...
Wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, bei Dienstag.
Gewitter gegen 6 Uhr morgens, Regen prasselt aufs Dach hernieder. Ich verkrümele mich noch tiefer in meinem Schlafsack, wozu aufstehen bei diesem Wetter? Als ich "kurze" Zeit später aus meinem morgendlichen Halbschlaf erwache, sind die meisten Pilger, die mit mir in der Strohbox lagen, schon verschwunden. Raus Peter!
Beim Frühstück kurzes Gespräch mit der Bäuerin. Bei der letzten Verlosung der Viehweiden (das macht die Kooperative jeweils für 12 Jahre) seien sie diesmal lehr ausgegangen. Ich bin überrascht. Bisher dachte ich, dass die Weiden und Almen den Bauern selbst gehörten. "Irgendwie wird's schon weitergehen" schätzt die Bäuerin die Situation ein und bringt ihre Freude zum Ausdruck, dass es von Jahr zu Jahr mehr Pilger werden, die bei ihr übernachten.
Als einer der letzten starte ich in die heutige Etappe. In Sachseln (lustig, gelle?), dem nächsten Ort unten am Sarner See, hole ich Julia ein.


Ihre beiden Mitwanderer verabschieden sich zum Zug. "Verlassen werden" scheint ihr Schicksal auf der Tour zu sein. Tags zuvor hatte ihre schweizer Freundin das Handtuch geschmissen. Sie, die Berglerin, die Geübte, hatte zu viele Blasen an den Füssen. Eigentlich wollten die beiden Freundinnen zusammen auf dem Jakobsweg nach Fribourg laufen. - "Wenn Du nichts dagegen hast, laufe ich mit dir weiter? Wenn mir dein Tempo nachher zu schnell wird, v.a. wenn's steil wird, lasse ich mich zurückfallen." Kein Problem. - Meine 22-jährige Begleiterin kommt aus Hammelburg in Unterfranken. So kommt's, dass zwei Franken gen Brünigpass laufen. Sie wird Restaurierung und Konservierung archäologischer Objekte studieren (Ton, Steine, Scherben - ähm - Ton, Textil, Schmuck, etc.). Gegenwärtig analysiert sie im Rahmen eines Praktikums ein Frauengrab aus dem Mittelalter. Drei Tage hat sie allein damit zugebracht, das Objekt zu skizzieren. Mit Verve schildert sie, wie die Sache auf Messers Schneide steht: rühren die Kratzspuren am Objekt von Leder her (etwa ein Riemen, der Metallschmuckteile zusammenhielt), dann ist das eine Sensation; ist hingegen das Holz des Sarges dafür verantwortlich, ab in die Schublade mit dem Projekt. WAHNSINN, denke ich mir. So jung und so viel Enthusiasmus für Details von damals (@Julia: hoffentlich ist das nicht alles kompletter bullshit, was ich da erzähle).
In Kaiserstuhl treffen wir Gabi und Gerlind, die - was sonst - mal wieder Brotzeit machen.


Schönes Plätzchen mit Brunnen, wir gesellen uns den beiden hinzu. Speisen und Scherzen (Walzer und Salsa mit Gabi!), doch G&G haben es heute eilig. "Ihr holt uns nachher eh wieder ein" sprechen's und fort sind's. Ich habe die beiden bis heute nicht mehr gesehen.
In Lungern schauen wir kurz in der weithin sichtbaren Kathedrale vorbei und dann schallten wir in den kleinsten Gang.


Von nun an geht's bergan. Von wegen 'Ich lass mich zurückfallen', Julia zieht mit, kein Problem für sie mein Tempo zu halten. Waren die Wege bis Lungern überwiegend breit und geteert, geht es jetzt auf schmalen Waldpfaden steil bergan. Schön und schweisstreibend. Unterhalb des Brünigpasses verlässt der Weg den Wald und wir wandeln jetzt auf nicht mehr ganz so steilen Pfaden. Schliesslich parallel zur Trasse der Zahnradbahn auf den Brünigpass. Zweimal kommt der Zug an uns vorbei, mit erstaunlich hoher Geschwindigkeit. Oben angekommen ist die Aussicht auf den ewigen Schnee der Gipfel des Berner Oberlandes leider nicht mehr frei. Wolken ziehen auf.


