Montag, 15. September 2008

Take what ever you need, Von Saint-Jean-Pied-de-Port nach Roncesvalles (Mi 10.9)

Und ob mein Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Ein prächtiger Morgen, keine Wolke am Himmel, nachdem sich der Morgendunst verzogen hat. Ab Neun strahlt die Sonne. Ich bin in bester Laune, euphorisch, könnte die Welt umarmen. "Heute geht´s nach Spanien, heute geht's nach Spanien ..."
Nach dem Frühstück im Hotel (der Besitzer freut sich, als ich ihm sein Haus im Wanderführer zeige) erledige ich ein paar Dinge, insbesondere versorge ich mich für die anstrengende Etappe mit Proviant.


Die Hotelbesitzer - Mutter und Sohn

U.a. kaufe ich auch Tempotaschentücher ein, im 16er-Pack für 1,10, kleiner geht bei Lidl halt nicht. Die Geschichte in der Apotheke muss ich nicht noch mal haben. Was nur mit den vielen Kleenex? 4 Päckchen stecke ich ein, den Rest verteile ich peu a peu im Ort und auf dem Weg an andere Pilger. Manche greifen zögerlich zu, andere sind hoch erfreut. Ein tempotaschentücherverteilender Pilger (so ein Wort kann man auch nur im Deutschen konstruieren) - ein Spass!
Bei optimalen Wetterbedingungen stellt sich die Frage nach der Wahl der Route über den Berg heute nicht. Die schönere "Route de Napoleon" ist angesagt. Diesen Weg haben Napoleons Truppen Anfang des 19. Jahrhunderts erschlossen.


Im Ort läuft mir Matthias über den Weg. Wir beschliessen, zusammen zu gehen.


Es ist ein bisschen wie Almauftrieb. Myriaden von Rucksäcken schleppen sich den Pass hoch, Alt und Jung. An Einsamkeit und Insichkehren ist auf diesem Teilstück jedenfalls nicht zu denken. 1200 Höhenmeter sind zu bewältigen auf einer überwiegend geteerten Strecke. Immer wieder tut sich eine schöne Aussicht hinunter nach Saint-Jean-Pied-de-Port bzw. in die umliegenden Berge auf.


Später, als wir deutlich an Höhe gewonnen haben, kreisen Gruppen von Geiern über uns. Was das wohl bedeuten soll? Ich werde an meine letztjährige Tour durch die Pyrenäen erinnert.


Bei einem kurzen Vesperhalt in Orisson lernen wir zwei Frauen aus Baden Baden kennen (Matthias: "Zwei Badenser!" - das hören die Mädels gar nicht gern). Martina I, Krankenschwester, Martina II, Briefträgerin und Kellnerin im Nebenjob. Die beiden sollten uns an diesem und an den folgenden Tagen noch häufiger begegnen.


Die Terasse der Bar ist voll. Allerdings vespern die meisten die mitgebrachte Brotzeit. Viele gehen heute ihre erste Etappe. Einige haben bereits jetzt mit ihrer Kondition bzw. mit Fussproblemen zu kämpfen. Und das ist erst der Anfang .... Wir beiden Langstreckenwanderer sind plötzlich Exoten.
Immer weiter in die Höhe schraubt sich der Weg, eine Marienfigur und später ein Brunnen (Rolandsbrunnen) bringen Abwechslung in den sonst gleichförmigen Marsch.


Der Brunnen lädt zur Rast ein. Hier trifft man all die jenigen wieder, die man zuvor überholt hat. Gute Gelegenheit sich auszutauschen. Eine Gruppe junger Deutscher wird hier oben Übernachten, um den Sonnenauf- und untergang so richtig zu geniessen. Why not? Mit den "Badenserinnnen" spielen wir Katz und Maus. Bald sind sie vor uns, bald haben wir sie überholt. Kurz nach dem Brunnen ist es dann so weit. Man verlässt Frankreich und betritt das ehemalige Königreich Navarra. Gut, das ist schon paar hundert Jahre her.





Die erste Station in Spanien ist nach rund 27 km erreicht. Kloster Roncesvalles.


