Freitag, 3. Oktober 2008

Tripelpass, Von Villafranca nach Alto do Poio (So 28.9)

Fühstück mit Bariton und Salsero. Welch ein Glück! Links neben mir sitzt Greg aus Sydney. Ein äusserst sympathischer Mitdreissiger, der gut Deutsch spricht, weil er früher Wagner interpretierte. Sein Fabel gilt aber Mozart. Als ich von meinem "Cherubino"-Erlebnis berichte, stimmt er sofort in die Arie aus dem Figaro ein. Wieder so eine Verbindung. Greg hat einen Freund aus der Ecke von Schweinfurt. Schon lustig. Sitze neben einem Bariton aus Sydney, der Deutsch spricht und Gerolzhofen kennt. Die Welt ist klein. Seit einem halben Jahr ist er nun auf "Europatournee", freut sich jetzt auf den australischen Sommer (kann ich verstehen).
Mir gegenüber sitzt Martin, den ich schon gestern Abend kennengelernt habe. Martin war vor 7 Jahren den Camino mit Hund Suse gegangen. Seine damaligen Erlebnisse hat er in dem kleinen Büchlein "Dos Pelegrinos" festgehalten, das übrigens über Amazon bezogen werden kann. Die 17-jährige (!) Suse musste heuer im Mai wegen eines Krebsleidens eingeschläfert werden. Der heurige Camino, für ihn ein Weg des Abschieds. Am "Cruz de Cerro" habe er einen 1-kg-Brocken und wie er selbst sagt, die Trauer abgelegt. Martin ist ein sympathischer, sozial sehr engagierter Mensch. Im Beruf bringt er u.a. Müttern bei, wie sie dem Essen umgehen, wie sie z.B. Brotscheiben rationieren, so dass es für alle, insbesondere auch für die Kinder, reicht. Ist doch irre! Hut ab! Wie es der Zufall so will, tanzt er gerne Salsa. Sofort sind wir dabei, uns über Interpreten auszutauschen (allein, allzu viele fallen mir gar nicht ein). Ich sag's Euch, in 80 Tagen vergisst man so einiges ...


Martin

Genug gefrühstückt, auf geht's. Ich entscheide mich für den härteren Weg nach Trabadelo (den "camino duro"). Über die bequemere Strecke an Bundesstrasse und Autobahn entlang hat sich schon Hape in seinem Buch ausgelassen. Auch der Wanderführer empfiehlt den "duro". Die meisten Pilger aus Deutschland dürften diese Variante wählen. Es lohnt sich: schöner Blick hinunter und zurück auf Villafranca, in die Bergwelt des Bierzo und auf den vierspurigen Teer.



Ich hole Angelika und Ralf aus Kiel ein und werde von Ralf sogleich mit einem Stück Käse begrüsst. Sehr nett. Später gesellt sich die Wiesbadenerin Grit hinzu (ursprünglich kommt sie aus - na - Nürnberg!). Grit erzählt, dass sie ein Buch über ihre Erfahrungen auf dem Camino schreiben wird. Sie leide an Diabetis, habe Bypässe und sei trotzdem aktiv, nicht nur auf dem Jakobsweg. Ihre Bücher fänden zahlreiche Leser. Kann ich mir gut vorstellen (grit-ott.com).


Ich verlasse diese unangemeldete Demo auf dem "camino duro" und setze meinen Weg fort. Später geht es durch einen wunderschönen Kastanienhain und dann steil hinab in das wirklich unglücklich zwischen Bundeststrasse, Autobahn und Bergwelt eingeklemmte Dorf Tarbadelo.



Zu allem Überfluss findet heute auf der Serpentinenstrecke, die von dem Ort hoch in die Berge führt, eine Autorally statt. Ja, so eine richtige Rally! Aufgemotzte Polos, Peugeots, Opel, etc. mit Überrollbügel, röhrenden Motoren, Fahrer, Beifahrer mit Helm, lärmen durchs Dorf, während Martin (ihn habe ich Tarbadelo eingeholt) und ich auf dem idyllischen Bänkchen vor dem (heute, am Sonntag, geöffneten) Sparladen sitzen und vespern. Skuril.



Martin bricht vor mir auf. Eine zeitlang geht's jetzt nicht sehr einladend an Strasse bzw. Autobahn entlang weiter, bis es ab dem Ort Vega de Valcarce, in dem sonntäglich quirliges Treiben herrscht, endlich in die Bergwelt abgeht. Weiter nach Ruitilán. Das arme Dorf: gleich zwei(!) gigantische Betonbrücken a la Brenner hängen bedrohlich über dessen Dächern.



Ansonsten ist das Kaff recht verschlafen. In der Bar treffe ich Martin und Anna, die beide in der buddhistisch geführten Herberge absteigen. Martin, weil er schon vor 7 Jahren dort abgestiegen ist und gute Erfahrungen gemacht hat, Anna, weil sie muss. Ihr linkes Schienbein ist deutlich angeschwollen. Oje, sie hätte wohl besser etwas langsamer getan. Es soll einfach nicht sein. "Muss ich jetzt sterben?" fragt sie mich, und setzt dabei eine Miene auf, die alles über ihren Gemütszustand aussagt. Bleibt die Frage, ob sie nur später oder gar nicht ankommen soll. Nur Anna kann das wissen ...