Trotzdem nehmen wir uns die Zeit und genehmigen uns ein Radler. Aus den Lautsprechern dröhnen deutsche Schlager ("Das ist WAHNSINN ..."). Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Kellnerin so mürrisch drein schaut? Dennoch passt das Lied, es ist WAHNSINN hier oben. Heftiger Verkehr, viele Reisebusse, viele Restaurants, die meisten davon direkt an der Strasse - und ich habe mir einen lauschigen Pass vorgestellt, so 'nen Trampelpfad halt.
Unsere Batterie ist nach den 400 Höhenmetern ziemlich leer. Brotzeit. Mein Vespersack gibt allerdings nicht allzuviel her, eigentlich nur ein Snickers. In Lungern, wo ich Proviant auffüllen wollte, hatten die Läden über mittag geschlossen. Allein, Julia hat vorgesorgt - und geschleppt: Gurke, Cocktailtomaten, Käse, Brötchen, Müsliriegel. In punkto Verpflegung ist auf die Frauen halt Verlass ;-)
Als wir den Abstieg anpacken schüttet es. Keine freundliche Begrüssung des Kanton Bern, in den wir jetzt hinabsteigen. Obwalden liegt nun hinter uns. Zunächst noch ein kurzer Anstieg zum Tschuggen und dann steil hinab auf engen Serpentinenpfaden im Wald, über glitschige Baumwurzeln und Steine. Wir ziehen es durch. In Brienzwiller ist's vorbei mit dem steilen Stück - und mit dem Regen. Die Sonne scheint, die Stimmung steigt. Ein Automatismus, den ich dieser Tage schon oft erlebt habe.


Flott geht's weiter hinab noch Brienz, weniger Flott dann die Quartiersuche. Die Jugendherberge ist ausgebucht. Wir fragen uns durch und landen schliesslich bei Familie Thöni. Welch ein Glücksfall! Wir dürfen im Stadel im Stroh übernachten. Während Albert Thöni 350kg schwere Strohballen zurechtrückt, damit wir eine Schlafstatt haben, lädt Christine Thöni zum Abendessen ein. Käse, Marmeldade und Brot für die Pilger, Brei für den sieben Monate alten Sohn Veit. So viel Gastfreundschaft uns Fremden gegenüber. Unglaublich! WAHNSINN! Die Abendtoilette absolvieren wir mit einem Schwumm im Brienzer See. Es ist bereits finster, der See kalt. Eine Wohltat!
Muss jetzt leider Schluss machen, weil die Jungs den Laden schliessen wollen. Es ist 16 Uhr. Fortsetzung folgt. Stay tuned :-)

4 Kommentare:

Norbert Leinfellner hat gesagt…

Hallo Peter,
verspaetet auch von uns alles Gute zum Geburtstag!
Was ich dich immer fragen wollte - wo kann man deine Gesamtroute nachschauen? Du musst ja deine Stationen schon im voraus kennen, oder?
Norbert, Gabi und kids im Silicon Valley!

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,
vermisse ja richtig Deine Beiträge, wenn Du mal 2-3 Tage nix schreibst!
War gerade beim Laufen, sonntags oft auf meiner ebenen, langen Strecke zwischen Tölz und Lenggries an der Isar entlang, diese Strecke ist ja Teil der Alpenüberquerung München-Venedig und im Sommer kommen einem da viele Langstreckenwanderer entgegen. Heute allerdings beim Zuücklaufen Richtung Lenggries sehe ich die so vertraute Jakobsmuschel an einem der großen Rucksäcke hängen und wünsche den beiden einen Buen camino! Sie haben sehr überrascht geklungen dass ich sie als Pilger erkenne und haben sich bedankt. Gehen wohl über Innsbruck, auch ein alter Weg! Und bei mir wars, wie wenn eine Klangschale in Schwingung gerät! Habe mich wieder als Teil des unsichtbaren Energiefadens gefühlt, der mit Santiago verbunden ist. :-)
Freue mich schon auf Deinen nächsten Bericht!
Liebe Grüße
Thea

Peter B. hat gesagt…

Hi Ultraman,
Danke für die nachträglichen Wünsche.

Die Route geht zunächst weiter nach Genf. Von dort quer durch Frankreich (GR 65) via Le Puy nach St. Pied de Port und dann ganz "normal" auf dem Camino Frances durch Spanien nach Santiago weiter. Hope that helps.
Viele Grüsse nach Kalifornien auch an Gabi und die Kids
Peter

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,toll, dich getroffen zu haben. G&G