Sehr schön taucht die Abtei zwischen den Bäumen auf, als man noch etwa eine Stunde entfernt ist. Ein Prachtbau. Herbstzeitlosen am Wegesrand auf dem letzten Kilometer (schon praktisch, einer deutschsprachigen Mitpilgerin zu begegnen, die sich mit Blümchen auskennt. So kann auch der Blütenbanause ein Blümchen benennen und nicht nur schön finden ;-)


Matthias hat mir schon den ganzen Tag von der kirchlichen Herberge vorgeschwärmt. Also kann ich nicht anders, als mich auch für den Schlafsaal einzuschreiben. Werde mit 160 Pilgern zusammen in einem Saal übernachten. Ich kann's noch nicht recht glauben. Obwohl viele Menschen am Kruschen sind, als wir eintreten, herrscht in dem Schlafsaal eine sehr ruhige, entspannte Atmosphäre. Geleitet wird das Refugio von zwei Holländern, die viel Ruhe ausstrahlen. Die Koordinaten meines Bettes: Gegenüber des Eingangs, erste Reihe, oben links. Ist schon lustig, nicht nur, dass man mit so vielen Menschen die Bettstatt teilt. Die Stockbetten stehen auch noch paarweise nebeneinander. Man schläft quasi in einem Doppelbett. Mal sehen, wer mein Bettnachbar ist ... Das Geschehen in dem Saal wird von leiser Musik untermalt: Sphärenklänge, gregorianische Gesänge, Klassik und Folk gemischt, sehr schön.



Auch hier gilt für mich: Ankunft, Dusche, Wäsche. Draussen vor dem Kloster hängen 100 laufende Meter Pilgerwäsche - Erinnerung an den Weissen Riesen und dessen Waschkraft.


Neben der Wäscheleine steht eine Wäschepresse. Sehr praktisch. Mit einer Kurbel wird das Wäschestück zwischen zwei Walzen durchgezwängt, raus kommt die Quintessenz, ein Wasser-Schweiss-Gemisch.


Pilgermenü in einem der beiden Restaurants am Ort. Ort ist übertrieben. Im Grunde genommen besteht Roncesvalles aus der Abtei und zwei oder drei Restaurants/Hotels. Es treffen sich hier nicht nur Pilger, sondern auch "herkömmiche" Touristen. Ich sehe geparkte Reisebusse. Ist wohl so 'ne Art Wallfahrtsort. Leider habe ich es versäumt, Abtei und/oder Kirche zu besichtigen. Am Abend reicht die Zeit nicht mehr (das Loch im Bauch und der Durst dominierten mein Handeln) und am nächsten Morgen reisst mich der Pilgerstrom gen Burguete mit sich fort. Das gehört auch zum Camino - die meisten Sehenswürdigkeiten werden nicht oder nur kurz gewürdigt. Asi es la vida ...
Ach ja, Pilgermenü. Für 9 Euro gibt's ein passables 3-Gänge-Menü mit einer Flasche Rotwein je Vierertisch. Prima. Peter aus Leipzig(!), André und Ilona aus Siegen sitzen an meinem Tisch, die beiden Martinas am Nachbartisch. Es gibt so viel zu erzählen - und die anderen sind doch erst einen Tag unterwegs (bis auf André, der in St. Etienne angefangen hat). - Für mich hat sich spätestens jetzt die Welt total verändert. Bisher fast ausschliesslich mit Franzosen und einigen Deutschen unterwegs, setzt sich die Pilgerschaft jetzt international zusammen: Kanada, USA, England, Spanien, Frankreich, Deutschland ... im Restaurant herrscht babylonisches Sprachengewirr. Ich geniesse es.
Im Keller des Schlafsaals sind "Küche" und Toiletten untergebracht. Hier auch eine Ecke, in der man Gewicht loswerden bzw. zulegen kann: "Leave here what you do not need anymore, take what ever you need." Hemden, Socken, Cremes, Schuhe sind hoch im Kurs.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Hi Peter,

I'm very impressed that you are going so well and now nearing the Spanish border. I have walked in the Pyrenees there and can appreciate what you are now experiencing. Keep up the good work!

John from Sydney