Es wird grüner: Maisfelder, Futterrüben. Ich komme in das Dorf Villavente. Am Ortseingang öffnet sich ein Platz, an dem sage und schreibe 8 gelbe Pfeile dem Pilger den Weg weisen (die hatten Farbe übrig), am Ortsausgang ein Platz, an dem sage und schreibe 5 zum verwechseln ähnliche Köter ihre Nase in alles stecken und in der Ortsmitte die Bar. Ich kehre ein, trinke Coke und Kaffee, brauche etwas Sprit. Bin der einzige Gast und unterhalte mich mit dem Barmann. Gestern sei sein Lokal voller Pilger gewesen. Wir wollen es ihm mal glauben. Bald stellt sich heraus, dass ich es hier mit einem prachtvollen Exemplar von Phlegmatiker zu tun habe. Der Typ ist so zwischen 45 und 50 und hat sich nach eigenem Bekunden noch nicht viel weiter als 20 km aus seinem Dorf bewegt. Sein Radar endet im Westen in Astorga, dort, wo ich heute noch hinkommen werde. Cruz de Ferro, Sehenswürdigkeit um die Ecke, noch nie gesehen. Hunderte von Pilgern erlebt, aber, ob die Deutsch, Französisch oder Englisch sprechen, könne er nicht unterscheiden, usw. "Como no habla la lengua ...". Nicht viel Interesse hier. Irre. Für den Betrieb einer Bar in Villavente reicht es offensichtlich aus.
Seit ein paar Tagen mehren sich die Storchennester. Man sieht sie auf Glockentürmen, auf Laternenpfählen, auf sonstigen ausgesetzten Objekten. Die Nester sind leer, ihre Bewohner sind bereits im Winterurlaub.
Weiter geht´s nach Hospital de Órbigo. Dort versorge ich mich in einem Laden mit den Ingredenzien für die heute angesagte Coke-Keks-Schokolade-Kur.
Später führt der Weg bergan zu einer Anhöhe mit Kreuz (Santo Toribio), von der aus man einen schönen Blick hinunter auf Astorga hat.
Unterwegs Bauern bei der Kartoffelernte und dies: gedankenverloren klettere ich die kleine Steigung hoch, als mir plötzlich ein Schwall Aroma in die Nase schwappt. Ich bleibe sofort stehen, gehe ein paar Schritte zurück. Ah, da ist ja das "Kraut". Längliche, satt grüne, klebrige Blätter, hüfthoher Strauch. Hm. Ich kenne den Duft, kann ihn aber nicht benennen. Breche einen Ast ab. Irgendwer wird mir den Namen schon sagen können. 1 Minute später (wirklich!) kommt mir ein kleines, altes Männlein entgegen, jenseits der 60, rotes Hemd, gelbes Cap. "Buenas dias Señor, una prguntita por favor - ¿conoce Usted este ...?" - "cistus ladaniferus" , antwortet der Senior postwendend. Ich bin platt. Der Typ ist vom Fach, wie er mir sogleich erklärt ("Soy biólogo"). Da hat mir der Himmel einen Biologen geschickt.
Ist das nicht irre? Auf Spanisch heisse der Strauch "Láudano". Erst dachte ich es handelt sich um Myrrhe, doch Dank Web ist jetzt klar, es ist Cistrose. Riecht jedenfalls sehr angenehm.
Am Kreuz Santo Toribio mache ich Rast (Coke und Kekse). Zwei lauthals singende Mädels ziehen vorbei. Später hole ich sie ein. Jess und Hanna aus Sydney (irgendwie scheint Australien nur aus Sydney zu bestehen) sind seit einem halben Jahr auf Europatournee und schliessen diese mit dem Camino ab. Sie haben einen iPod und teilen sich die Ohrknöpfe. Aha, das was sie singen wird also ins Ohr eingespeist. Ich verstehe. Ob sie denn Salsa im Repertoire hätten. Salsa what? Ok, lassen wir das. So kommen wir jedenfalls ins Gespräch und plaudern die restlichen 2-3 km nach Astorga. Lustig finde ich, wie wenig sie von Neuseeland und dessen Bewohnern halten. Die Kiwis, iiiih! Sprechen mit einem fürchterlichen Akzent, unmögliches Schaf-je-Einwohner-Verhältnis und ausserdem wäre jeder Kiwi allzugern Australier. Aha.
Sydney steigt in Astorga ab, ich ziehe weiter, zunächst bis zur Kathedrale und zum Bischofspalast.
Am Eingang zum Bischofspalast zupft ein "Gitano" seine Gitarre (ein bisschen was fürs Spanienklische - es wird touristischer, ich find´s trotzdem gut), im Vorgarten des Palasts wächst Salbei. Die frühen Teile des Palasts wurden von Gaudí gebaut. Neugotisch, Bögen und wieder bunte Fenster mit faszinierender Wirkung.
Auch hier das Spiel mit den Farben. Bald hell, leuchtend (weiss, gelb, orange) in einer Kapelle, bald düster (rot, ocker, braun) in einer anderen. Im Kapitel, dem prächtigsten Raum des Palasts, zeigen die Illustrationen in den Buntglasfenstern Adam und Eva im Paradies, so wie die Vertreibung aus dem selben. Ja, ja, ...
Bevor ich meinen Weg fortsetze, mache ich Pause im Cafe vor dem Bischofspalast. Komme mit Christine und Rainer aus Marl bei Bochum ins Gespräch. Die beiden sind heute angekommen, steigen Morgen in den Camino ein. Sind sozusagen Fortsetzer. Haben allerdings schon eine Art Camino Teil 1 hinter sich: 30 Stunden Busfahrt von zuhause nach Astorga. Alle Achtung! Wir kommen ins Gespräch, als ich Christine frage, ob sie meinen Láudano kenne. So begann der Mythos Myrrhe.
Ich setze meinen Weg fort und mache den kleinen Umweg über "Castrillo de los Polvozares", einer Art Rothenburg der Maragateria, so heisst der Landstrich, durch den es jetzt geht. Karg, steinig, hügelig. Vorbei ist´s mit der Meseta. Häuser und Mauern sind jetzt wieder aus Stein.
Da sind sie also wieder, die von mir so geliebten Steinmauern. Mit den französischen können sie allerdings nicht mithalten. Von den "Maragatos" sagt man, sie seien ein ganz spezieller Menschenschlag. Haben sich früher als Fuhrleute verdingt. Wir werden sehen.
In Santa Catalina de Somoza steige ich im Hostal "San Blas" ab. 10-Bett Zimmer, alle Betten belegt. Man kann halt nicht immer Glück haben. Esse Suppe und Brot. Meinem Magen scheint es besser zu gehen. Auch hier herrscht gute Stimmung in der Bar. Yayo aus Teneriffa spielt Charango und singt " ... si tu amor, vida mia, ..." Ein Song, den ich von Luis Morera (La Palma/Taburiente) kenne. Lustig, immer wieder finden sich Verbindungen. Faszinierend (yes Mr. Spock).