Regen am Morgen - endlich kommt mein Schirm zum Einsatz. Ja, einige Pilger beneiden mich heute Morgen ;-) Der Duft von Sportsalben, Gels und sonstigen Cremes liegt in der Luft. Eigentlich braucht man nur der Nase nach zu gehen. - Komme mit dem Architekten Peter (66) aus Worcester/Mittelengland ins Gespräch. Er gibt mir einige interessante Impulse zur beruflichen Partnerschaft. Das kommt mir gelegen. Mit britischem Humor nimmt Peter die Tatsache, dass der für ihn erstmalige Einsatz von Trekkingstöcken prompt zu Blasen an den Händen geführt hat. Nun schleppt er die für ihn nutzlosen "Poles" im Rucksack mit. Nichts was es nicht gäbe auf dem Camino. Peter erzählt aus dem Leben eines Architketen. Die Herausforderung in seinem Job bestünde darin, sich durchzusetzen, wenn es darum gehe, eine für das Bauwerk - Schule, Krankenhaus, Museum, Flughafen, egal was - falsche Entwicklung während des Baus abzuwenden, auch wenn Mehrkosten/Zeitverzug die Folge seien. Wichtig sei es, keine faulen Kompromisse einzugehen. Das Museum steht auch noch in einhundert Jahren, wenn schon lange keiner mehr nach den Kosten fragt. Bei der Softwarentwicklungs sei das anders. Da haben bei Softwarebausünden in der Regel nur wenige ein- bzw. durchblick. Wie wahr. Als aktuelles(?) Beispiel führt er den Neubau des Tokioter Flughafens an. Stararchitekt Enzo Sowieso (müsste ich googln, habe nicht die Muse dazu) habe sich mit einer viel Geld konsumierenden Änderung durchgesetzt, obwohl in der Bauphase täglich eine Mio US-Doller in Zement gegossen wurden. Und schon wären wir bei den beeindruckenden gotischen Kathedralen, die zu besichtigen wir in diesen Tagen das Glück haben. Und, wer fragt noch nach den armen Bauern und Handwerkern, die zur Zeit deren Entstehung bluten mussten, damit diese überhaupt entstehen konnten? Nobody. - In San Nicolas lädt Peter mich auf einen Kaffee ein. Danach verabschieden wir uns.
Nächste Station Sahagún. Am Ortseingang grüsst wie in vielen Orten der Region der weithin sichtbare Kornspeicher. So ´ne Art Wahrzeichen der kastillischen Dörfer/Städte. Irgendwo muss all das Getreide ja auch gelagert werden. Vor der Städtischen Herberge "Iglesia de la Trinidad" treffe ich den Endfünfziger Honorio. Er war gestern Abend im Albergue zu einer Art Fan von mir geworden, als er erfuhr, wie lange ich schon unterwegs bin. Jetzt nimmt er mich beim Arm und gewährt mir Einblick, in sein unerschöpfliches Repertoir an Lebensweisheiten.
Aus aktuellem Anlass geht es um die "Geduld", "la paciencia": "La paciencia empieza llorando, sufriendo, pero al fin sonrie." (Geduld beginnt weinend, leidend, aber schliesslich lächelt sie) und ergänzt: "Pero, la paciencia no florece en todos los jardines!" (Aber, Geduld wächst nicht in jedem Garten!). Schön, oder?
Ich schlendere durch Sahagún und versorge mich in einem kleinen Laden mit Proviant. Lasse mir bei der Gelegenheit vom Ladenbesitzer eine Bar empfehlen, in der ich dann auf dem Fusse einkehre. Als Apperitiv werden "pimientos de padrón" gereicht, ganz nach meinem Geschmack. Das Omelett mit Shrimps ist dann auch lecker. Derart gestärkt mache ich mich auf den Weg. Für den weiteren Weg entscheide ich mich für die zwar etwas längere, aber im Wanderführer als "persönlichere" Strecke über "Calzadilla de los Hermanillos". Sehr kluge Entscheidung, wie sich morgen herausstellen wird.
Zunächst geht es einige Kilometer auf einer Piste neben der Strasse nach "Calzada de Coto". Hier trennen sich die beiden Wege. Ich überquere also die Autobahn und wandere fortan auf der alten Römerstrasse, der "calzada romana" in den winzigen Ort "Calzadilla de los Hermanillos". Schotterpiste, brettl-eben, Meseta eben(!), vereinzelt Buschwälder, Kornfelder, immer wieder Regen, Einsamkeit des Pilgers. Ich bin begeistert, von wegen langweilig. Allein der Gegensatz zu den kräftigen Farben und dem blauen Himmel der letzten Tage ist faszinierend. Heute ist alles gedämpft, das Licht, die Farben, Meseta im Dunst.
Kurz vor dem Dorf erreiche ich die "Fuente del Peregrino", die Pilgerquelle, die allerdings (zumindest heute) versiegt ist. Ich schaue mich etwas um und dann trifft mich fast der Schlag. Liegt da nicht auf einem der Tische so ein Riemen, wie ich ihn heute Morgen beim Aufbruch aus dem Albergue verloren habe (ich verwende den Riemen, um die Kamera am Hüftgurt des Rucksacks festzuzurren)! Unglaublich! Zufall? Will mir da jemand eine Botschaft schicken, von der Art "Peter, I´m watching you." Schmarrn - oder vielleicht doch? Bueno, yo no se.
Ich steige in der Casa Rural "casa de la cura" ab. Bin der einzige Gast. Beziehe ein schönes Zimmer mit hübschem Bad und Badewanne. Ein Traum.
Die Gelegenheit nutze ich, nehme ein ausgiebiges Bad und esse dann unten im Salon zu Abend. Es ist ein bisschen so wie bei "Dinner for one". Oder so, wie es Cees Noteboom in seinem "Umweg nach Santiago" beschreibt. Ich sitze also alleine am Zweiertisch und harre der Dinge, die die da kommen. Die Tochter des Hauses - Mitte 30, schlank, spröde - wie es den Anschein hat für den Service zuständig, schwirrt um mich herum, bringt die einzelnen Gänge, während ihre Mutter in der Küche das Essen zubereitet. Der Gast und die beiden, mehr Leute sind in dem hübschen Anwesen heute Abend nicht zugegen. Mein Gott ist die Tochter schnell. Kaum hat sie mir etwas aufgetischt, ist sie auch schon wieder verschwunden. Habe mir ein paar Fragen zu Recht gelegt und wirklich Probleme, diese auch anzubringen. Ruhe, Geduld, das Verhalten der Tochter ruft mir diese Begriffe wieder in Erinnerung. Geduld, DAS Thema des Tages.
Das Haus wurde früher von einem Priester bewohnt (daher der Name), verfiel, wurde renoviert und dann dem Tourismus in den Dienst gestellt. Es ist aus Stein und wirkt kühl. Im weitestgehend offenen Erdgeschoss sind das Restaurant, der Salon und diverse Versorgungsräume untergebracht. Eine ausladende Treppe führt geradeaus hoch zur Galerie, von der aus die Zimmer weggehen. In allen Bereichen, auch in den Zimmern (zumindest in meinem) hängen Schwarzweissfotografien an den Wänden, Porträts, Landschaften, etc. Keine Ahnung, ob und wenn ja, wie die mit dem Haus in Verbindung stehen. Ich geniesse die Einsamkeit in der Casa del Cura. Nach dem Pilgertrubel in den Albergues der letzten Tage tut das richtig gut. Ziehe mich nach dem Essen mit der Flasche Rotwein in den Salon zurück, schreibe, lese, trinke. Sehr schön.
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