Hi Folks, Samstag, später Vormittag, Ponferrada. Die Templerburg kann erst ab 11 besichtigt werden, also etwas Zeit für den Rechner (in der Turiinfo neben der Burg; allein in den 5 Minuten seit ich hier vor dem Rechner stehe, hat der arme Mitarbeiter die Geschichte über die Altstadt viermal abgespult - ein Routinejob).
@Thea - nein, der Ginster blüht leider nicht mehr, aber das Heidekraut kleidete die Hügel in Lila, auch schön). @Ulla - ist echt nett zu erfahren, wer so mitliest. @Fotos - werden kommen, bitte etwas Geduld. Die zu haben hat mich der Camino wahrlich gelehrt, das könnt Ihr mir glauben. Zurück zum vergangenen Sonntag, schon fast wieder eine Woche her.
Am Frühstückstisch begegnet mir die Ungarin Viktoria wieder. Kurzes Gespräch. Auf dem camino trifft man sich immer mehrmals.
Die erste Etappe nach Frómista verläuft entlang des Kanals von Kastilien (der dritte Kanal auf meiner Pilgerreise). Im 18. Jh. als Transportweg geplant, wird er heute als Bewässerungskanal für die sogn. "tierra de campos" genutzt (nebenbei: Bewässerungskanäle werde ich in der Meseta noch viele sehen, irgendwie muss all das Getreide im Hochsommer ja auch am Leben gehalten werden; hierzu fällt mir ein: "en castilla tenemos 9 meses invierno y 3 meses infiero" ;-)).
Eine Pilgerin hat sich in die nicht vorhandenen Büsche verzogen und reckt mir ihren nackten Hintern entgegen. War wohl dringend - oder sie hat sich in der Perspektive vertan. Sei´s drum. Kurz bevor der Weg über eine wunderschöne horizontal geschwungene Brücke an einer Schleuse den Kanal verlässt, komme ich mit Paco und Javier ins Gespräch (die beiden mögen meinen Regenschirm). Der eine aus Sevilla ("feria, si, mucho vino"), der andere aus San Sebastian.
Nach Frómista laufe ich ein Stück mit Stefanie (sass gestern Abend mit am Tisch). Sie scheint sehr mit der Frage beschäftigt, ob am nächsten Etappenort in der Pilgerherberge noch genügend Platz frei sein wird. Eine Befürchtung, die mir in 10 Wochen nicht einmal zu schaffen machte. Das Wettrennen um die Betten, dass manche veranstalteten, möge sie überhaupt nicht. Aber tut sie nicht genau das? Kann es sein, dass wir manchmal bei anderen das nicht mögen, was wir selber tun? Nur mal so zum Nachdenken.
Am Ortsausgang von Villarmentero ist ein schöner Rastplatz. Ich lege eine Pause ein und schockiere sogleich drei Damen aus Spanien, alle Mitte Fünfzig, mit der Tatsache, dass ich in Deutschland gestartet bin. Foto, Foto, Foto. Die Damen haben heute eine 3-Tages-Test-Pilgerreise angetreten. Gutes Gelingen!
Nach einigen Minuten trudelt Lulu auf dem Rastplatz ein. Wir sitzen nebeneinander, essen und schweigen. Da er offensichtlich nichts mehr wissen will (kein Wunder, bei diesem Laufpensum ;-)) lasse ich meiner Neugier freien Lauf. Ob er denn verheiratet sei, möchte ich wissen. - "Divorced" - aha. Und wie weit er zu gehen gedenke, hänge ich an. Ursprünglich wollte er die 18 km Meseta-Etappe bis Calzadilla heute anhängen, doch das werde nichts. "I'm to old" meint er lakonisch.
Auf der riesigen steinernen Tischplatte vor mir liegt ein Stein (Gleiches zu Gleichem gesellt sich gern ...). Gut, dann ist jetzt die Zeit der Haselnüsse gekommen, die ich seinerzeit von dem Jungen in Saint-André geschenkt bekommen habe. Schmecken lecker, sind nachgereift. So hat alles seine Zeit. Abwarten können, das ist die Kunst.
