Mittwoch, 17. September 2008

Unter Templern, Von Uterga nach Estella (Sa 13.9)

Also, bin doch in Belorado geblieben. Tu mir mal was Gutes. Hab ja die 2000 km in der Tasche. Bin im refugio "El caminante" abgestiegen. Das ist eine von diesen Perlen. Massenlager zwar, aber viel Platz und eine absolut nette Herbergsmutti.

Uterga. Wusste gar nicht, dass Italiener Frühaufsteher sind. Zumindest diejenigen, die heute Nacht mit mir nächtigten. Um Sechs Uhr morgens kruscht Italien, will vermutlich schnell ans Ziel. Schnelle Autos, schnelle Pilger.
Um Acht bin dann auch ich so weit. Draussen vor der Herberge ein kurzer Plausch mit zwei Jungs, zwei Kurzzeitpilgern aus Belgien. Gestern haben sie angefangen, kommenden Dienstag ist schon wieder Schluss. Wollen einfach mal ins "Pilgergeschäft" hinein schnuppern.
Ich nehme den kleinen Umweg über Eunate, um dort die kleine romanische Kirche mit achteckigem Grundriss zu besichtigen. Vermutlich geht diese Kirche auf die Tempelritter zurück. Eunate sei ein besonders energetischer Ort. Klingt interessant, will ich sehen. Komme kurz nach Neun an, Besichtigung erst ab 10:30 Uhr. Hm. Übersprungshandlung: Käsebrot essen und überlegen, wie's weiter geht. Während dessen kommt eine Gruppe spanischer Pilger daher. Ihr Wortführer Luis lädt mich ein, mit ihnen einen Energiekreis zu bilden. Zu Acht stellen wir uns im Kreis auf, nehmen uns bei der Hand, die Daumen schön nach links, damit die Energie fliessen kann (Thea und Uwe, kommt Euch bekannt vor, gelle?). Luis führt in die Entspannung, erdet uns. Dann sagt jeder im Kreis, was er fühlt, was ihm so durch den Kopf geht. Als es an mir ist, bedanke ich mich dafür, nach 1800 km an diesem Ort sein zu dürfen, bedanke mich für all die Landschaften, die ich sehen durfte, all die Menschen, die ich treffen durfte und wünsche jedem im Kreis, dass er oder sie auf dem "Camino" das finden möge, was er oder sie suche. - Der Kreis wird aufgelöst, die Neugier ist gross. Man will von mir wissen, woher, wohin, seit wann, etc.



NACHTRAG: Während wir uns angeregt unterhalten, kommt der Hospitalero der zur Kirche gehörenden Herberge nach draussen. Er ist auch für die Kirche zuständig und hat den Schlüssel. Offensichtlich hat ihn das Treiben da draussen so bewegt, dass er sich unser erbarmt und das Tor zur Kirche öffnet. "Solamente para un minuto, antes que vienen los turistas". Eine Minute lang (na ja, es werden dann doch 10) dürfen wir also in das Innere der Kirche und den Rundgang besichtigen. Schönes Erlebnis.
Für die nächsten Kilometer schliesse ich mich der Gruppe an, einer Gruppe, die sich, wie ich später erfahre, auf dem Weg gefunden hat. Ein Senior aus San Sebastian, ein junger Typ, der leidenschaftlich gern fotografiert aus Ibiza, Luis aus Málaga, usw. Luis und ich unterhalten uns auf dem Weg nach Puente la Reina. Er ist Journalist, interessiert sich für Mythen, Mysterien und berichtet für Radio, Fernsehen und eine andalusische Zeitung über diese Dinge. Er interessiert sich für meine Geschichte. Unter anderm höre ich mich "... te levantas y sigues andando, andando, te levantas y sigues andando, andando, ..." sagen. Das scheint ihm zu gefallen. Mehrmals wiederholt er das für sich. Oje, vermutlich tauche ich jetzt als "el loco alemán" in einer von Luis' Reportagen auf.
Luis entführt mich in die mytischen Anfänge des Pilgerweges, in eine Zeit, da es den Jakobskult noch nicht gab. Die Kirche war ja schon immer gut darin, alte Bräuche zu adaptieren und in ihr Konzept zu integrieren.
Laut Luis war der nordspanische Pilgerweg einer von vielen, von Ost nach West verlaufenden Pilgerstrassen. So gebe es z.B. auch eine Pilgerstrasse in Ägypten. Die Pilgerreise beginne stets im Osten, im Sonnenaufgang, in der Geburt, und ende im Westen, im Sonnenuntergang, im Tod. Der Pilger, der frühere Mensch, stirbt am Ende seiner Pilgerreise in Santiago, um in Finisterra, am Ende der Welt, neu geboren zu werden. "Peter, Du wirst nicht als der selbe nach Hause zurückkehren, glaube mir. Serás otra persona." Vamos a ver.
Um ehrlich zu sein ist mir diese mystische Interpretion des Pilgerpfades wesentlich sympatischer, als die der Kirche. Ich bin nicht auf den Spuren des Santiago d.C. unterwegs, der als Maurentöter ("el matamoros") verehrt wird. Santiago, der Patron der "reconquista". No, para nada.
Laut Luis geht der Jakobsweg auf die Templer zurück. Deren Symbol, der Gänsefuss (pato de oca), würde uns auf dem Weg noch oft begegnen. So z.B. in der Kirche "Iglesia del Crucifijo" in Puente la Reina. Als wir dort ankommen, zeigt er mir eine Einzigartigkeit: ein Kruzifix in Form eines Gänsefusses (eines Ypsilons).


