Freitag, 12. September 2008

Oje les Bleus, Von Latrille nach Uzan (Sa 6.9)

¡Hola guapos! Ich muss gleich eine aktuelle Geschichte los werden. Hab' gestern auf dem Weg nach Huarte einen Regenschirm liegen sehen, nicht lange überlegt und ihn mit dem Gedanken mitgenommen, dass mir entweder der Eigentümer begegnen wird, oder ich den Schirm fortan nutze. Lustig an der Sache ist, dass ich schon seit Wochen mit dem Gedanken spiele, mir einen "Paragua" zu kaufen. War doch immer recht ungemütlich und feucht, wenn Dauerregen herrschte. Jetzt wurde mir also einer geschickt. Gut, so viel zur Vorgeschichte. Heute Nacht teilte ich das Zimmer mit Bernard aus Gent/Belgien. Der Typ, 63, mit einer "Pulka" unterwegs, so einem Teil, das man hinter sich herzieht, die wie's scheint sein gesamtes Hab und Gut beherbergt. Bernard ist von der Haustür losgepilgert und hat auch schon gut 1500 km hinter sich. Einer von den Menschen, die ihr Leben dem Pilgern verschrieben haben. Hat schon Tausende von Kilometern zurückgelegt. Eine absolut skurile Type, aber erfahren, was Pilgern anbelangt. Fing heute Nacht zu waschen an, was ich im Halbschlaf mitbekam. Als ich in den Morgenstunden von der Toilette zurückkam, sprang er aus seinem Bett auf (Stockbett, unteres Stockwerk) und fragte mich, ob ich nicht zwei Eurostücke hätte (die brauchte er für den Trockner). Ich musste innerlich lachen und kramte zwei Münzen für ihn hervor. Das Schönste aber heute morgen, als er mich zunächst mit Pilgergeschichten übergiesst, die ich nur annähernd verstehe, weil sein Deutsch bisweilen etwas eigen ist. Wie sich dem Wortschwall entziehen geht mir durch den Kopf, als er den Regenschirm entdeckt: "Der sieht ja genauso aus wie meiner!" entfährt es ihm, und ebenso spontan mein Antwort "Das ist Deiner Bernard! Den habe ich gestern auf dem Weg gefunden!" Er checkt die Lage, freut sich, den Schirm wiederbekommen zu haben, dessen Verlust er noch gar nicht bemerkt hatte. Mehr als 5000 km Pilgererfahrung vor mir, nutze ich die Gelegenheit und zeige ihm meine Schuhe. Bernards Reaktion merke ich an, dass er solchermassen lädierte Schuhe schon häufiger erlebt hat. Er versichert mir, dass man mit diesen Schuhen noch weitergehen kann. "Da kriegst Du locker 4000 km drauf. Der Riss wird zwar langsam weiter wachsen, aber das hält noch lange. Ein Schuster wird das nicht reparieren können. Spar' Dir das Geld und v.a. die Zeit. Problematisch wird's halt bei Regen." Bernards Wort in Gottes Ohr. So werde ich's machen. Mal sehen, wie weit ich komme. Den Schusterbesuch in Pamplona schenke ich mir. Ach ja, ein letztes hierzu. Hab' soeben einen Regenschirm gekauft ;-)

Latrille, die Übernachtung in der Herberge am Friedhof. Da war ich stehen geblieben. Jo, Morgentoilette am Friedhofshahn. Bin so gegen Acht im Begriff mich auf die Socken zu machen, als ein Kleinbus angefahren kommt. Wer steigt aus? Meine 6 französischen Freunde! Die langweilige Strecke von Aire nach Latrille haben sie sich geschenkt. Ja, ja, viele der Franzosen sind Genusspilger: Landschaft und Essen müssen passen ... Regen hingegen macht ihnen nichts aus. Den haben wir heute Morgen nämlich.



Ein Stück des Weges gehen wir gemeinsam. Die 6 sind allesamt Marathonläufer und haben alle schon mehrmals am Marathon du Medoc teilgenommen. Den Läufern unter Euch wird diese Veranstaltung ein Begriff sein. Auch bei ihr geht es in erster Linie um Genuss (unterwegs werden Rotwein, Steaks und Käse gereicht) und nicht um Bestzeiten. Dieses "Rennen" findet übrigens immer am ersten Samstag im September statt (also heute!) und ist auf 8000 Teilnehmer beschränkt. Nicht ganz einfach auf die Starterliste zu kommen. Kurz vor Pimbo an der "Eglise de Sensacq" der "Porschehinweis": Noch 911 Kilometer nach Santiago! Hier hänge ich die Franzosen ab.
Bei strömendem Regen und keuchend Ankunft in Pimbo (wie fast jeder Ort liegt auch dieser auf einem Hügel). Ein Anwohner wäscht sein Auto an der Strasse. Er arbeitet mit einem Schwamm, es schäumt kräftig. Da fällt mir ein, dass es genau andersherum ist, als neulich von mir behauptet. Die Franzosen stellen ihr Auto in den Regen ...

Tote Hose in Pimbo, nicht einmal eine winzige Bar, nada (ach wie ich mich auf Spanien freue!). Also hänge ich die nächsten 5,5 km nach Arzacq-Arrazguet an, vorbei an einer Entenfarm. Die Anwesenheit des Pilgers beunruhigt die Tiere, deren Flügel gestutzt sind. Der Fluchtinstinkt befiehlt ihnen, mit den Flügeln zu schlagen, an Höhe gewinnen die Armen dennoch nicht.





Arzacq, bin platt. Brotzeit und Kaffeepause. Anschliessend weiter nach Uzan.


Mittlerweile hat sich das Wetter beruhigt, es ist trocken und windig, stimmungsvoll. Kurze Pause an der Kirche von Louvigny, meine Füsse brauchen unbedingt etwas frische Luft, Kühlung.



Von hier aus nehme ich die Strasse und schenke mir den Umweg über die Felder. Sehe trotzdem genug Maisfelder mit Maispflanzen, die hier deutlich über zwei Meter hinaus wachsen. Nach knapp 38 km Ankunft in Uzan. Mehr geht heute nicht. Es ist halb Acht. Die Gite des Dorfes wird von Bauersleuten betrieben, also klingele ich an der Tür zum Bauernhaus. Unerwartet schnell öffnet die Tochter, Mitte 20, die Tür und konfrontiert mich mit einem: "Complet!" Nein, ich gehe auf keinen Fall weiter. Sie ruft ihre Mutter herbei. Mutter und Tochter diskutieren die Lage. Sporadisch werde ich ins Gespräch einbezogen. Während die Mutter mich auch in der Garage schlafen liesse ("pas de probleme" für mich), kommt das für die Tochter nicht in Frage. Schliesslich einigt man sich auf das Wohnzimmer, nachdem auch die anderen Gäste zugestimmt haben.


Deren einzige Sorge gilt dem Fussballspiel Frankreich-Österreich, das sie sich im Fernsehen anschauen wollen. Kein Problem für mich, da ich bis weit nach Zehn zum Bloggen drüben im elterlichen Haus sitze, und zwar am Rechner im Wohnzimmer. Neben mir sitzt zeitweise die Tochter, die das heute erworbene Laptop mit Software versorgt. Aus der Küche schallen Flüche herüber. Der Bruder verfolgt das Fussballspiel, das Österreich mit 3:1 gewinnt! Allez Austriche, oje les bleus!

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