Schöne frühromanische Kirche (San Martín) aus dem 11. Jh. in Frómista. Innenbesichtigung leider nicht möglich.
Dito im übernächsten Ort Villalcázar (Santa María la Blanca, 13. Jh. Übergang Romanik zur Gotik - man sieht förmlich wie die Bögen nun spitz werden, Grabmal Prinz Philipp und Gattin aus dem 13. Jh., den Eintritt kassieren vier Kids ab, die wie Orgelpfeifen hinter dem Tresen stehen - süss).
Im Gegensatz zu Lulu packe ich die 18 km von Carrión de Condes nach Calzadilla de la Cueza am Nachmittag an. Ein Salsaplakat in Carrión hat mir einen zusätzlichen Motivationsschub verpasst.
Laut Wanderführer ist dieser Abschnitt "Meseta pur". Stimmt. 5 km eine wenig befahrene Landstrasse entlang, dann weiter auf einer Schotterpiste, der alten Römerstrasse "Via Aquitana".
Das Gehen auf der Schotterpiste ist sehr ermüdend. Den dicken Steinen ausweichen, immer wieder verdreht es mir den einen ode anderen Fuss.
Brettleben, Pappeln, Sträucher am Wegesrand, Felder. Nach etwa 10 km erreicht man eine improvisierte Bar, die, wie erwartet, um diese Uhrzeit nicht mehr besetzt ist. Ich "breche ein" (klettere über den Zaun) und mache gepflegt Brotzeit mit Stuhl und Tisch. Jo.
Ankunft in Calzadilla. Bin jetzt doch ziemlich müde. Die Albergue liegt gleich am Ortseingang. Ein netter Hospitalero begrüsst und registriert mich, weist mich ein. Sydney, geboren in Sydney (kein Scherz!), aufgewachsen in Brasilien, spricht Spanisch mit portugiesischem Akzent. Das klingt gut. Gertenschlank, schokoladenbraun, gutgelaunt und sympatisch. Hat gute Musik laufen.
Ich dusche mich schnell und schwimme einige Bahnen im Pool. Das Wasser ist eiskalt, aber es tut sooo gut.
Später komme ich im Schlafsaal mit einem Pilger ins Gespräch. Harry kommt aus Helsinki! Mein erster Finne auf dem Jakobsweg. Endlich kann ich mich auf Finnisch unterhalten (ich übertreibe masslos ;-)) Völlig untypisch für einen Finnen geht er nicht mit zum Biertrinken ins Restaurant um die Ecke. Harry ist müde.
Esse mit einem älteren Ehepaar aus Norwegen zu Abend (Trina und Katu). Die beien haben in Burgos begonnen, sind mit dem Fahrrad unterwegs. Nette Unterhaltung. Interessant finde ich die folgende Kurzcharakterisierung Skandinaviens aus Sicht des Norwegers: Dänemark, die Schnittstelle zu Europa - Finnland, die Schnittstelle zu Russland - Schweden, das Land der Eroberer und Norwegen, das Land der Bauern (und des Öls).
Schweden hätten sie auf dem Camino noch nicht getroffen. Viele im Westen lebende Schweden wären viel lieber Norweger usw. Ja, ja, zwischen den Zeilen klingen da schon ein paar Ressentimens in Richtung Gustafs durch.
