Samstag, 4. Oktober 2008

Santiago de Compostela (Fr 3.10)

Erst mal Danke für Eure Glückwünsche. Ich nehme sie gerne. Bin stolz auf diese Leistung. Mein Tacho zeigt an

Nürnberg - Santiago de Compostela, 2548 km

Ich freue mich sehr, diesen Weg gegangen zu sein, die Durchhänger überwunden zu haben und bin neugierig, wie sich die Erfahrung im Alltag auswirken wird.

Meine Gefühle bei der Ankunft? Bin mit Eufrasio eingelaufen, so dass die Konzentration auf das Ziel, auf das "Du bist da" eingeschränkt war. Die Euphorie hielt sich in Grenzen. Freude, natürlich. Ein Gefühl, das vergleichbar ist mit dem nach einer bestandenen Prüfung. Du hast es geschafft.
Als wir gegen Sechs ankommen, ist im Viertel um die Kathedrale die Hölle los, da hast Du recht Thea. Turismus pur. Führungen, Fotogeklicke, Sprachengewirr, Gedränge. Kein Platz für das Insichkehren, keine Stille. Die spüre ich erst Abends, als ich alleine durch die kühlen Gassen schleiche. Fühle mich einsam, traurig, leer. Jung und Alt um mich herum, gut gelaunt, "la marcha", ausgehen, Spass haben - ich mitten drin und doch unendlich weit entfernt. Esse schnell und ziehe mich ins Hostal zurück. Das war gestern.

Heute bleibe ich in Santiago. Umzug, Schreiben, Pilgermesse, Mittagessen, Schreiben, Mitternachtsessen.
Zuallererst beziehe ich heute Morgen ein anderes Etablissiment, ein Hostal, das keine 300 Meter vom gestrigen entfernt ist. In 5 Minuten ist die Sache erledigt. Prima. Jetzt habe ich wieder ein passables Zimmer mit eigenem Bad.
Anschliessend bin ich ziemlich geschäftig in der Stadt unterwegs. Suche, frage mich durch, finde. Z.B. 25 identische Postkarten. Menschen, die mir auf dem Jakobsweg begegnet sind und mich aus welchem Grund auch immer besonders berührt haben, werden einen Gruss aus Santiago bekommen.


Die Pilgermesse.
Erstmal Wiedersehen mit Weggefährten. Eufrasio und Alberto sind da, Paco und Juan sind da, Corina ist da, und viele bekannte Gesichter. Sehen und gesehen werden ...


Die Pilgermesse wird im wahrsten Sinne des Wortes zelebriert, pompös gefeiert. Eine Show, bei der nicht geklatscht wird. Jeden Tag. Jeden Tag ein volles Haus, mehrere Priester im Ornat, leuchtendes Orangerot. Eine Nonne singt mit glasklarer, wunderbarer Stimme. Ich bekomme Gänsehaut. Alles glänzt. Der Hochalter golden. Die Pilgerstatistik wird verlesen, u.a. werden 5 Deutsche, die in Deutschland gestartet sind, aufgelistet. Da bin ich wohl dabei.
Wir, die wir heute feiern und gefeiert werden, haben Glück. Zum Abschluss der Messe kommt der prächtige, an dicken Seilen im Kreuzungspunkt von Haupt- und Seitenschiff hängende, silbern glänzende Weihrauchkessel, der Botafumeiro, zum Einsatz. Etwa 8 Helfer, deren dunkle, bordeuxfarbene Gewänder sich deutlich von dem Orangerot der Priester absetzen, versetzen das Weihrauchgefäss in Schwingung. An einem langen Seil pendelt der Kessel nun durchs Seitenschiff. Eine Show, die begeistert. Viele Besucher hält es nicht mehr auf "den Rängen". Sie strömen nach vorne, um das Spektakel hautnah zu erleben, zu fotografieren, zu filmen. Weihraucharoma macht sich breit. Angenehm, doch Vorsicht, habe gehört, dass es manchen schon in Ohnmacht versetzt haben soll ;-)
Am faszinierendsten finde ich den Schluss, als die Herren in Bordeaux den Botafumeiro auspendeln lassen und stoppen. Das macht einer von ihnen. Beherzt packt er das auspendelnde Gefäss an den "Ohren", dreht nahezu im selben Moment sich mit dem Botafumeiro einmal um die fiktive, durchs Seil vorgegebene Längsachse und Schluss ist.

