Montag, 8. September 2008

Im Land der drei Musketiere, Von Lasserre-de-Haut nach Le Hage/Manciet (Do 4.9)

Es gibt Tage, da wünscht ich, ich wär mein Hund. Eigentlich geht es ja gut los. Ich habe gut geschlafen, werde um halb Acht wach geklingelt. Zuvor dringt im Halbschlaf ein Pfeifen, ein Maunzen in mein Bewusstsein. Habe ein kleines Kätzchen zu Besuch. Alle Sachen die da so rumliegen animieren das Kätzchen zum Spielen. Frech und zutraulich die Kleine. Das Kabel des Ladegeräts, die Brille, die Rucksackschnallen reizen. Als ich mir ansehen will, was der kleine Tiger am Rucksack so treibt, fällt es mir wie Schuppen von den Augen: das in den Hüftgurt des Rucksacks integrierte Täschchen, Heimat meines Lagiole-Taschenmessers, steht offen. Neeeeein! Ich hab' das Messer gestern Abend bei meiner Rast an der Kirche liegen lassen!
Raus aus dem Schlafsack, Katzenwäsche, schnell der Wirtin Bescheid gegeben, und los geht's. Jogging zur Kirche. Ich muss dort sein, bevor jemand anderer den Ort aufsucht. Wollte ich nicht schon lange mal wieder joggen? Da hast Du's! Das geht in den Trekkingsandalen erstaunlich gut. Nach etwa 15 Minuten sehe ich mich zum Torbogen hinauf laufen, dorthin, wo ich gestern Abend gesessen war, wo ich das gute Stück nach dem "Spülen" zum trocknen hingelegt hatte. Meine Augen stellen auf die Stufe scharf. Noch kann ich nichts erkennen. Doch - es liegt da! Ein Stein fällt mir vom Herzen. Bin ich froh. - Zurück zum Hof lasse ich mir Zeit. Frühstück, um halb Zehn geht's los. Spät, aber was soll's. Wäre das freche Kätzchen nicht gewesen, hätte ich mein Missgeschick wahrscheinlich erst viel später, zu spät, gemerkt. Merci chat!
Um 10 laufe ich in Montreal-du-Gers ein. Durch ein aufgeräumtes Gässchen geht es hinunter zum Marktplatz, ein bisschen wie beim Film, als hätte der Regisseur die Klappe fallen lassen: "Pilger kommt die Gasse hinunter die Dritte!" Zwei Nachbarinnen fangen das Schnattern an, Frau mit Baguette unterm Arm verlässt die Boulangerie, alter Mann pumpt den Fahrradreifen auf, ein Auto kommt die Gasse lang, ... Skuril. - Ich halte mich in dem Ort nicht lange auf. Kurzer Blick in die Kirche und weiter geht's. Auf halbem Weg nach Eauze Rast an einer Gite. Nettes, schattiges Plätzchen mit Bank und Tisch, Kaffee für 'nen Euro, Wasserhahn im Friedhof nebenan.
Marie-Francoise und Gerard aus Lothringen, beide mit 63 bereits Rentner, gesellen sich zu mir. Wir kommen schnell ins Gespräch, die beiden sprechen etwas Deutsch. Sie erzählen mir u.a., dass sich viele Briten in der Gascogne niederlassen. Reizvolle Landschaft, angenehmes Klima, gutes Essen und Sicherheit würde die Leute von der britischen Insel locken, nicht nur Rentner, sondern auch im Berufsleben stehende Menschen. Ich stelle mir vor, wie Broker, die in London dick Kohle verdienen, am Wochenende zwischen London und dem Südwesten Frankreichs hin und her jetten. Modern Times ...


Laut Gerard seien die Franzosen eher Pessimisten, wüssten das Schöne um sie herum nicht zu schätzen. Kommt mir irgendwie bekannt vor. Lustig noch folgendes. Bin ja jemand, der auch die eigenen Missgeschicke gern mal zum Besten gibt. So erzähle ich den beiden, wie ich mich vor etwa einer Stunde verlaufen habe. Bin mal wieder gedankenversunken einfach der Asphaltstrasse gefolgt, anstatt in die Weinberge abzuzweigen.


