Mittwoch, 24. September 2008

Hape Kerki Bitt für uns! Von Burgos nach Tardajos (Fr 19.9)

Am Morgen aktiviert ein Franzose beim Versuch das Licht einzuschalten die Alarmanlage der Herberge. Bei dämmrigem Licht grapscht er solange an dem Kästchen rum, bis es Tüt mach. Tja ... Anfangs lustig, bald nervig. Ich mache mich auf die Socken. Es ist etwa halb Neun, der Himmel bedeckt, kühl. Kaum ein Mensch in den Gassen, nur ein paar verloren wirkende Pilger. Die Läden verriegelt. Welch ein Kontrast zur Lebendigkeit des gestrigen Abends. Ein bisschen frustrierend.
Frühstück in einer Bar, Menschen, warmer Kaffee, Croissant. Danach geht es mir besser. Bin bereit, die Kathedrale zu besichtigen. Erlebe ein beeindruckendes gotisches Gotteshaus, das mich als künstlerische, architektonische Meisterleistung fasziniert und ob der Ausdauer von Bauherren und Baumeistern, die notwendig war, um so ein Bauwerk zu errichten. In den späteren Bauphasen des 13.-15. Jhdts haben hier sehr bedeutende Meister gewirkt. Zweifelsohne ist so ein Bau eine kulturelle Errungenschaft der Menschheit.



Die Tatsache, dass ganze Landstriche für deren Entstehung bluten mussten, vergisst man, wenn man davor steht oder durchs Portal eintritt. - Innen recht unübersichtlich, verbaut. Die Musik spielt in den Kapellen, die um das Hauptschiff angeordnet sind. Übe mich im Führungs-Hopping, lausche bald dieser Gruppe, bald jener. In einer Kapelle grüsst Freund Jakob, der mir inzwischen sehr vertraut ist.


Wie ich heute erfahre, ist Santiago Schutzpatron der spanischsprechenden Welt. Das wird am 12.10 gefeiert, der 25.7 hingegen ist der Tag des Heiligen Jakobs (Namenstag). Und wenn dieser auf einen Sonntag fällt, dann liegt ein Heiliges Jahr vor (zuletzt 2004). Dann ist auf dem Camino die "Hölle" los. Prunkstück der Kathedrale ist die Kapelle der Condestables. Laut Führung war diese Kapelle ein Geschenk von Isabel la Catolica an ihren Gemahl Fernando, um ihn für die Reconquista zu motivieren. So recht glauben kann ich das nicht, denn in der Tumba liegen die Gebeine der Vizekönige begraben. Isabel und Ferdinands Gebeine hingegen sind in der Kathedrale von Granada bestattet. Bueno, wie dem auch sei, eines fällt beim Betrachten all der Grabesstätten jedenfalls auf: je höherrangig die Begrabenen, umso jünger ihr Antlitz auf der Grabplatte und umso langlebiger das Material. Der harte Marmor hier, der weichere Alabaster dort.


Im Informationsbereich wird u.a. eine 3-D-Animation zur Entstehungsgeschichte der Kirche gezeigt. Zu Beginn (10. Jhdt.) stand hier eine romanische Basilika. An deren Stelle wurde vom 11.-15. Jhdt. die gotische Kirche errichtet, wie sie im wesentlichen auch heute noch steht. Später (16.Jhdt.) kamen Erweiterungen an den Türmen hinzu, dann die Kapelle der Condestables. Barocke Erweiterungen (Portale, Kreuzgang) im 18. Jhdt. und Rokkoko schliesslich in der Sakristei. Jetzt hat Multimedia also auch in den Klerus Einzug gefunden. Mir gefällt's.




Zurück ins Weltliche. Nummernziehen im Schreibwarengeschäft, wo ich einen Notizblock kaufen will. Ein junges Pärchen erklärt mir, wie das System funktioniert. Später begegnen wir uns noch mal auf der Freitreppe zum Kathedraleneingang (Puerta "Samental"). Sie erkennen mich und fragen, ob sie ein Foto von mir schiessen sollen. Aber natürlich. Ein Erinnerungsfoto von José und Angelica gibt's obendrein.