Am Nachbartisch sitzen zwei Paare aus Sachsen. Nachdem sich Norwegen ins Bett verabschiedet, entsteht ein tischübergreifendes Gespräch zwischen Sachsen und Franken. Ein lustiges Völkchen die Vier. Wir haben viel Spass. Wortführer Gerdi (Glatze, rotes T-Shirt) kann fast jeden Satz zu einer Pointe verdrehen. Nein, sie würden das Pilgern schon auch ernst nehmen. "Wir können uns auch benehmen, nur zeigen wir es nicht" ergänzt der Gerdi gegenübersitzende Franz. Unaufhörlich rollt er "seine" Ecke der Papiertischdecke auf und lässt sie wieder abrollen. Sissiphos? "Wir laufen und saufen" usf. ein Spruch jagt den anderen. Wäre um 10 nicht Zapfenstreich (gebranntes Kind und so), würde ich bestimmt mit den "Ossis" versumpfen und die andere Hälfte meiner Weinflasche auch noch leeren.
Pünktlich um 10 laufe ich in der Albergue ein. Mit mir ist völlig fertig, den Rucksack noch geschultert, ein Pilger aus der Meseta eingetroffen. Ein seltsamer Typ. Es kommt wie es kommen muss: der Typ schläft im Bett neben mir und lässt in der Nacht einige Bäume sterben. Wird keine gute Nacht für Peter.
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3 Kommentare:
Hallo Peter,
du kommst so dermaßen schnell voran, dass ich nicht mit dem Lesen nachkomme ...
Jetzt läufst du dort, wo ich letzten Sommer auch war, grüß mir bitte meine "Lieblingsbrücke" (die Brücke hinter Portomarin war für mich als nicht schwindelfreie eine Herausforderung!) wenn du drüber gehst. Vielleicht hast du ja das Glück die Kirche St. Nikolaus in Portomarin offen vorzufinden, damals war sie leider den ganzen Nachmittag geschlossen. Ich hätte gerne mal reingeschaut.
Mit großem Interesse und viel Freude liest (atemlos) mit
Dorothea
Hallo Peter,
sag mal, wenn der Ginster nicht mehr blüht (naja, bin nun mal keine Botanikerin, Ginster wird vermutlich nicht monatelang blühen und vor allem so wunderbar duften), nach was riecht denn dann jetzt der camino? Der duftende Ginster war ja auf dem ganzen Weg Begleiter..
Ich komme gerade von einem Konzert meiner wunderbaren Pilgerfreunde, die ich letztes Jahr auf dem camino kennengelernt habe (sie leben gar nicht so weit weg von mir) und stell Dir vor, nun gibt es ein Lied vom Camino mit mir drin! Die Evi hat ein Lied vom Jakobsweg geschrieben und sie habens beim Konzert gesungen... Es hat mich sehr tief berührt!
Ich wünsche Dir auch so wunderbare Pilgerfreunde, wie ich sie getroffen habe (nicht nur Pilger, die Dir den Hintern zeigen.. :-)) und die Dich begleiten, vielleicht auch über den camino hinaus!
Und noch was:
Und es ist ziemlich schlimm, wenn Du mal ein oder zwei Tage nix schreibst.. obwohl ich es eh erstaunlich finde, wie Du das alles hinkriegst mit Pilgern und allem drum rum und dann noch das Bloggern... Hut ab!
Buen camino
wünscht Dir
Thea
Hallo Peter,
es ist schon einige Wochen her, seit wir uns auf dem Weg von Stans nach Flüeli Ranft begegneten. Uns hat der Alltag schon wieder "voll im Griff"...gerade deshalb lesen wir zu gern deine Berichte und auch wir staunen, in welchem Tempo du vorankommst( Peter, was wirst du mit dieser Energie anstellen, wenn du wieder daheim bist???)!
Es ist so, dass man an dem Anderen genau das besonders kritisch sieht, womit man bei sich selber nicht klarkommt.... Bestätigung einer Weisheit durch eine Pilgerin. Also, genau beobachten und reflektieren!
Peter, was machen die Salsa- Tänzerinnen auf dem Camino? Und singst du jeden Tag mindestens ein Lied? ...lauf, Peter, lauf...!!!
Ein besonders lieber Gruß aus Rostock an dich, alles Gute weiterhin! Gabi
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