In der Kneipe läuft die Glotze - natürlich. Und was wird gezeigt? Formel 1 in Singapur. Das Rennen gewinnt, wie ich am Abend erfahre, der Spanier Alonso. Tag des Motorsports, oder?
Martin schiebt sein Notizbuch zu mir herüber und bittet mich, meine Gedanken niederzuschreiben (zu Salss, zum Weg, whatever). Ich mache das natürlich gerne. Nach zwei Rosados und einem Kaffee sowieso. Ich verabschiede mich von den beiden. Will heute noch nach Galicien.
Die Gegend erinnert ans Voralpenland: saftige Wiesen, glückliche Kühe, Wälder, Berge.




Nun geht es überwiegend durch Laubwälder über La Faba und Laguna de Castilla hinauf zum Pass bei O Cebreiro (auch Oh! Krepiero! genannt). Steinig, schattig, steil. In Laguna lege ich in einer Bar eine weitere Pause ein. Coke und Bocadillo. Bin nassgeschwitzt. Sitze draussen unter einem Sonnenschirm, aus den Lautsprechern erklingt die Geita, galicische Volksmusik. Strahlt Lebensfreude, Lustigkeit, Lebendigkeit aus. Rhythmisch erinnert sie mich an die Polka. Dudelsack, Drehleier, Chorgesang. Sehr schön. Galiciens Vorboten. 2 km später passiere ich endlich den Grenzstein nach Galicien.


Das Dorf am Pass, eben jenes O Cebreiro, ist sehr touristisch (Reisebusse, viele Unterkünfte, etc.). Kurzer Blick in die Kirche, Stempel in den Pilgerpass (Sello) und weiter geht´s.





Will im nächsten Ort Hospital de Condesa absteigen. Is nich! Completo. Sowohl Hostal, als auch Albergue. Mist! Es ist schon Viertel nach Acht, 38 km und gut 1000 Höhenmeter sind für heute genug. Bald wird´s dunkel. Stehe mit Rucksack auf dem Rücken am Tresen des O Tear (hier wollte ich eigentlich ein Zimmer beziehen) und warte das eine Lösung über mich kommt. Doch sie kommt nicht. Weder Wirtin noch biertrinkende Gäste am Tresen haben eine Idee. Doch, eine haben sie. Weiter zum Alto do Poio, dem dritten und höchsten Pass des heutigen Tages (1337 m). Nochmals knapp 3 km, überwiegend ansteigend. Was bleibt mir anderes übrig?
Gut 30 Minuten später steige ich in der Bar "Puerto de Poio" ab. Bekomme oben gerade noch den Sonnenuntergang mit. Sehr schön.



Freundlicher Empfang in der Bar, gutes Essen, aber total schäbiges Albergue. Schimmel an der Baddecke. Habe nachts kleine Tierchen im Schlafsack zu Gast. Bin am nächsten Morgen am Hals und am linken Fuss total zusammengebissen.


Wieso tun wir uns das eigentlich an? Alle, die heute Nacht hier schlafen (einige Deutsche darunter) haben es weiss Gott nicht nötig, jeden Groschen zweimal umzudrehen und dennoch. Bueno, eso es el Camino. Nö, ich tue mir das nicht mehr an. Wollte es eigentlich auch heute nicht, aber ich hatte ja keine andere Wahl.
Beim Essen plaudere ich mit einem Spanier, Mitte bis Ende 30, sportlicher Typ. Er absolviert den Camino zum sechsten(!) mal, und diesmal richtig, wie er sagt. Roncesvalles - Finisterre in 18 Tagen. Bravo! Den werde ich nicht mehr sehen.
Mein Bett liegt direkt neben dem Fenster des Schlafraums. Liege auf dem Rücken und schaue zu den Sternen hinauf. Schön. Allzulange kann ich meine Augen nicht offen halten. Buenas!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

hallo Peter, habe deine netten Worte ueber unsere Begegnung gelesen, bin heute von Finisterra zurueck, ein bischen spaeter immer an den selben Orten, wie du

morgen geht es nach hause

buen camino weiterhin

martin

Grit hat gesagt…

Lieber Peter, ganz zufällig bin ich neulich über Umwege auf Deinen fesselnden Bericht gestoßen, und weißt Du was? Gerade heute sitze ich bei meinem Buch-Manuskript genau an der Stelle, wo ich in Pradela mitten in dieses von Dir beschriebene Auto-Rennen hineingeraden bin! (schauder...)
Ich hab's aber wie Du siehst alles unbeschadet überstanden und freue mich, daß auch Du nach dieser langen Strecke wieder wohlbehalten in "good old Germany" angekommen bist!

Melde Dich doch mal, wenn Du Lust hast (auch wenn unserer kurze Begegnung auch schon wieder so lange her ist...) - meine Webadresse hast Du ja.

Mit herzlichen Grüßen

Grit aus Wiesbaden