Regentropfen, die auf das Dach meiner Komfortschutzhütte klopfen, wecken mich am Sonntagmorgen. Oje. Abwarten bis der Regen nachlässt, denke ich mir. Eine zeitlang können in der Wiese würmerzupfende Eichelhäher mir die Zeit vertreiben, ebenso das Katz- und Mausspiel zweier Eichhörnchen. Und schließlich ist ja auch ein spannendes Buch im Gepäck. Doch um halb zehn ist's vorbei mit Lesen, mit meiner Geduld. Dauerregen hin oder her, ich muss weiter.
An dieser Stelle sei ein Loblied auf die moderne Trekkingausrüstung gesungen. Trotz des Dauerregens bleiben dank GoreTex Füße und Körper trocken. Meine Hose wird zwar nass, doch trocknet der immer wieder aufböende Wind das Textil, sobald der Regen etwas nachlässt. Irre, wie schnell das geht. Dieses Spiel wiederholt sich heute vormittag mehrmals. Hose nass, Hose trocken ...
Der Weg nach Oettingen führt durch bewaldete Abschnitte, so dass ich dem Regen nicht immer völlig schutzlos ausgeliefert bin. Allerdings um den Preis, dass der Landregen im Wald viel dramatischer klingt, als auf dem freien Feld. Im Wald habe ich immer das Gefühl, der Regen nehme zu. Über einen weichen Teppich aus Tannen- und Kiefernnadeln schreitend, macht das Wandern trotz der Feuchte von oben Spaß. Mittlerweile bin ich zum Waldschrat mutiert. Drei meinen Weg kreuzende Rehe lassen sich in keinster Weise aus der Ruhe bringen. Im Gegenteil, sie scheinen sich fürs Foto auch noch neckisch aufzustellen. Wird wohl am Regen liegen, der das Wittern von Gefahr stark beeinträchtigt. Das Programm "Gefahr SEHEN, also flüchten" scheint bei Bambi nicht implementiert zu sein. Lustig.
In Oettingen ist's dann vorbei mit Franken, vorbei mit Hügeln und Wäldern. Ich bin am Nordostrand des Nördlinger Ries angelangt. Es ist Mittag und so stärke ich mich im "Goldenen Ochsen" mit Fisch und Käsekuchen (natürlich nacheinander). Das Loch in meinem Bauch ist so groß wie der Krater, in den ich soeben eingetaucht bin. Das Frühstück heute morgen war ja ausgefallen.
Das Völkerkundemuseum im Residenzschloss zu Oettingen zeigt zur Zeit eine Ausstellung mit dem Titel "Die Frau". Der Alltag indigener Frauen wird beleuchtet. Für die Ausstellung bleibt mir nicht die Zeit. Ich studiere das Faltblatt, worin es u.a. heisst "Die Frau ist zunächst, und die Liste kann nur unvollständig sein, Lebensgefährtin, Geliebte, Sammlerin, Jägerin, Fischerin, Köchin, Erzieherin, Töpferin, Künstlerin und Heilerin." und weiter "[in indigenen Kulturen] wird nicht vom starken oder vom schwachen Geschlecht, sondern von gegenseitiger Unterstützung und Ergänzung gesprochen." Interessant.
Gestärkt verlasse ich Oettingen und beginne meine erste Riesdurchquerung. Mittlerweile hat es aufgehört zu regnen. Nochmal zurück zum Thema "Träumen", von dem an dieser Stelle ja schon mal die Rede war. Die Pilgerschaft lehrt, dass wir es tagsüber mit dem Träumen nicht übertreiben sollten, sonst führt der Weg uns irgendwohin, aber nicht dorthin, wohin wir eigentlich wollen. Wenn das nicht mal auch für das Leben gilt! Einmal vor sich hin sinnierend eine Jakobsmuschel verpasst und schon hat man den falschen Kurs eingeschlagen. Das hat mir mittlerweile einige Zusatzkilometer eingebracht. So auch heute im Nördlinger Ries. Das weiter oben empfohlene "Wanderkarten zuhause lassen" würde ich jetzt doch relativieren. Man braucht sie nicht oft, doch einige Male hat sich der Blick in die Karte als rettend erwiesen. Ich denke, es ist schwierig und eigentlich auch nicht Ziel der Pilgerschaft, sich das Unterwegs-Träumen abzugewöhnen, oder?
Das Ries ist wie Ostfriesland. Flach.
In der Ferne grüßt der bewaldete Kraterrand. Den Kraterboden, das Ries, schmücken Kornfelder, Wiesen, von Weiden und Hecken gesäumte Bachläufe. Heute hängen die Wolken tief über dem Ries, was zumindest den Vorteil hat, dass mir die gnadenlose Hitze im schattenlosen Ries, die laut Wanderführer an Sommertagen herrschen kann, erspart bleibt.
