Regen prasselt auf's Scheunendach, Mücken nerven, der Bauer ist schon um fünf am Kruschen. Heute brauche ich keinen Wecker um aufzuwachen. Im Schlafsack sinnieren ist auch nicht drin. Die Mücken fressen mich. Meine Füsse sind total zerstochen. Von wegen Blasen, Mückenbisse sind das Problem!
Frühstück in der kleinen Bauernküche der Familie. Während des Frühstücks unterhalte ich mich angeregt mit Walters Frau Marie-Theres. Sie interessiert sich für die Motive meiner Pilgerschaft. Ja, warum mach ich das eigentlich? Auszeit, raus aus dem Alltag, Neugier, wie sich das anfühlt, welche Perspektiven aufscheinen. Menschen treffen, sich mit ihnen austauschen. Menschen, die am gleichen Punkt in ihrem Leben angekommen sind. Mein privates, mein berufliches Ich aus der Distanz betrachten und gegebenenfalls neu bewerten. Sportlicher Ehrgeiz natürlich auch. Als unreligiöser Mensch der ich mich fühle womöglich doch Spiritualität in mir zu entdecken. Last but not least, meine Heimat, insbesondere meine europäische Heimat (ich fühle mich als Europäer) intensiv und langsam neu kennenlernen.
Etwas später gesellen sich Charles und Gitte aus Holland, wie die Wasers um die Mitte 50, an den Frühstückstisch. Sie sind seit über 30 Jahren mit Marie-Theres und Walter befreundet. Charles, ebenfalls ein Wanderfreund, betreibt die Webseiten www.wandelpaden.com. Er und Gitte werden heute mit dem Glacierexpress St. Moritz besuchen. Als ich von dem tauben Gefühl in meiner linken Ferse erzähle, macht er sich richtig Sorgen. Ein guter Freund hätte etwas ähnliches gehabt und monatelang daran laboriert. Es geht hin und her, Halbwissen wird ausgetauscht, bis Marie-Theres vorschlägt, ich sollte mal in der Apotheke nachfragen. Gute Idee. Herzlicher Abschied von der Runde.
Entwarnung in der Apotheke, zumindest sind der Apothekerin die Symptome nicht bekannt. Ich solle meine Füsse gut pflegen. Na sischer dat ...
Auf dem Jakobsweg ist die Hölle los. Nun gut, so schlimm ist's auch wieder nicht. Allein, die Pilger, sie kommen. Kurz nachdem ich Stans verlassen habe treffe ich den Münchner Bernhard. Fluppe in der Hand sitz er auf einer Bank und geniesst die Aussicht. Ist gleich ein Volltreffer. Bernhard wird auch bis nach Santiago durchgehen. Ich denke wir werden uns noch öfter treffen. Diesmal bleibt's bei einem "Hallo" und "Geile Aussicht".
Den überwiegenden Teil der heutigen Strecke laufe ich mit GG, Gabi und Gerlind aus Rostock. Ein Dreamteam die zwei, beide Grundschullehrerinnen an der selben Schule. Als sie mir zum dritten Mal begegnen (vorher traf ich sie am Bahnhof in Stans - Hallo - später ziehe ich an ihnen vorbei, als sie rasten - Hallo - und dann jetzt) bleibe ich stehen ich halte ein Pläuschen. Gabi leidet, Sonnenalergie. Gestern viel Sonne und heute wieder. So kommen wir ins Gespräch und so laufen wir zu dritt los. Zwei Gänge langsamer, als bei meiner Reisegeschwindigkeit, aber wir unterhalten uns einfach blendend. Interessanter Nebeneffekt, kaum bin ich nicht mehr allein höre ich auf, konzentriert nach den Wegweisern zu gucken. Au weh - glücklicherweise macht das Gerlind sehr gut. Gabis Leiden hindert sie nicht daran immer wieder ein Liedchen zu trällern. Ich bewundere ihre Textsicherheit. FDJ - das sitzt. In der Ehemaligen sozialisiert. Wir haben viel Spass. Bald schallt es "Lauf, Peter, Lauf". Gerlind könnte bei "Wetten, dass" mitmachen. Als Freundin der Berge öfter auf der A9 unterwegs, scheint sie jede Ausfahrt auf dieser Strecke im Kopf zu haben. Jedenfalls kann sie sich daran erinnern, dass es bei Nünrberg die Ausfahrt Lauf gibt und, dass da irgendwo die Oberpfalz liege, was sie nie verstanden habe, weil die Pfalz doch eigentlich wo ganz anders ... Na, dass können wir aufklären. So, dann erreichen wir das Pilgerparadies - das Pilgerstibli. Pilgereinkehr auf Basis von Selbstbedienung. Es wurde an alles gedacht. Heisses Wasser, Tee, Kaffee, Kaltgetränke, Schokoriegel, ja sogar Jakobsmuscheln kann man hier auf Vertrauensbasis kaufen. Natürlich machen wir hier Rast. Doch die Krone setzen dem Ganzen meine beiden Begleiterinnen auf. Ein gutes Dutzend Fertiggerichte kommen plötzlich aus deren Rucksäcken zum Vorschein, darunter - jetzt kommt's - Kartoffelpüree! Heisses Wasser druff und Peter bekommt seine Lieblingsbeilage, hier, mittem auf'm Jakobsweg, irgendwo zwischen Stans und Ranft. Ich kann's nicht fassen. Schmeckt natürlich super. Gabis knallrote Waden werden mit Schweizer Quark, doppelte Fettstufe, verarztet. Sieht richtig gut aus und verschafft ihr Linderung.