Ja, die Katholiken verstehen es schon Emotionen zu wecken. Imposante Kathedralen, Orgelklang, Gesang, Worte. Allein, so viel kann ich jetzt schon resümieren, einen Weg zu Jesus Christus habe ich auf der Pilgerschaft nicht gefunden. Ich bin fasziniert von den Kirchen, diesem Menschenwerk und von manchem Kunstwerk, das darin verborgen ist. Vor dem Kreuz auf die Knie sinken will ich nicht. Die Beichtstühle der Kathedrale an den beiden Rändern des Hauptschiffs, alle besetzt, viele besucht, wirken auf mich eher befremdlich. Ablass, Sündenerlass, nein, darum ging es auf meiner Wanderschaft nicht. Ich bin für mich selbst verantwortlich. Und wenn ich Mist gebaut habe, bueno, dann ist das so. Vielleicht, wenn ich Glück habe, reicht ein "Es tut mir Leid", vielleicht nicht. Das muss ich hinnehmen. Die Last, so denke ich, kann mir keiner abnehmen (höchstens der symbolische Stein, der jetzt am "Cruz de Ferro" liegt ;-)).

Nichtsdestotrotz klettere auch ich hoch zu Meister Jakob, der hinter dem Altar sitzt, und lege ihm meine Hand auf die Brust. Ein Ritual. Das Gebet in der Kirche, der Gottesdienst, für viele Menschen eben genau das: ein Ritual. Gelernt, verinnerlicht, nicht mehr hinterfragt - ist ja auch in Ordnung.

Spirituelle Erleuchtung? Na ja, so weit würde ich nicht gehen. Allein, es kann schon sein, dass da jemand ist und über mich wacht. Einige Erfahrungen gingen jedenfalls in diese Richtung. Ich vertraue darauf. Unterwegs ist mir klar geworden, dass ich das eigentlich schon immer tat. "Wird schon schief gehen". Vertrauen in mein Schicksal? in mich selbst? Gottvertrauen? Ich halte es mit Katu: wir müssen uns nicht alles erklären.

Mittagessen mit Onkel und Neffe, mit Eufrasio und Alberto. Die beiden waren zusammen in Ponferrada gestartet. Leider musste Alberto wegen eines Fussproblems aufgeben. Der 25-jährige junge Mann muss sehr betrübt gewesen sein. Ist mit dem Bus nach Santiago voraus gereist, während sein Onkel die Pilgerreise fortsetzte. Dies übrigens auch der Grund, weshalb Eufrasio gestern so schnell war. Er wollte seinen Neffen nicht über Gebühr warten lassen.
Wir essen ein Menü in einer Art Studentenrestaurant. Danach verabschieden wir uns herzlich. Adios compañero y suerte!

Schreiben, Karten, Web. Um 11 Uhr nachts verlasse ich das Cyber-Cafe mit einem Riesenloch im Bauch. Mitternachtsmenü beim Asiaten: Thaifood und Bier in Santiago de Compostela. Das passt, gelle? Als ich mich nach Mitternacht auf den Weg zum Hostal mache, geht in den Gassen der Punk ab. Studenten und Normalos auf der Piste, auf Kneipentour. Schon irre, was in den spanischen Städten nachts so los ist. Das führt einem vor Augen. Der Spanier lebt und arbeitet, um sich zu vergnügen. Hay que divertirse, ¿vale?

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,
welchen Feier- oder Namenstag haben sie denn gefeiert, das Weihrauchfaß wird ja nur zu besonderen Anlässen geschwenkt!
Hinter vorhaltenener Hand sagt man ja auch, das riesige Weihrauchfaß wurde im Mittelalter eingesetzt, weil der gemeine Pilger so gestunken hat.. Du hast aber hoffentlich vorher geduscht? :-)

Danke für die Fotos!! Klasse, dass Du wieder welche reingestellt hast!

Liebe Grüße
Thea

PS: Bei uns ist es mittlerweile sehr kalt geworden, wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich auf den Bergen Schnee liegen, hat sehr weit runtergeschneit.