Freitag, 3. Oktober 2008

Chicas Checas, Von Airexe nach Arzúa (Mi 1.10)

Morgenkaffee im Hostal. Komme mit Anna aus Friaul ins Gespräch. Anna ist um die 50, eine von den Typen, die es lieben anzupacken. Liebt Wandern, Landarbeit, ist erdverbunden. Gönnt sich drei selbstgedrehte Zigaretten am Tag. Lässt kein gutes Haar an ihren Landsleuten: coachpotatoes, unzuverlässig, mañana, mañana, wählen Berlusconi (dabei schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen). Und - natürlich - sie lobt die deutschen Tugenden. Die Deutschen machen alles richtig, die Italiener alles falsch. Na ja. Und siehe da, auch sie wird für ein halbes Jahr nach Australien gehen und auf dem Land arbeiten (hab' ich da was verpasst?). Sei's drum.
Kurz nach Acht breche ich auf, Anna bleibt noch etwas sitzen. Eine Stunde später Frühstück im Weiler Rosario. Im Flachbildschirm (Canal+) läuft eine Reportage über ein neues Spiel von Nintendo "Wii". Schlangen vor den Läden am ersten offiziellen Verkaufstag (hab ich da was verpasst?). So hat jeder seine Passion. Die einen warten um dann zu zocken, die anderen beten, wiederum andere pilgern ...


Auf Hohlwegen durch Pinien-, Eichen- und Eukalyptuswälder (ja, jetzt sind sie da). Kleine Heuschrecken (übrigens schon seit Wochen) hüpfen zur Seite, wenn der Pilger kommt. Parasol und Bovisten am Wegesrand.


Ein Abschnitt führt durch verwunschenen Märchenwald: über und über mit Moos und Efeu bewachsene Eichen. Sehr schön anzusehen und an heimatliche Wälder erinnernd. Überhaupt ist die galicische Hügellandschaft Galiciens sehr schön anzusehen, weil bewachsen und saftig, doch für mich nicht so berauschend, weil eben sehr an unsere Wälder erinnernd. Die Dörfer bilden natürlich eine Ausnahme. Totalmente otra cosa ...


In einem Dorf bietet mir eine Alte Äpfel und Trauben gegen eine Spende an. Ich greife zu. Wenig später die nächste Begegnung mit einer schon in sich zusammengeschrumpften, sehr alten Frau. Auf Krücken hat sie sich gerade durch die Wiese bis zur Grundstücksmauer vorgekämpft, als ich meines Weges daher komme. Eine echte kleine Hexe: grauer Umhang, graues Kopftuch und dort, wo normalerweise die Zähne sitzen, ein schwarzes Loch. Drückt mir eine prall gefüllte Mülltüte in die Hand (schwarzes Plastik). Ich verstehe keines ihrer Wörter (Galicisch ohne Zähne, das ist was für Fortgeschrittene), aber es ist klar, was sie will. Ein galicischer Dankessegen ergiesst sich über mich. 50 Meter weiter stopfe ich den schwarzen Plastikbeutel in die Tonne.
Das Wetter ändert sich. Wolken am Himmel, selten kommt die Sonne durch. Heute Morgen war es nicht mehr so kalt, tagsüber ist es nicht mehr so warm. Der grosse Temperaturgradient der letzten Tage hat einen klaren Dämpfer bekommen.
Pause in Furelos, in der Bar "Los dos Alemanes". Kaffee und hervorragender Sandkuchen (Zitronenkuchen). Muss noch ein zweites Stück essen. Ein Stück Heimat. Die Italienerin Anna sitzt bereits da. Muss mich beim zweiten Kaffee überholt haben. Hat offensichtlich einen flotten Schritt drauf die Dame aus Friaul.
Kaum gegessen bin auch schon wieder unterwegs. Verlasse die Bar "Dos Alemanes" und treffe sogleich auf dos Alemanes. Jochen (aus Saarbrücken) und Helmut (aus Hamburg). Seit 30 Jahren Wanderfreunde. Wir bleiben bis Melide zusammen. Sind zwar etwas langsamer als ich, aber es ist ja auch nett, sich mal mit Landsleuten zu unterhalten. Ausserdem hat Jochen eine D700 umhängen, jemand, mit dem ich mich übers digitale Spiegelreflexen austauschen kann. Die beiden müssen in Melide Schicht machen (deren Programm von Ponferrade nach Santiago ist komplett durchorganisiert inklusive Gepäcktransport und Zimmer). Zum Abschied kehren wir also in Melide in der vermutlich meist besuchtesten Pulperia (den galicischen Wirtshäusern) ein. Bier und Caldo Gallego (Galicische Gemüsesuppe mit Kohl, Kartoffeln und Bohnen). Lecker. Nach Pulpo steht mir der Sinn wegen der Mallaise in León leider noch immer nicht. Sonst mag ich den nämlich schon. Ich verabschiede mich von den beiden compañeros alemanes und setze meinen Weg nach Arzúa fort. Landschaftlich ähnlich wie am Vormittag, die Eukalyptuswälder nehmen zu. Faszinierend die Stämme dieser Bäume. Ein nimmerendendes Sich-häuten in Silber, Grau, Braun und Grün. Vor den Zäunen in den Dörfern bisweilen jetzt noch blau oder weiss blühende Hortensien.


In Arzúa steige ich in einer privaten Albergue ab. Aber auch nur, weil die etwa 60 Betten von lediglich 3 Pilgern belegt sind. So habe ich ein 12-Bett-Zimmer für mich allein. Das ist ok. Die Bäder sind sehr schön und gepflegt. Und - das "Via Lactea" verpasst mir einen der schönsten Stempel in mein Pilgerbuch: einen Jakobspiler in voller Fahrt und in Rot.
Abendessen in der "Bar Huella". Pilgermenü. Na ja. Immerhin gibt es auch hier Spagetti als Vorspeise. Decken und Wände der Bar sind mit bunten, kommentierten Handabdrücken von Pilgern bedeckt. Nett. Ich greife mal einen heraus, weil er von zwei Mädels aus meiner früheren Heimat stammt "Chicas Checas - Helena z prahy a Evka z kladna". Ja, ja, die Chicas Chekas!

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