Mittag, Pause in einer Arbeiter-Senioren-Bar. In der Glotze läuft Tennis. Skurile Typen. Gucken, schweigen, quatschen (...este cabrón...superman...maricón...). Keine Ahnung über wen oder was die reden. Hoffentlich nicht über mich ;-) Der Barkeeper (gut gebaut, langes schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, gut gelaunt) hat ständig zu tun. Nachschenken, Tapas nachlegen, etc. Ich esse ein Bocadillo, dazu zwei "Rosados" - ay que bién! Später Internet.
Um Fünf mache ich mich auf den Weg ins 11 km entfernte Tardajos. Mehr ist heute nicht drin. Tschüss Burgos.


So unansehnlich und langwierig der Eingang in die Stadt war, so kurzweilig ist der Ausstieg. Ein Park, einige Wohnhäuser und schon liegt die Stadt hinter mir. Die Strecke nach Tardajos ist nicht der Rede Wert. Flach, langweilig. Autobahnüberquerung, Eisenbahnunterführung. Hier entdecke ich das Graffiti: "Hape Kerki Bitt für uns!".


Ich steige in der einfachen Gemeindeherberge ab. Ausser mir im Vierbettzimmer die beiden Polen Antoni (36) und André (47). Nette Zeitgenossen mit denen ich mich auf Tschechisch-Polnisch-Spanisch unterhalte. Ganz schön holprig, aber es geht. Die beiden gehen auch so um die 4o km am Tag. Später bezieht der dunkelhäutige George aus Togo resp. Österreich das letzte freie Bett. George lebt seit 8 Jahren in Österreich, arbeitet für die Caritas, war früher Priester, wenn ich's recht verstehe. Heute jedenfalls ist er k.o. Hat 'ne lange Etappe hinter sich. "Ab jetzt lasse ich es langsamer angehen", redet er sich zu. "Ist ja schliesslich auch eine Art Urlaub", sagt er, der in Roncesvalles angefangen hat.
Duch die dunkle Nacht gehe ich hoch zur Plaza um einen Happen zu essen. Irre Stimmung. Stille, funzlige Strassenbeleuchtung, ein Hauch von Südamerika, Kuba in den Gassen.
Es gibt einen üppigen gemischten Salat mit Thunfisch (primero) und einen öltriefenden Fisch (segundo). Letzterer nicht so mein Fall. Im Comedor steht ein PC. Ich nutze die Chance. Dummerweise ist es nach Mitternacht, als ich mich losreissen kann. Wie befürchtet ist die Tür zur Herberge verschlossen. Schei...! Ich klingele den Hospitalero raus. Muss sage und schreibe 10 Minuten auf ihn einreden, bevor er mir die Tür zum Schlafsaal öffnet. Der Typ hätte mich glatt bei eisiger Kälte auf der Bank sitzen lassen. "Hombre, no puede ser, me muero por aqui."

4 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,

viele Grüße aus der Nachbarfschaft . Ich lese seit kurzer Zeit völlig begeistert, auch etwas neidisch und vor allem sehr fasziniert mit.
Für den weiteren Weg auch noch alles Gute.

Vielleicht ergibt sich ja irgendwann nach Deiner Rückkehr auch mal die Gelegenheit zu einem Plausch.

Servus, Alex

Anonym hat gesagt…

Hi Peter,
okay, noch schlappe 500 km. Peanuts quasi... :-)
Besten Gruß
Uwe

Anonym hat gesagt…

korrigiere mich mal auf 300km...hatte zunächst von Burgos aus gerechnet, aber du bist ja schon viel viel weiter... :-)
Uwe
PS: Kommt man ja gar net mit...:-)

Anonym hat gesagt…

¡nada más que problemas con los Hospitaleros!