Wenn da nicht der junge Mann gewesen wäre, der im Sumpf an den Ufern des/der? Auzoue irgendein Gift versprühte, und mich auf mein Missgeschick aufmerksam gemacht hatte, wäre ich jetzt wahrscheinlich schon in Strullendorf ... Nein, lustig an der Geschichte ist, dass es den beiden genauso gegangen ist! Man muss sich nur outen, dann tun es die anderen (manchmal) auch. Geteiltes Leid, ist halbes Leid.
Einen alten Bahndamm entlang geht es in 7 km nach Eauze. Schön, weil schattig. Heute ist es wieder sehr heiss. Kaffeepause in Eauze. Auf dem Marktplatz von Eauze steht etwas verloren André, der Typ aus Lousanne, der mir schon in Moissac begegnete, den ich in Saint-Antoinne wieder traf (Restaurant, dormitoir). Wähnte ihn schon längst weiter. André ist ein kleiner, drahtiger Mitfünfziger, eine Mischung aus Louis de Funes und Charles de Gaulle. Ist ein Pilger von der Sorte "Hauptsache es macht Spass". Er hat in Eauze gut gegessen, gut getrunken (das rieche ich) und will noch 6 km weiter. Bei mir sind's noch ein paar mehr. Mas sehen wie oft sich unsere Wege noch kreuzen werden.
Als ich die restlichen 14 km anpacke hängen dicke schwarze Wolken am Himmel und es brist auf. Eine viertel Stunde später regnet es, zum Glück nur etwa 30 Minuten lang. Vorbei an Mais, Reben und Sonnenblumen geht's dahin.



Bin im Land der drei Musketiere, im Land des Gänsestopfens, in einer sehr fruchtbaren Region. Der Mais wird an Enten und Gänse verfüttert, die werden dann zu Entenbrust und Gänseleber (foie gras) verarbeitet, that's the way. - Gegen halb Acht komme ich am Reiterhof "Relais du Haget" an, natürlich wieder der letzte.


Zum Abendessen sitze ich in einer geselligen Runde mit 6 Franzosen (drei Pärchen, um die 50, aus der Nähe von Bordeaux), den Herbergseltern, deren zweieinhalbjährigem Sohn und einer ehrenamtlichen Helferin. Tomatensalat, Honigmelonen (die hier auch in Plantagen wachsen), Bratkartoffeln, Hähnchenschlegel (die lasse ich weg) und Pflaumenkuchen. Wir haben viel Spass. Im Nu bin ich in die Runde integriert, einige sprechen etwas Englisch. Es ist ein tolles Gefühl als Fremder in die Runde integriert zu werden, nach einer einsamen Wanderung den Abend in Gemeinschaft zu verbringen. Ehe ich mich versehe werden mir Teller hingeschoben, wird mein Weinglas gefüllt. Tolle Menschen, Leben pur. Zum Absacken gibt's eine Spezialität der Region, einen Armagnac, Jahrgang 1993. Hochprozentig, gut. Rückzug einerseits, Gemeinschaft leben andererseits, das liebe ich!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Du Musketier!
Lieber Peter,
ich wünsche Dir weiterhin viel Spaß und einen spannenden Weg bis an das Ziel! Wo immer das auch liegen wird, bei Deiner Wanderung....:-).
Hier in Nürnberg fängt es bereits an zu "herbsteln". Um 8 ist es abends bereits stockdunkel. Kann mich daran gerade nur schwer gewöhnen. Sonst ist hier alles o.k.
Lieben Gruß an Dich,
Uwe

Anonym hat gesagt…

Hallo Peter,
was machen Deine Schuhe - Du willst uns ja "am Laufenden" halten... Ich kann Deine Sorge wegen evtl. Blasen durch neue Schuhe gut verstehen (war ja selbst Blasenkönigin letztes Jahr) andererseits: wie sieht denn das Innenleben Deiner Schuhe mittlerweile aus? Wegen der Dämpfung? Bin gespannt auf weitere Berichte...
Buen camino
Thea