In Puente la Reina trinken wir einen Kaffee zusammen. Dann machen sich die anderen auf den Weg. Ich verweile noch ein wenig, muss noch Proviant besorgen. In der für die spanischen Pilgerorte typischen "sirga peregrinal", der Pilgerstrasse, um die herum die Ort gewachsen sind, läuft mir mal wieder André aus Lousanne über den Weg (Louis de Funes - Charles de Gaulle, Ihr erinnert Euch?). Ist ja auch Zeit geworden. Unglaublich. "Hast Du Miss Schweiz gesehen?", fragt er mich sogleich. Oje, der alte Schürzenjäger. Kein Bock auf das Thema. Ich schüttle ihn ab.





Über Ciranqui (Fiesta im Ort, alte römische Brücke nach dem Ort), Lorca (quirliges Örtchen, Bars voller Pilger) und Villatuerta (Vesperpause an einem zwar grossen, aber hässlichen Platz) gelange ich schliesslich nach Estella. Die heutige Strecke ist deutlich langweiliger als die gestrige. Überwiegend schlängelt sich der Camino entlang der Autobahn A12 von Logroño nach Pamplona entlang, von der man allerdings mangels Verkehr wenig mitbekommt. Ein spektakulärer Gebirgszug im Norden ist lange Zeit unser Begleiter und sorgt für Abwechslung. Heute sehe ich den ersten Olivenbaum meiner Pilgerreise!



Wie ich's hinbekommen habe, weiss ich nicht. Trotz der intensiven Beschilderung, verpenne ich am späten Nachmittag irgendwo zwischen den Feldern eine Abzweigung. Laufe einen Umweg, der Dank eines aufmerksamen Landarbeiters, klein bleibt. Gerade im Begriff dicke Strohblöcke vom LKW zu laden sieht er mich in der Ferne irr gehen. Ein greller Pfiff und der Pilger ist auf dem Camino zurück. "Gracias, estuve soñando".
Wieder sehr kalt heute, maximal 15 Grad, ein stetig blasender, extrem aufböender, eisiger Wind. Jacke, lange Hose, nur so geht's - bei mir. Andere laufen im kurzen Outfit. Keine Ahnung wie die das packen.






In Estella läuft man auch auf der Pilgerstrasse ein. Die führt an einer Rotkreuz-Station vorbei. Ich sag's Euch, die Helfer langweilen sich nicht. Irre, wie viele Menschen Fussprobleme haben. Blasen, Muskelzerrungen, Schwellungen, weiss der Teufel was, Mediziner, Orthopäden hätten hier ihre wahre Freude ...


Die heutige Nacht wird nicht in der Massenunterkunft geschlafen. Will mal wieder meine Privatsphäre haben. Ich quartiere mich im etwas abseits gelegenen Hotel Yella ein, pflege meine Erkältung und esse im Hotel zu Abend. Das beste an dem Essen ist die Vorspeise: Fischsuppe. Drei Teller Suppe und Brot wären mir am liebsten gewesen ...

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,
ich hoffe, Du kommst nicht auf die Idee, die Kathedrale in Burgos auszulassen!!! Bin gespannt, wie es Dir ergeht, Du solltest jedenfalls Zeit einplanen!
Es ist auch spannend zu lesen, dass jetzt alles braun ist, die Felder abgeerntet sind, ich kenn den camino "nur" in sämtlichen Grüntönen, die es gibt (und es gibt viele, habe ich festgestellt) und viele Blumen am Wegesrand und Tiere..
Buen camino
Thea

Norbert Leinfellner hat gesagt…

2000 km!!! Das ist ja mehr als ich fuer eine 100-mile-race Vorbereitung in einem Jahr laufe! Wahnsinn!
Deine Erzaehlungen sind super spannend und ich freue mich, dass es so klaglos dahingeht!
Liebe Gruesse aus der SF Bay Area,
Norbert