Hier im nördlichen Teil des Rieses führt der Weg oft durch meterhohes Gras. Mühsam, aber Schuhe und Hosenbeine reinigend. Die Ortschaften im Donau-Ries kommen mir weniger bunt vor, als die fränkischen Dörfer. Mehr Pflastersteine, weniger Blumen.
Nach knapp 40 km quartiere ich mich kurz vor Sonnenuntergang im Gasthaus "Zum Storchen" in Baldingen ein (ein Ortsteil von Nördlingen).
Beim Abendessen im "Storchen" bekomme ich vom Gesangsvereinstisch einige Stammtischsottisen mit. Windkraftanlagen werden nur bei Strombedarf zugeschaltet, wird da beispielsweise verbreitet. Oje. Nett hingegen, dass sich der Bürgermeister Nördlingens (und MdL) an meinen Tisch gesellt und sich nach dem Pilgeralltag erkundigt.
PS Kommenden Samstag wird in Nördlingen das "Gerd Müller Stadion" eingeweiht. Der einstige "Bomber der Nation" stammt aus Nördlingen. Also: Pilgern bildet ;-)
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4 Kommentare:
Hallo Peter,
na, Du hast ja doch Deine Kamera mitgenommen! Klasse! Vielleicht zeigst Du ja mal Deine Fotos nach dem Wiederheimkommen!
Ansonsten schreibst Du ja viel vom Essen, den Begegnungen, der Landschaft... was machen denn Deine Füße, Deine Schultern, Dein Rücken? Offenbar hast Du auch noch keine anderen Pilger gesichtet, gehts Dir gut alleine? naja, die Mitpilger triffst Du dann sicher in Frankreich ab LePuy und dann natürlich zuhauf ab Saint-Jean-Pied-de-Port... Bin gespannt, wann Du die ersten triffst und wie es dann sein wird für Dich.
Pilgern und träumen passt gut zusammen, finde ich, - trotzdem erfordert pilgern schon auch eine gewisse besondere Konzentration, z.B. um sich nicht zu verlaufen (aber nicht nur). Aber zu uns hat eine Hospitalera mal gesagt "auf dem camino geht keiner verloren" - war für uns tröstlich zu hören (obs aber zu 100% stimmt? Keine Ahnung).
Und was bedeutet "pilgern"? Was bedeutet es für Dich? Ist ja , denke ich, was anderes wie "wandern", wie "gehen", wie "laufen"... was bedeutet Pilgerschaft für Dich?
Bin mal neugierig, ob Du es noch erklärst.
Und was machen die Stempel? :-)
Wünsche Dir weiterhin ganz viel Freude!
Buen camino!
Thea
Hi Pedro!
Ja, viel will ich dir eigentlich gar nicht sagen! Nur, dass ich deine Berichte toll finde - richtig spannend und sehr schön zu lesen. Ich habe bislang jeden Tag mal hier in deinem blog vorbei geschaut.
Als es am WE so viel geregnet hat, hab ich auch desöfteren an dich gedacht. Gut, dass du noch besser ausgerüstet bist.. :-)
Mach es gut, weiterhin. Gute Reise!
Herzlichen Gruß
Uwe
Hallo Peter,
erstmal liebe Gruesse aus der San Francisco Bay Area!
Dein "Ultramarathon" beeindruckt mich schon schwer und im Gegensatz zu mir, hast du es wirklich geschafft, "an den Start" zu gehen. Die Entscheidung, es zu machen und den Camino in Angriff zu nehmen, ist schon die halbe Miete!
Bin schon gespannt auf deine Erfahrungen in Frankreich, ganz so wie Thea es sagt.
Deine Freunde in USA beobachten dich -
alles Gute
Norbert
Hallo Thea, Uwe, Norbert,
schön Euch hier anzutreffen. Ich freue mich sehr über Eure Kommentare.
@Norbert
Was meinst Du mit "nicht an den Start" gehen. Du läufst doch heuer, oder?
Hab' soeben gepostet, daher hier nur kurz. Du hast vollkommen Recht Thea, dass man konzentriert sein muss, sonst schaut's schlecht aus. Einmal täglich schieße ich an der Muschel vorbei, doch mittlerweile kommt die Ahnung sehr schnell, dass etwas faul ist.
Was das Pilgern für mich bedeutet, was es macht, das will ich noch sehen. Werde berichten.
Viele Grüße (Grüßle heisst es wohl hier in Ulm, alles mit "le" hinten dran. So wie gestern das Jakobsbänkle)
Peter
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