So schaukeln wir zu dritt nach Flüeli-Ranft, wo wir bei Familie Rohrer-Gasser zum "Schlafen im Stroh" unterkommen. Als wir ankommen, geht schon längst der Punk ab.
Die Scheune ist voll, Wanderer und Pilger. Bernhard ist auch da. Mit ihm gehe ich hoch in den Ort, wo wir uns ein anständiges Abendessen genehmigen. Für meine beiden Begleiterinnen ist das nix mer. Den etwa 20-Minütigen Aufstieg hoch in den Ort wollen sie sich heute nicht mehr antun. Und aus dem gemeinsamen Bier, das wir trinken wollten, wird auch nichts. Als Bernhard und ich zurückkehren, liegen die meisten schon in den Kojen, ähm im Stroh.
Berndard und ich essen im "Tschiferli" Alpenmakeroni (Nudeln, Kartoffeln mit Käse überbacken, dazu Apfelmus). Sehr lecker. Am Nachbartisch sitzen zwei Frauen, die darauf warten, dass ihre Männer von der Steinbockjagd zurückkehren. Bis dahin nehmen sie mit uns vorlieb. Eine von beiden, Bäckereibesitzerin aus Luzern, kennt weder Punkt noch Komma. Bernhard wäre schon ganz nach ihrem Geschmack, so unser Eindruck. Wenn er mal nach Luzern komme, dann solle er sich melden, usw.
Dass wir beide nach Spanien pilgern, können die beiden nicht so recht verstehen, glauben. So, es ist schon nach 23 Uhr. Peter muss ins Bett und zuvor mit dem Radl zurück zum Stroh. Oje, hoffentlich finde ich zurück. Ausserdem hat mich das bloggen jetzt bestimmt ein Vermögen gekostet. Was tut man nicht alles für die Daheimgebliebenen. Gut's nächtle. Werde versuchen morgen weiter zu schreiben und auch ein paar Bildchen zu ergänzen.
PS (for whom it may concern)
Juan Luis Guerra, Salsero, der bei uns kaum mehr gespielt wird, scheint hier en vogue zu sein. Zumindest sind seine Songs eben häufig gespielt worden.
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3 Kommentare:
Äh, schön, dass Du an uns Daheimgebliebenen noch denkst!! :-)
Eigentlich wollte ich noch zu Deinem letzten Eintrag zum Thema "Heimweh" was schreiben, weil's mir nicht aus dem Kopf geht, es so schwermütig klingt, und ich umgekehrt nicht Heimweh nach hier daheim habe, sondern Heimweh nach dem täglichen Gehen, nach dem Essen und dem cafe con leche, dem cerveza, vor allem aber nach Santiago und ich meine wunderbaren Pilgerfreunde sehr sehr vermisse - die Frage ist, wo ist man denn daheim? Was heißt "daheim"? Vielleicht ist "daheim" das, was man im Herzen trägt?
Aber Dein letzter Eintrag bringt mich jetzt zum Schmunzeln... offensichtlich nette Menschen um Dich rum, die sich auch auf den Weg gemacht haben... Klingt nicht mehr so schwermütig.
Wünsche Dir ganz tolle, wunderbare Pilgerfreunde, jetzt oder später.
Gute Nacht.
Thea
Und: der camino hat seine eigenen Gesetze..
Hallo Peter,
Du hast Dein Vermögen richtig angelegt! Es macht jedes Mal aufs Neue Spaß Deine Berichte zu lesen und dann mit GoogleEarth Deinen Pfaden zu folgen.
Ich wünsch Dir noch viele eindrucksvolle Tage.
Viele Grüsse
Albert
Hi Albert, schön zu wissen, dass Du mitliest.
Liebe Grüsse
Peter
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