Was ich in den nächsten zwei Stunden erlebe ist schwer mit Worten zu greifen. Das bisher schönste Landschaftserlebnis meiner Pilgerreise. Wind und der gestrige Regen haben die Luft gereinigt. Jetzt erlebe ich Meseta pur!
Im Rücken die aufgehende bzw. tiefstehende Sonne, schiebe ich meinen anfangs zehn Meter langen Schatten vor mir her.
Leuchtender als Gold die Weizenfelder, das Steppengras am Wegesrand. Im Norden zeichnen sich schemenhaft die Picos de Europa ab. Es scheint, als entspringe der Gebirgszug in der Unendlichkeit im Osten und als verschwände er in der Unendlichkeit im Westen.
Ich gehe und erlebe wie in einem Film eine sich ständig ändernde Landschaft. Bin überwältigt, weine, schreie, singe und könnte vor Freude und Glück auf die Knie fallen.
Die Meseta ist hier so weit und so flach, dass die Einflüsse der Zivilisation - etwa eine Bahntrasse im Süden - überhaupt nicht stören. Im Gegenteil, still durch diese Szenerie gleitende, ja fast schwebende Hochgeschwindigkeitszüge, tragen zum ästhetischen Empfinden bei. - Disteln, Krokusse am Wegesrand.
Ich bin allein auf der "Calzada Romana", der alten römischen Piste. Steinig dieser Weg, ermüdend. Aber das ist nebensächlich.
Nach 16 km ist dieses Bad der Freude vorbei. Kurz vor Riesgos mache ich an einer Bank Pause. Wenig später treffe ich ein Damen-Dreiergespann aus Deutschland/Holland. Kurzer Plausch, Erinnerungsfoto und weiter geht's. Wie es der Zufall will, wird Erna zwei Wochen später im Flieger nach Hahn neben mir sitzen.
Von Reliegos nach Mansilla de las Mulas laufe ich mit Juan-Carlos aus Jaca in den Pyrenäen. Juan-Carlos ist Kulturarbeiter und dürfte in etwa mein Alter haben. Unser Gespräch beginnt natürlich mit dem Camino. Er habe schon viele Menschen auf dem Camino getroffen, aber noch keinen, der so viele Kilometer wie ich gegangen sei. Die Tatsache, dass so viele Deutsche unterwegs seien, erkläre ich ihm mit dem Buch von Kerkeling. "Ja, das muss ich unbedingt für unsere Bibliothek bestellen". Er notiert sich Titel und Autor. Mit Brasilien gäbe es ein ähnliches Phänomen. Das Buch von Cuelho habe er gelesen. "Mal, mal, mal. No me gusta para nada." (Schlecht, schlecht, schlecht. Gefällt mir überhaupt nicht.) "Para mi Cuelho es un cantamañanas!" Und dieses Wort, das ich noch niemals gehört habe, lässt wiederum mich aufhorchen. "cantamañanas", "der 'morgen, morgen' singende" - halt jemand der etwas auf die lange Bank schiebt (hoffentlich liege ich nicht falsch Juan-Carlos). Sehr schön. Merk´ ich mir. Dann wechseln wir zur Baskenproblematik und überhaupt zur Politik. Laut Juan-Carlos gibt es derzeit zwei wesentliche Entwicklungen in Spanien: die Förderung regenerativer Engergiegewinnung (wovon allein hunderte Windturbinen entlang des camino zeugen) einerseits, der Bauboom, die Zersiedelung andererseits (auch das fällt in den Randbezirken der Städte auf). Ersteres natürlich gut, letzteres natürlich schlecht.
Ab Mansilla bin ich allein. Die restliche Strecke nach León ist langweilig. Immerzu eine viel befahrene Bundesstrasse lang. Welch ein Gegensatz zu heute Morgen.
Allmählich macht sich Euphorie bei mir breit (gemerkt?). Ich bin heute besonders glücklich, strahle jeden der mir begegnet an. Helfe einer Alten mit Krücken eine Kartoffel aus einem Beet entfernen. Sie freut sich. Es ist so wie bei diesen Navigationskarten im Flugzeug, wenn man über den Atlantik fliegt. Lange Zeit sieht man nur das blaue Meer des Atlantiks und plötzlich, nach 6 oder 8 Stunden, kommt Land in Sicht, wird der Zielort auf der Karte angezeigt. So geht es mir. León und Santiago erscheinen seit heute auf der Karte! - Unterwegs nach León stärke ich mich in einer Bar in Arcahueja mit 2 Rosados und einem Käsebocadillo. Setze mich zu Matthias aus Stuttgart an den Tisch.
Matthias ist bereits heute Morgen in diesem Vorort von León angekommen und hat sich hier einquartiert. Er mag die Städte nicht und zog es vor, heute Morgen von dem Dorf aus die Stadt zu besuchen und wieder zurückzukehren. Könnte ich mir für mich nicht vorstellen. Ich muss immer weiter. Don´t look back and don´t walk back!
Ankunft in León um 19:00 Uhr. 45 km in 11 Stunden (netto 9). Nicht schlecht.
León hat gezogen. Immerhin nach 2200 km der erste Ort seit Schwabach bzw. Gunzenhausen, in dem ich zuvor schon mal gewesen bin! Zeit is worn. - Quartiere mich im Hostal "Alvarez" unweit der "Casa de Botines", dem von Antonio Gaudi erbauten Palast, ein.
Als ich gegen Neun nochmals auf die Strassen gehe, erschrecke ich angesichts der Kälte, die mir entgegenschwappt. Welch ein Gegensatz zu dem Abend in Burgos vor gerade mal 5 Tagen. Es ist Herbst! Kurzer Rundgang durch die Altstadt, Abendessen in einer Bar. Buenas noches.
3 Kommentare:
Salut Peter,
Mensch - fast bist Du da. Unglaublich irgendwie, oder? Ich schätze, Du wirst also am Donnerstag ankommen. Da ist die Kanzleieröffnung von Manfred in seinen neuen Räumen. Ich habe ne Einladung bekommen und werde auch hingehen. Wir trinken dann schon mal ein Glas auf Dich :-) !
Lieben Gruß aus Nürnberg,
Uwe
Hi Uwe, Danke für die Info. Dann werde ich kommenden Donnerstag auch ein Gläschen heben, auf Euch, auf den Camino und überhaupt auf das Leben! Cuidate!
Liebe Grüsse aus Sarria Peter
Hi Peter, hi Uwe,
ich bin natürlich auch bei Manfred und trinke ein Gläschen mit. Auf das Leben! Habe gerade ein paar Tage frei und kräftig am aufholen...will ja schließlich Deine Ankunft in Santiago nicht verpassen ;-)
Herzliche Grüße aus Haag,
Karl
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