Mittwoch, 8. Oktober 2008

Hab' den Atlantik geküsst, Von Olveiroa nach Fisterra (Mo 6.10)

Frühstück mit mit den drei Norddeutschen, dann Abschied. Sie werden nur bis nach Cée gehen, ich ans Ende der Welt. Regen, heftiger Wind. Das Wetter ist so richtig eklig. Por fin, auf meiner letzten Etappe. Ich würde sagen, lustig, wenn's nur nicht so feucht wäre.
Als ich bei Logoso für ein Foto einen kurzen Halt einlege, grüsst mich ein bekanntes Gesicht: Bianca, die Volkswirtin aus Bayreuth. Eingehüllt in durchsichtiges Plasitk erinnert sie mich an Doris Day, warum auch immer.
Schweigend gehen wir zusammen weiter. Reden ist nicht möglich. Zu sehr sind wir im weitesten Sinne mit der Abwehr des Wassers beschäftigt. Sie nestelt ununterbrochen an ihrem Regencape, das der Wind bald linksherum, bald rechtsherum verdreht. Ich kämpfe wie ein Skipper mit der Fock mit meinem Regenschirm. Bei den heute herrschenden Winstärken erweist sich die grosse Fläche meines Schirms als nachteilig. Bisweilen halte ich den Schirm waagerecht in den Regen, ohne von oben auch nur einen Tropfen abzubekommen. Eklig. Für die Landschaft haben wir kaum ein Auge. Dauerregen mit kurzen Unterbrechungen.


Als wir bei Hospital de Logoso an einer Bar vorbeikommen, ruft uns in der Tür stehend eine Pilgerin zu: "Wir nehmen ein Taxi nach Fisterra, kommt Ihr mit?" Die macht Scherze. Ein kläglicher Versuch des Teufels? Wir winken dankend ab. Das Ende der Welt werden wir zu Fuss erreichen. Bianca denkt genauso. Und auch Petra, die in Belgien lebende Tierärztin aus Mähren. Sie stösst kurz hinter dieser Bar zu uns. Es hat ihr vermutlich Mut gemacht, dass es Unerschrockene gibt, die einfach weiter marschieren.



Eine zeitlang gehen wir zu dritt weiter. Drei im Osten Sozialisierte stapfen durchs Unwetter. Jawohl, wir sind ja schliesslich nicht aus Zucker. Meine Füsse schwimmen in den Schuhen. "A lo mejor si", die Worte des Schusters in Santo Domingo kommen mir in den Sinn. Fast hätte es geklappt ... Irgendwann fällt Petra zurück. Kein Wunder bei dem Tempo, das Bianca vorlegt.
Es ist halb Eins, der Regen hat nachgelassen, die Wolke, durch die wir laufen, ist lichter, als unvermittelt, am Ende des Weges, am Horizont, der Atlantik auftaucht. Viel besser zu erkennen, als ich es erwartet habe. Wir sind am Meer! Es ist vollbracht. Jetzt bin ich wirklich bald am Ziel. Wieder ein Glücksmoment. Erinnerungsfotos mit Schirm.


Wir gehen weiter nach Cée und biegen in die erste Bar ein. Andere Pilger waren schon vor uns da. Eine Wirtin, deren Entgegenkommen und Ausstrahlung zeigt "Ihr Pilger tut mir Leid" nimmt sich unserer an. Wie schön. Kase-Tomaten-Bocadillo (ich esse gleich zwei dieser riesigen Brötchen, bin total ausgehungert), Tee, Kaffee. Aufwärmen, etwas trocknen. Pilger gehen, Pilger kommen, nach etwa 20 Minuten auch Petra, die unterwegs den Kanadier Bill aufgegabelt hat (oder umgekehrt).


Als wir eine gute Stunde später weiter ziehen, hat es zu regnen aufgehört! Am Strand von Cée sammeln wir Muscheln, Mitbringsel. Ich stehe mehr auf Masse, während Bianca wählerisch ist. Sie findet zwei richtige Jakobsmuscheln und schenkt mir eine von beiden. Danke.



Anschliessend führt der Weg etwas weg vom Strand wieder leicht bergan bis zu einer Anhöhe, von der aus man erstmalig Fisterra erblickt. Toll. über diesem Wurmfortsatz des Festlands hängt eine fette Wolke, doch einige küstennahe Flecken auf dem Meer spiegeln die Sonne wider, glitzern. Die Sonne kommt! Das hätte ich mir heute Morgen nicht träumen lassen.


Um halb Sieben erreichen wir den Strand von Fisterra (heute purzeln die Meilensteine). Wat mut dat mut. "Nach der langen Reise reinigt sich der Pilger im Meer". Also, Klamotten runter bis auf die Unterhose und rein in den Atlantik. Hab' den Atlantik geküsst. Eine nette Norddeutsche mit Hund hat die beiden verrückten Pilger vom Cafe an der Strasse aus beobachtet, die freudig in die Wogen gerannt sind. Sie kommt zu uns runter und fragt, ob sie Fotos schiessen soll. Natürlich! Nett!


Ortseingang von Fisterra. Eine im Türrahmen ihres Hauses sitzende Alte fängt uns ab. Sie hätte ein tolles Zimmer für 25 Euro. Redet so lange auf mich ein, bis ich einwillige mir das Zimmer anzusehen. Es ist wirklich toll und ich nehme es. Bianca quartiert sich in der Albergue ein.
Kurz nach Acht sitzen wir im besten Restaurant am Ort. Mit am Tisch der Berliner Justus, eine Dänin, die ich schon vor etwa einer Woche mal getroffen habe und zwei Frauen aus Norwegen (die auch gut als Schwedinnen durchgehen würden). Taschenkrebse, Hummer, Garnelen im Aquarium warten ohnmächtig auf ihr Ende. Ein trauriges Schicksal.


Die Speisekarte listet eine Fischspezialität nach der anderen auf. Bianca, vom Fach, gehen die Augen über. Die Wahl fällt uns leicht. Endlich mal zu zweit, endlich mal Paella de Mariscos. Salat, Fischsuppe, Schneckenmuscheln. Edler Rotwein. Wir lassen es krachen. Alles schmeckt sehr lecker. Ich bin sehr zufrieden, satt.
Justus und Skandinavien verabschieden sich gegen 10, Bianca kurz vor Mitternacht (die Albergue schliesst um 12). Mit dem restlichen Wein in der zweiten Flasche und meinem Notizbuch vor mir auf dem Tisch bleibe ich als letzter solange sitzen, bis man mich gegen halb eins rausschmeisst. Ja, ich kann nicht genug kriegen, nach 90 Tagen Pilgerschaft.

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